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Mit “Das Mädchen Wadjda“ drehte Haifaa Al Mansour den ersten saudi-arabischen Spielfilm in Riad. Auch in ihrem neuen Werk „The Perfect Candidate“ widmet sie sich einer starken Frauenfigur, welche die gegeben Verhältnisse nicht länger hinnehmen will.

Die perfekte Kandidatin (2019)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Die Freiheit geschlossener Räume

Schon das erste Bild in Haifaa Al Mansours „The Perfect Candidate“ ist eine kleine, stille Sensation. Maryam (Mila Al Zahrani), deren Leben in Saudi-Arabien wir gleich ein kleines Stück begleiten werden, sitzt am Steuer ihres Wagens und fährt zur Arbeit. Ein alltägliches Bild, wäre da nicht das Wissen, dass erst seit kurzer Zeit Frauen in Saudi-Arabien selbst fahren dürfen. Und schon da beginnt Mansours Film von den Veränderungen in diesem Land zu erzählen, die manchmal klein und manchmal groß, aber alle stets wichtig und vor allem für Frauen weltbewegend sind.

Maryam ist eigentlich eine stille, eher konservative Frau. Aber sie hat Biss. Sie ist Ärztin und liebt ihren Job, auch wenn ihr ständig von Kollegen und Patienten die Kompetenz abgesprochen wird. Das Krankenhaus, in dem sie arbeitet, ist eine Bruchbude, zu der nur eine schlammige Straße führt. Gefährlich für Patienten und ein unaushaltbarer Zustand, den Maryam zu verändern versucht, doch sie hat bei den lokalen Politikern kein Glück. Deshalb will sie raus aus Saudi-Arabien und es in Dubai versuchen. Ein Ticket zu einer großen Ärztekonferenz hat sie bereits, dort wird es auch Vorstellungsgespräche geben. Doch ohne ihren Vormund, den Vater, kann sie nicht aus dem Land.

Maryam hat Glück. Ihr Vater, ein begnadeter Musiker, ist herzensgut und lässt seinen drei Töchtern alle Freiheiten. Doch er ist auch zerstreut und depressiv, seitdem die Mutter gestorben ist. Und nun hat er, zum ersten Mal seit Jahren, eine Tour mit seiner Band durchs Land und ist drei Wochen auf Reisen. Ihr Visum hat er vergessen zu verlängern, so versucht Maryam es verzweifelt bei einem Bekannten, der bei der Stadt arbeitet. Doch auch hier wird sie gegängelt. Sie darf ihn nur sprechen, wenn sie sich als eine Kandidatin für ein kommunales Amt aufstellen lassen will. In ihrer Verzweiflung sagt sie zu. Aus der Reise wird trotzdem nichts, doch plötzlich geschieht mit Maryam etwas, das man nur als Emanzipation aus Verzweiflung und Wut beschreiben kann. Sie beginnt die Kandidatur ernst zu nehmen und wird zur ersten weiblichen Kandidatin in ihrer Stadt – ein Skandal.

Mansour fährt zweigleisig in ihrem Film, der von einem Land und seinen Leuten erzählt, die sich verändern und bewegen. Der Vater als Musiker zeigt die reiche Kultur Saudi-Arabiens, die unter dem strengen Regime der Kunstfeindlichkeit fast verloren gegangen wäre. Seine Tour wird immer wieder von Extremisten bedroht, für die Musik und Kunst verdammungswürdig sind. Doch die Orte, an den sie spielen, sind voll, und die Menschen singen und tanzen, lachen und freuen sich über die alten Lieder, die endlich wieder zu hören sind. Derweilen kämpft Maryam um Stimmen, indem sie die Frauen ihrer Gemeinde zu einem Fest einlädt. Ihre Emanzipation lässt niemanden kalt, vor allem ihre Schwestern nicht, die, ob sie wollen oder nicht, in die Sache mit reingezogen werden, denn es herrscht Sippenhaft. Während Maryam aus ihrem Schneckenhaus kriecht und von ihrer flippigen Schwester Selma (Dae Al Hilali) unterstützt wird, leidet die jüngste Tochter unter dem Druck. Gerade in der Pubertät angekommen, reicht es ihr schon, dass sie aus einer nicht angesehenen Musikerfamilie kommt, und jetzt auch noch das. Die Angst vor der Ausgrenzung lässt sie noch konservativer werden.

Was Mansour mit Maryams Geschichte erzählt, ist aber nicht nur eine Frage der Emanzipierung. Es ist vor allem auch Vehikel, um die Frauen des Landes zu porträtieren. Lange verharrt der Film in geschlossenen Räumen bei Hochzeiten und anderen Treffen, in denen die Frauen unter sich sind und ihre Abayas abstreifen, ihr Haar öffnen und sich unbeschwert und offen zeigen und reden. Eine ganze Parallelwelt tut sich hier auf, die so viel zu geben hätte, wenn es denn angenommen werden würde.

Doch bei allen Änderungen, so weit ist das Land noch nicht. Dass Maryam überhaupt in der Lage ist, ihre Kandidatur durchzuziehen, scheint schon unwahrscheinlich. Ein stetiges Mitfiebern und Mit-ihr-frustriert-Sein ergibt der Film, der vor allem atmosphärisch zwischen der Freiheit der geschlossenen Räume und der Enge der Gesellschaft changiert und dabei stets Situationen zeigt, in denen das Aufbegehren auf dermaßen vehementen Widerstand stößt, dass man um die Hauptfigur Angst bekommt.

Doch trotzdem ist The Perfect Candidate ein hoffnungsvoll in die Zukunft blickender Film. Ein Film, der erinnern will an die Kultur und die Kunst und der allein durch seine Existenz und sein Thema selbst Teil der kleinen Änderungen ist, die er porträtiert.

Die perfekte Kandidatin (2019)

Seit Jahren hat die junge saudische Ärztin Maryam vergeblich versucht zu erreichen, dass die Zufahrtstraße zu ihrer Klinik asphaltiert wird. Schließlich ist sie von den Zuständen rund um das Krankenhaus und von ihren eingeschränkten Möglichkeiten als Frau so empört, dass sie sich als Kandidatin für den Stadtrat aufstellen lässt. Ihre Kampagne kommt gut an, auch wenn ihr mit dem langjährigen Amtsinhaber ein scheinbar übermächtiger Konkurrenten gegenüber steht.

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Meinungen

Martin Zopick · 09.03.2022

Haifaa Al Mansour ist die profilierteste Regisseurin des Nahen Ostens. Es gelingt ihr immer wieder ein ganz alltägliches Thema aufzugreifen (so in Das Mädchen Wadjda geht es um ein Fahrrad für Mädchen) um es zu einem typischen Problem nicht nur ihrer Heimatregion zu machen, sondern sie verleiht ihm eine gewisse Allgemeingültigkeit.
Die Ärztin Maryam (Mila Al Zahrani) wollte eigentlich nur eine asphaltierte Zufahrt zu der Klinik, in der sie arbeitet. Weil sie weder den nötigen Respekt als Frau noch die Unterstützung der zuständigen Stellen findet, kandidiert sie für den Gemeinderat. Sie fällt zwar durch erreicht aber einen Achtungserfolg.
Der Film schildert die kleinen Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hat. Sie braucht z.B. die Genehmigung ihres Vormundes/Vaters, um mit dem Flugzeug zu einem Kongress zu fliegen. Auch im Job lassen sich manche alten Männer nicht von ihr untersuchen, obwohl sie ihnen hilft. Zwei Schwestern unterstützen sie. Ihr Vater, ein alleinerziehender Musiker, macht sich Vorwürfe. Er verfolgt nur seine Karriere und hat seine Tochter vernachlässigt, denkt er. Die Mutter ist gestorben. Sie war Sängerin.
So tun sich mehrere Klüfte auf: einmal das Vater – Tochter Verhältnis. Hier steht Kultur gegen Politik, Tradition gegen Fortschritt. Die Meinung ‘Die Frau gehört in die Küche‘ ist immer noch weit verbreitet.
Ganz subtil unterstreicht Al Mansour ihre Absichten. Als Maryam Zweifel über ihr Handeln kommen, hört sie Mutters CD und schöpft neue Kraft. Nach einer Rede auf der Videowand geht sie in den Saal voller Männer und spricht die Jungs direkt an und auf einer Hochzeitfeier ergreift sie das Mikro und singt sogar.
Als letzte Einstellung schweift die Kamera wortlos über die asphaltierte Zufahrt zum Krankenhaus…
Bleibt die Frage, ob die Regisseurin den Titel ernst meint oder ironisch!? Beides macht Sinn und unterstreicht die Bedeutung des Films.

Nelson Fademrecht · 14.02.2020

Sehr interessanter Film !