Die Lebenden

Eine Filmkritik von Lena Kettner

Das Loch im Herzen

Auf einmal ist nichts mehr wie zuvor, als Sita am 95. Geburtstag ihres Großvaters in Wien ein Foto von ihm in SS-Uniform findet. Sie kann nicht glauben, dass der von ihr über alles geliebte, gutmütige Mann tatsächlich Teil dieses Mordkommandos war. Nachdem ihr auch Vater Lenzi keine Auskunft über Opas Nazi-Vergangenheit geben will, macht sich Sita auf die Suche nach Antworten – in Wien, Warschau und Siebenbürgen, der Heimat ihrer Großeltern.
In ihrem neuen Spielfilm Die Lebenden, einer Mischung aus Road-Movie und Coming-of-Age Drama, verarbeitet die österreichische Regisseurin Barbara Albert Autobiographisches zu einem Drama über die Last der Schuld und die Verantwortung der dritten Generation nach dem Holocaust. Alberts Familie stammt wie Sitas Familie im Film väterlicherseits aus Siebenbürgen, auch unter den Familienmitgliedern der Regisseurin gab es welche, die sich freiwillig zur Arbeit in der SS meldeten und wie Sitas Großvater im Film als Wachpersonal im Konzentrationslager eingesetzt wurden.

Die Lebenden reiht sich ein in die Liste zahlloser NS-Vergangenheitsbewältigungsfilme der letzten Jahre im deutschsprachigen Raum, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Das liegt vor allem an Alberts allzu konstruiertem Drehbuch, das jeden Dialog und jede Wendung in diesem Film vorhersehbar macht und auf überdeutliche Symbolik setzt. Außerdem liegt es an der mangelnden Entschlossenheit der Regisseurin, sich ganz auf ihren Haupterzählstrang zu konzentrieren — so ist die Tatsache, dass Sitas Vater seine Frau und Tochter in Berlin verlassen und mittlerweile eine neue Familie in Wien gegründet hat, ebenso Teil des Films wie Sitas aufkeimende Beziehung zu dem israelischen Fotokünstler Jocquin.

Müde schleppt sich Die Lebenden von einer Station von Sitas Selbsterfahrungstrips zur nächsten und sie wird mit immer mehr erschreckenden Neuigkeiten über ihre toten Familienmitglieder konfrontiert. Ihr Vater wurde in Auschwitz geboren, die Großmutter lebte während des Krieges mit ihrem Großvater in Polen. Über Sitas Onkel Paul – Schriftsteller und schwarzes Schaf der Familie, seit er den eigenen Vater für einen seiner Romane zu dessen Vergangenheit befragte — erfährt sie von Videoaufnahmen, auf denen ihr Opa zu seiner Zeit als SS-Wachmann Stellung bezieht.

Die Germanistikstudentin merkt, dass sie mit ihren Verurteilungen und Schuldzuweisungen an eine Grenze stößt – und beginnt in der Konsequenz, die Verantwortung für ihr eigenes Leben selbst in die Hand zu nehmen. Dass das Loch in ihrem Herzen nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch in der Realität aufgrund einer Erbkrankheit immer größer wird, lässt diesen Film immer mehr in melodramatische Gefilde abgleiten. Bis zum Schluss bleibt Anna Fischer als Sita in ihrem Bemühen, Licht ins Dunkel der eigenen Familiengeschichte zu bringen, zu kraftlos, zu wenig manisch, um ihren inneren Wandlungsprozess für den Zuschauer spürbar werden zu lassen. Denn dieser vermittelt sich nicht allein durch Großaufnahmen ihres Gesichtes.

Die bisherigen Filme der Regisseurin Barbara Albert wie Fallen (2006) oder Böse Zellen (2003) zeichneten sich vor allem durch ihre nicht-linearen Erzählstrukturen und ihre düstere Weltsicht aus. Mit Die Lebenden hat die Regisseurin ein konventionell erzähltes Drama über die Frage nach dem Umgang ihrer Generation mit dem Erbe ihrer Großeltern geschaffen, das zu sehr an der Oberfläche bleibt, um neue Denkanstöße für den Zuschauer zu liefern.

Die Lebenden

Auf einmal ist nichts mehr wie zuvor, als Sita am 95. Geburtstag ihres Großvaters in Wien ein Foto von ihm in SS-Uniform findet. Sie kann nicht glauben, dass der von ihr über alles geliebte, gutmütige Mann tatsächlich Teil dieses Mordkommandos war. Nachdem ihr auch Vater Lenzi keine Auskunft über Opas Nazi-Vergangenheit geben will, macht sich Sita auf die Suche nach Antworten – in Wien, Warschau und Siebenbürgen, der Heimat ihrer Großeltern.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen