Log Line

In ihrem Familiendrama „Die Saat“ schildern Mia Maariel Meyer und ihr Co-Autor und Hauptdarsteller Hanno Koffler, wie Menschen an ihre Grenzen getrieben werden.

Die Saat (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Abwärts

Bereits in ihrem Langfilmdebüt „Treppe aufwärts„ (2015) erzählte die Regisseurin Mia Maariel Meyer von einer Familie, die an ihren Konflikten zu zerbrechen droht. Zusammen mit ihrem Hauptdarsteller Hanno Koffler hat sie für ihr neues Werk „Die Saat“ das Drehbuch verfasst – und abermals wird darin ein oft geradezu schmerzhaft präziser Blick auf eine familiäre Dynamik geworfen.

Rainer (Koffler), die schwangere Nadine (Anna Blomeier) und deren gemeinsame, 13-jährige Tochter Doreen (Dora Zygouri) sind das, was wir etwas simplifizierend als „gute Menschen“ bezeichnen könnten. Rainer ist gelernter Fliesenleger und hat gerade erstmals die Bauleitung bei einem Projekt für die Schaffung von Musterwohnungen übernommen. Mit seinen Mitarbeitern geht er kumpelhaft um; stets packt er selbst mit an. Nadine nimmt wiederum jede mögliche Schicht im Krankenhaus an. Und auch Doreen versucht, ihre Eltern nicht zu belasten – obwohl sie darunter leidet, dass die Familie aufgrund der Gentrifizierung die Stadt verlassen musste und nun in ein eindeutig renovierungsbedürftiges Haus im Umland gezogen ist.

Rasch wird uns klar, dass die bald vierköpfige Familie kein sorgenfreies Leben führt. Doch ebenso lassen Meyer und das stimmig besetzte Schauspiel-Trio Koffler, Blomeier und Zygouri uns spüren, dass da eine gegenseitige Wertschätzung ist, die alles irgendwie erträglich macht und für eine gewisse Form von Harmonie sorgt. „Ich kümmer’ mich!“ oder „Ich krieg’ das hin!“ sind etwa einige der typischen Rainer-Sätze, die der Ehemann, Vater und Bauleiter im Privaten und Beruflichen sagt, um seinem Umfeld das Gefühl seiner absoluten Unterstützung zu vermitteln.

Aber dann droht die Abwärtsbewegung immer schneller zu werden. Das Skript parallelisiert dabei zwei Hauptkonflikte. Zum einen wird Rainer auf der Baustelle durch den vermeintlich effizienteren Jürgen (Andreas Döhler) ersetzt, der sich nicht um ein angenehmes Arbeitsklima schert, sondern allein auf den Profit schaut. Zum anderen lernt Doreen die gleichaltrige Mara (Lilith Julie Johna) aus der Nachbarschaft kennen, die keinen guten Einfluss auf sie ausübt. Während die beiden Jugendlichen zunächst über Musik und Make-up zueinanderfinden, bringt Mara Doreen bald dazu, das Fahrrad einer Mobberin zu manipulieren und Ladendiebstahl zu begehen.

In einem schwächeren Film würden sich diese Stränge zu einem Moralstück verdichten, in dem alle etwas lernen und am Ende schlauer sind. Dankenswerterweise ist Die Saat an einer solch banalen Auflösung nicht interessiert. Es gibt Versuche der Figuren, den Schwierigkeiten auf möglichst würdevolle Weise zu entkommen: Ein befreiender Schrei hat doch schon so manchem Protagonisten und so mancher Heldin einer kathartischen Erzählung die Erlösung gebracht. Aber so einfach ist es nun einmal leider zumeist nicht.

Ohne ihr zentrales Personal zu hilflosen Opfern der Umstände zu machen, gelingt es Meyer, auf schlüssige Weise die Demütigungs-Spirale zu zeigen, in die Rainer und Doreen geraten. Es funktioniert plötzlich nicht mehr, dass die Familie miteinander redet, da sich alle zu sehr schämen, um offen zu sein. Der Druck wächst – was auch auf audiovisueller Ebene perfekt eingefangen wird. Die Kamera von Falko Lachmund rückt dann ganz nah an die Beteiligten heran; der von Christoph Schilling gestaltete Ton verlässt den strengen Realismus und lässt uns am Entfremdungsgefühl von Rainer und Doreen teilhaben. „Wir ernten immer, was wir säen“, heißt es im Volksmund. Und so bekommt das Umfeld – der illoyale Juniorchef, der inhumane Nachfolger, die intrigante falsche Freundin – letztlich die titelgebende Saat, die es gelegt hat, zu spüren. Das ist hart mitanzusehen, aber rundum konsequent.

Die Saat (2021)

Während der degradierte Bauleiter Rainer auf der Baustelle nicht nur ums eigene Überleben, sondern auch für soziale Gerechtigkeit kämpft, entwickelt sich zwischen seiner Tochter Doreen und dem neureichen Nachbarmädchen Mara eine gefährliche Freundschaft . (Quelle: Kurhaus Filmproduktion)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen