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Vincent Maël Cardona schickt uns in „Die Magnetischen“ in eine französische Kleinstadt Anfang der 1980er Jahre – und zeigt uns, wie die Musik den Heranwachsenden den Weg in die Zukunft weist.

Die Magnetischen (2020)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ein Post-Punk-Leben

Es beginnt in einer Stimmung der kollektiven Euphorie, des allgemeinen Aufbruchs: Nach mehreren Dekaden wird im Mai 1981 mit François Mitterrand erstmals wieder ein Linker zum französischen Staatsoberhaupt gewählt. Auch in der Kleinstadt, in der die zentralen Figuren aus „Die Magnetischen“ leben, sorgt dies für ein Gefühl der Befreiung, wenn auch nur recht flüchtig.

Hinzu kommt die beständigere Energie der Musik: Der charismatische Drifter Jérôme (Joseph Olivennes) betreibt mit seiner Clique den Piratensender Radio Warsaw. Der Name lehnt sich an den Bandnamen Warsaw an, unter dem die Post-Punk-Helden von Joy Division zeitweise aktiv waren, ehe sie international berühmt wurden. Während Jérôme die dominierende Stimme des Senders ist, bedient sein zurückhaltender, jüngerer Bruder Philippe (Thimotée Robart) die Regler. Die beiden leben mit ihrem Vater (Philippe Frécon) in einem alten Haus. Der Alltag in der französischen Provinz ist trist und monoton – doch der New-Wave-Sound verspricht Möglichkeiten der Veränderung.

Es gelingt Vincent Maël Cardona in seinem Spielfilmdebüt Die Magnetischen, die zahlreichen Widersprüche zu vermitteln, die das Dasein von Jérôme und Philippe an jenem Ort und zu jener Zeit prägen. Etwa wenn Philippe des Nachts auf einem Mofa durch die verschlafene Landschaft fährt und dabei Ian Curtis zu hören ist, der den Song Decades singt. In einer Umgebung, in der niemals etwas zu passieren und die Zeit schlichtweg stehen geblieben zu sein scheint, spürt die junge Generation ein heftiges Verlangen nach einem Wandel – politisch, sozial und nicht zuletzt emotional. Der Soundtrack des Films, mit Titeln von Gang of Four, Iggy Pop, The Undertones, Throbbing Gristle, Front 242 und vielen weiteren Künstler:innen der späten 1970er und frühen 1980er Jahre, teilt uns diesen progressiven Wunsch ganz unmissverständlich mit.

Die musikalischen Experimente, die der kreative Bastler Philippe in seinem improvisierten Dachboden-Studio unternimmt, bringen diese Spannung perfekt zum Ausdruck. Philippe erzeugt Loops, endlose Schleifen, mit Tonbändern, auf denen Klänge und Geräusche des Alltags zu hören sind. Einerseits spiegelt das wohl wieder, wie Philippe sich in seiner engen Welt gefangen fühlt; es lässt andererseits aber auch das Potenzial erkennen, etwas Neues schaffen zu können. Die lähmende Banalität des Kleinstadt-Kosmos wird von Philippe eingefangen – und daraufhin virtuos transformiert, mit dem schöpfungswilligen Geist der Post-Punk-Ära, im beherzten Do-it-yourself-Style.

Cardona hat sich für Die Magnetischen mit einem ganzen Drehbuch-Team, bestehend aus Romain Compingt, Chloé Larouchi, Maël Le Garrec, Catherine Paillé und Rose Philippon, zusammengetan, um von den Brüdern Jérôme und Philippe zu erzählen. Die Konflikte entsprechen einem klassischen Melodram: Beide Männer verlieben sich in die alleinerziehende Marianne (Marie Colomb), die mit ihrer kleinen Tochter aus Paris zurück in die heimatliche Provinz gezogen ist. Während es Jérôme zwar nicht an Selbstvertrauen mangelt, er jedoch am Übernehmen von Verantwortung für sich und für andere immer wieder scheitert, ist Philippe lange Zeit einfach zu schüchtern, um Marianne seine Liebe zu gestehen.

Durch die Einberufung zum Militärdienst verschlägt es Philippe nach West-Berlin. Die großartig geführte Kamera von Brice Pancot, die mit ihren körnigen Bildern und mithilfe einer stilechten, gekonnt ausgeleuchteten Ausstattung das Zeitkolorit sehr genau trifft, nimmt uns mit ins nächtliche Berliner Clubleben und ins Studio des Militärradios. Hier, weit weg von Zuhause, findet Philippe endlich einen Weg, auf einer Soundebene seine Gefühle für Marianne zu formulieren. Wie so viele Coming-of-Age-Filme, und doch auf ganz spezielle Art und Weise, zeigt Die Magnetischen, wie ein junger Mensch seine persönliche Sprache findet, um sein Innerstes zu kommunizieren.

Die Magnetischen (2020)

Die Bretagne in den 1980er Jahren: In ihrem verschlafenen Heimatdorf betreibt eine Gruppe von Freunden einen Piratensender. Angeführt wird die Gruppe von dem charismatischen Macho Jerome, in dessen Schatten sein technikaffiner jüngerer Bruder Philippe steht. Als Philippe zum Militärdienst in West-Berlin berufen wird, versucht Philippe mit aller Kraft, weiterhin passioniert seiner Leidenschaft für die Welt des Radios nachzukommen – doch er muss erkennen, dass diese Welt sich schon lange auf einem absteigenden Ast befindet. (Quelle: Port-au-Prince Pictures)

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