Die Kunst, sich die Schuhe zu binden (2011)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Willkommen im "Paradies"

Im Jahr 1996 arbeitete Pär Johansson im schwedischen Hudiksvall in einem Tagespflegeheim für geistig Behinderte. Dort fiel ihm auf, dass die Bewohner selten Kontakt zu Menschen außerhalb des Heimes haben, sondern meistens unter sich blieben. Zur Erweiterung des Aktivitätenangebots gründete er eine Theatergruppe, durch die die Bewohner zudem leichter in Interaktion mit ihrer Umgebung außerhalb des Heimes treten konnten. Sie sollten von der Gesellschaft gesehen werden. Seine Kollegen waren anfangs skeptisch, die Familienangehörigen wollten die erste Aufführung sogar verhindern. Aber schon die erste Vorstellung der Theatergruppe hatte 400 Zuschauer und stieß auf positive Resonanz. Mittlerweile ist das „Glada Hudik“-Theater überall in Schweden bekannt und das Ensemble ist mit seiner Interpretation des Musicals „Elvis“ schon am Broadway aufgetreten.

Diese Geschichte des Theaters ruft wahrlich nach einer Verfilmung. Und in ihrem herzerwärmenden Film Die Kunst, sich die Schuhe zu binden erzählt die schwedische Drehbuchautorin und Regisseurin Lena Koppel recht frei von der Entstehung dieser Gruppe. Im Mittelpunkt ihres Films steht der arbeitslose Schauspieler Alex (Sverrir Gudnason), der seine Unzuverlässigkeit und Bequemlichkeit bislang mit seinem Charme überspielen konnte. Aber nun hat seine Freundin Lisa (Cecilia Fors) die Nase voll und setzt ihn vor die Tür. Also kehrt er nach Hudiksvall zurück und will beweisen, dass er sein Leben ändern kann. Das Arbeitsamt vermittelt ihm einen Job als Betreuer in einem Heim für geistig behinderte Menschen, das den schönen Namen „Paradies“ trägt. Jeden Tag soll er mit seiner Gruppe zu einem Gehöft fahren, auf dem seine Schützlinge Feuerholz herstellen und ihre Fähigkeiten erweitern sollen. Ruhe und Geduld sind dafür nämlich in den strengen Augen der erfahrenen Betreuerin Hanna (Vanna Rosenberg) die wichtigsten Eigenschaften, außerdem soll Alex klare Anweisungen geben. Aber nach Alex‘ Meinung gehört Spaß ebenso zum Leben, das man sich ohnehin nicht allzu schwer machen sollte. Warum sollte man also acht Jahre lang lernen, sich die Schuhe zu binden, wenn es auch Klettverschlüsse gibt?

Mit dieser Leichtigkeit ist Alex bisher durchs Leben gegangen. Aber im „Paradies“ muss er lernen, Verantwortung zu übernehmen und die richtige Balance aus Spaß und Pflicht zu finden. Diesen Weg verknüpft Lena Koppel mit dem Weg der Gruppe auf die Bühne. Denn Alex ist überzeugt, dass in jedem Menschen ein Talent steckt, das es wert ist, gefördert zu werden. Seine Gruppe liebt Musik und insbesondere die sensible Katarina verfügt über eine erstaunliche Stimme. Nachdem er diese Leidenschaft entdeckt hat, will er sie auf die Bühne – in diesem Fall eine Talentshow im schwedischen Fernsehen – bringen. Die Familienangehörigen sind natürlich dagegen, auch die Heimleitung ist nicht überzeugt. Aber so schnell lassen sich Alex und seine Schützlinge nicht entmutigen.

Lena Kloppel erzählt diese Geschichte mit klassischer Dramenstruktur: Alex will in Hudiksvall seiner Freundin beweisen, dass er sich ändern kann. Seinen Job nimmt er anfangs auf die leichte Schulter, aber er hat das Herz am rechten Fleck und will die Bewohner unterstützen. Dann verliert er zusehends die Kontrolle über das Geschehen – erkennt aber, dass auch er Verantwortung tragen muss. Schließlich steht er den Bewohnern im entscheidenden Moment bei, scheitert und überwindet im zweiten Versuch alle Widerstände. Durch diesen geradlinigen Aufbau umschifft Lena Koppel viele Fallstricke und vermeidet vor allem Kitsch. Indem sie darauf verzichtet hat, einen plakativ-fiesen Bösewicht einzuführen, fallen zudem unnötige Gags, Umwege oder Slapstick-Einlagen weg. Stattdessen gibt es sehr viel warmherzigen Humor. Dadurch erscheint der Film trotz seiner durchaus vorhersehbaren Geschichte sehr aufrichtig. Dazu trägt vor allem bei, dass die Schauspieler, die die Mitglieder der Theatergruppe spielen, tatsächlich geistig behindert sind. Sie spielen aber nicht sich selbst, sondern eine Rolle – und wurden für ihre Arbeit auch bezahlt. Dabei ist besonders Ellinore Holmer, die im wahren Leben an dem Asperger-Syndrom leidet, als Katarina herzzerreißend.

Die Kunst, sich die Schuhe zu binden war 2011 der Sommerhit in den schwedischen Kinos und hat auch hierzulande das Potential zu einem Überraschungserfolg. Sicherlich werden viele Widerstände, die im realen Leben auftreten, ausgeblendet und manches erscheint zu einfach. Aber dieser Film führt seine Botschaft, dass jeder Talente hat, sehr eindrücklich und mit liebevollem Humor vor Augen. Und manchmal können auch simple Botschaften einfach zu Herzen gehen.
 

Die Kunst, sich die Schuhe zu binden (2011)

Im Jahr 1996 arbeitete Pär Johansson im schwedischen Hudiksvall in einem Tagespflegeheim für geistig Behinderte. Dort fiel ihm auf, dass die Bewohner selten Kontakt zu Menschen außerhalb des Heimes haben, sondern meistens unter sich blieben. Zur Erweiterung des Aktivitätenangebots gründete er eine Theatergruppe, durch die die Bewohner zudem leichter in Interaktion mit ihrer Umgebung außerhalb des Heimes treten konnten.

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