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Barbara Alberts Romanverfilmung „Die Mittagsfrau“ zeigt eine überragende Mala Emde in der Hauptrolle, bleibt als deutsche Geschichtsstunde aber zu oberflächlich.

Die Mittagsfrau (2023)

Eine Filmkritik von Janick Nolting

Der Zwang zum Erzählen

Mala Emde verwandelt sich in diesem Film in eine Sagengestalt. Eine Geschichte fordert sie ein, und eine Geschichte bringt sie mit. Helene, so heißt ihre Figur, kommt zu Beginn auf einen Bauernhof. Drückende Stille liegt über dem Gehöft, wenige Naturgeräusche sind noch entfernt zu vernehmen. Ein älterer Herr nimmt Helene in Empfang. Die Person, nach der sie eigentlich sucht, hält sich derweil versteckt. Am Küchentisch nun fällt der Verweis auf die Mittagsfrau, um das Schweigen zu brechen. Der Sage nach kommt diese Gestalt mittags auf das Feld und verlangt nach einer Erzählung. Verweigert man sich ihr, muss man dafür bitter bezahlen. „Die Mittagsfrau“ ist also Kino über einen zwingenden Austausch. Es fordert auf zum Artikulieren und Erinnern, zur Konfrontation mit alten Narben. Seine Protagonistin bringt selbst einen ganzen Ballast an Erfahrungen mit sich. Sie sprudeln nur so aus den montierten Szenen heraus und wagen schon nach kurzer Zeit den Sprung in die Vergangenheit, ehe sie in die Gegenwart des Hofes zurückkehren und den Kreis schließen werden. 

Um vor der Provinz und den Wutausbrüchen der trauernden Mutter zu fliehen, verschlägt es Helene in jungen Jahren mit ihrer Schwester (Liliane Amuat) in das Berlin der 1920er. Bei der Tante werden rauschende Partys gefeiert. Champagner, Sex und Charleston lassen die Nächte kürzer werden. Während Helene von einer Karriere als Ärztin träumt und eine Beziehung mit dem Studenten Karl (Thomas Prenn) beginnt, kommt mit dem Aufstieg der Nazis alles anders. Helene muss heiraten, ihre jüdische Identität verschleiern. Sie wird in die Rolle der Hausfrau und Mutter gedrängt, die sich dem Willen ihres neuen Mannes (Max von der Groeben) zu beugen hat. 

An dieser Stelle geschieht etwas Bemerkenswertes: Die Mittagsfrau wird in seiner Erzählung für kurze Zeit sesshaft, lässt sich auf Empfindungen ein. Er schafft einen düsteren Fokus, schlägt eine Schneise in all den Wust an Handlung. Die gräulichen Farbtöne der Wohnung legen sich wie Fesseln um die Protagonistin, Chaos regiert. Helene bricht unter der Last der Rollenerwartungen, die man ihr brutal aufoktroyiert, zusammen. Mala Emde spielt das mit großer Wucht. In einem gellenden Schrei verschmelzen irgendwann das Erschrecken gegenüber der eigenen Lage und dem Grauen der Welt mit der Angst, wie ihre Mutter als Wahnsinnige markiert und weggesperrt zu werden. 

In der Wohnung, wo die Alleingelassene versucht, Kind und Haushalt zu versorgen, offenbart sich der ganze brisante Kern, wenngleich er nur eine Episode bleiben darf. Über längere Zeit diesem zermürbenden Kampf auf engstem Raum beizuwohnen, der von gewalttätigen Zuschreibungen und Zurichtungen geprägt ist, während draußen am Fenster der Krieg und die weltpolitischen Dimensionen dieser Lage vorbeiziehen – das hätte ein tatsächlich verstörendes, aufrüttelndes Werk ergeben. Doch Die Mittagsfrau scheitert an einer gewissen Mutlosigkeit, die Romanvorlage von Julia Franck derart zu verdichten und auseinanderzupflücken. Stattdessen müht sich die Regisseurin und Ko-Autorin Barbara Albert ringsherum an unendlich viel Plot, Herleitung und Figurengeflecht ab. Es reicht nicht, für das dringliche Thema reaktionärer, sexistischer Rollenmuster und ihrer Bekämpfung eine spannende, widerspenstige Erzählform zu finden. Nein, alles muss unbedingt Panorama, ein Jahrzehnte umfassendes Epos über ein ganzes Leben werden. Alle Schicksalsschläge, alle Höhen und Tiefen sollen dabei abgebildet werden. Natürlich kann in einer solchen Fülle vieles nicht genügend Raum erhalten, um wirklich Erhellendes vorzuführen. In seiner finalen Erscheinung entpuppt sich Die Mittagsfrau nur als weiterer durchschnittlicher Historienfilm von vielen. 

Spielereien wie ein sich verengendes Format oder plötzliches Bildrauschen, das Erinnerungen, ekstatische Brüche und Kontraste zur Gegenwart schaffen will, erscheinen wie bemüht aufgepfropfte Tricks. Als ästhetisches Konzept, um ein Innenleben abzubilden, ist das zu fadenscheinig. Daneben drängt sich in der Station um Station abhakenden, romanartigen Erzählstruktur ein arg verflachender Blick auf die Geschichte auf. Die Mittagsfrau bleibt diskursiv an der Oberfläche, und so arbeitet etwa auch sein Blick auf die untergehenden Zwanzigerjahre allein mit Inszenierungsstrategien aus der Babylon-Berlin-Mottenkiste. Der Terror des NS-Regimes rauscht in der Perspektivierung des Films indes als übergroßes, abstraktes Unheil über die Figuren hinweg. Er gleicht einer plötzlichen Naturgewalt.

Man kann und sollte in einem fiktionalen Werk einen solch unbedarften, abschottenden Blick auf deutsche Geschichte nicht mehr an den Tag legen. Warum das so ist und wie es sich anders lösen ließe, kann man beispielsweise in den Experimenten von Dominik Graf (Fabian; Jeder schreibt für sich allein) erleben. Es wird Zeit, dass mehr Filmschaffende mit ähnlich radikalen Konzepten und Ideen ihnen nachziehen.

Die Mittagsfrau (2023)

Die junge Helene (Mala Emde) kommt mit ihrer Schwester Martha (Liliane Amuat) in das aufregende Berlin der wilden 20er Jahre. Während Martha sich im Party- und Drogenrausch verliert, will Helene Medizin studieren und Ärztin werden. In Karl (Thomas Prenn) findet sie die Liebe ihres Lebens. Die Tür zur Welt scheint für sie weit offen zu stehen. Mit Karls jähem Tod und dem gesellschaftlichen Umsturz durch die Nazis begegnet sie Wilhelm (Max von der Groeben), der sich unsterblich in sie verliebt. Doch ihre Lebensenergie und ihr starker Wille vertragen sich nicht mit Wilhelms traditionellen Rollenbildern und ihrer Mutterschaft. Helene trifft eine ungeheuerliche Entscheidung.

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