Die schöne Querulantin

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Kunst, der Künstler und sein Modell

Ein vierstündiger französischer Film eines der konsequentesten Nouvelle Vague Regisseure, basierend auf einer Erzählung von Balzac, der eine kleine Anzahl an Protagonisten sowie die tätige Hand eines Malers auf kleinem Raum versammelt und im Original mit deutschen Untertiteln gezeigt wird – das ist auch für wahrhaft stand- und sitzfeste Cineasten eine echte Herausforderung. Jedoch eine, die sich zweifellos lohnt, wenn man es sich gönnt, diese gute Weile lang im Sog der schwindelnd intensiven Welt von Jacques Rivette und seinen Akteuren zu verbringen.
Bei den Filmfestspielen in Cannes 1991 wurde er mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet und katapultierte sich damit an das Licht einer großen Öffentlichkeit, und nun wird der vielfach als grandioses Meisterwerk bewertete Film Die schöne Querulantin / La belle noiseuse in der ungekürzten Originalfassung bei uns im Kino zu sehen sein. Lang, ausführlich und radikal, aber ohne Längen ereignet sich die Geschichte der Entstehung eines Kunstwerks, eng verwoben mit den Befindlichkeiten seines Künstlers, dessen Modell und ihrer Umgebung, die für die kurze Dauer des Schaffensprozesses im Zeitlupentempo in klaffende emotionale Abgründe stürzen. Das Leben und die Kunst erscheinen als zwei mächtige Giganten, die einander mit wohlwollender Skepsis umlauern, letztlich allein durch die Figuren bewegt, die hart um den Preis einer flüchtigen Erkenntnis zu kämpfen beginnen, ebenso wie um die eigene Identität.

Der Maler Frenhofer (Michel Piccoli), künstlerisch in einer mittlerweile zehnjährigen Schaffenskrise erstarrt, empfängt auf seinem Landsitz im Süden Frankreichs gemeinsam mit seinem Freund und Bewunderer Porbus (Gilles Arbona) den jungen und talentierten Maler Nicolas (David Bursztein) und seine wunderschöne Freundin Marianne (Emmanuelle Béart). Frenhofers letztes, unvollendetes Werk, für das seine Frau Liz (Jane Birkin) einst Modell stand, verbirgt sich einem unheilvollen Schatten gleich in seinem Atelier, der Gestalt anzunehmen beginnt, als die Idee entsteht, dass der Maler gemeinsam mit Marianne als Modell dieses Bild, das einmal sein Schaffen krönen sollte, fertig stellen könnte. Dieser Gedanke und seine Umsetzung beherrschen bald das Haus, seine Bewohner und seine Gäste, und als das Werk nach fünf extrem anstrengenden Tagen tatsächlich vollendet ist, haben sich die Protagonisten spürbar und unwiederruflich gewandelt, während das Bild im Geheimnis seiner seltsamen Faszination erstarrt bleibt.

"Wir haben wirklich versucht, einen Film zu machen, der nicht von der Malerei spricht, sondern sich ihr nähert", bemerkt Jacques Rivette über Die schöne Querulantin / La belle noiseuse, für den der Maler Bernard Dufour in professioneller Manier sämtliche Bilder, die im Film auftauchen, entworfen hat, ebenso wie er Michel Piccoli bei den häufig langen Sequenzen des Malens mit seinem erfahrenen Künstler-Arm doubelt, um so ein hohes Maß an Authenzität zu erreichen und die Vorstellung Rivettes von Kunst zu realisieren, die während der Dreharbeiten entsteht. Die eigenwillige Arbeitsmethode, die er entwickelt hat, wendet der Regisseur auch bei diesem Film an: Er entscheidet sich bewusst gegen ein chronologisches Vorgehen und beginnt mit den zentralen Szenen des Films, von denen ausgehend er seine Geschichte und ihre Charaktere mit diesen und seiner Crew gemeinsam entwickelt – mit einem kompromisslosen Mut zur Improvisation.

Rivette, der zuletzt Die Geschichte von Marie und Julian / Histoire de Marie et Julien inszeniert hat, ist für die unhandlichen Formate seiner Filme bekannt, die auch schon einmal Kürzungen oder gar inhaltlichen Zensuren zum Opfer gefallen sind; Out1: Noli me tangere beispielsweise gehört mit über zwölf Stunden Länge zu den umfangreichsten Werken der Filmgeschichte. Im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen der Nouvelle Vague wie François Truffaut, Jean-Luc Godard oder Claude Chabrol halten sich die offizielle Anerkennung und der Erfolg seiner Werke in bescheidenen Grenzen, so dass Die schöne Querulantin / La belle noiseuse durch ihre Auszeichnung in Cannes, den Preis der französischen Filmkritik und den Ehren-Leoparden in Locarno auch in dieser Hinsicht einen herausragenden Meilenstein seiner Karriere darstellt.

Wer gewillt ist, sich auf ganz eindringliche und poetische Art und Weise aus der üblichen realistischen wie cineastischen Zeitdimension entführen zu lassen, um dem dramatischen Schaffensprozess eines Kunstwerks sowie den emotionalen Bewegungen eines Künstlers und seines Modells beizuwohnen, dem sei dieser mittlerweile 15 Jahre alte französische Film wärmstens empfohlen. Als Michel Piccoli, der seit Ende des letzten Jahres die 80 errreicht hat, erfuhr, dass Jacques Rivette ihn für einen Film über einen Künstler und sein Modell zu engagieren gedenke, hat er ohne zu zögern geantwortet: "Ich mache, was er will, den Maler oder das Modell …" – dass er auch beim neusten Film des Regisseurs Ne touchez pas la hache, der sich gerade in der Produktion befindet, ebenfalls wieder dabei ist, zeigt, dass er seine unbedingte Zusage offensichtlich nicht bereut hat.

Die schöne Querulantin

Bei den Filmfestspielen in Cannes 1991 wurde er mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet und katapultierte sich damit an das Licht einer großen Öffentlichkeit.
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