Die Kunst des negativen Denkens

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wohnst du noch oder tobst du schon?

Was tun wenn einem im perfekten Skandinavienhaus die Decke auf den Kopf fällt? Richtig: einfach die Einrichtung zertrümmern! Das zumindest hält Geirr (Fridjov Saheim) für die beste Therapie, um seinen Frust loszuwerden. Davon hat sich bei dem 33jährigen Altrocker jede Menge angestaut, denn seit einem Unfall sitzt er im Rollstuhl und sieht in seinem Leben als Krüppel keinen Sinn mehr. Da hilft weder die hübsche Ehefrau Invild (Kirsti Eline Torhaug), die es doch nur gut mit ihm meint, noch das von der Lebensversicherung bezahlte Traumhaus, noch die einfühlsame Selbsthilfegruppe, die Invild eines Tages anschleppt. Im Gegenteil: angeführt von Psychotherapeutin Tori (Kjersti Holmen) bringen die fünf Knallköpfe Geirrs Blut erst richtig in Wallung. Ihr scheinheiliges Gelaber und die gehäkelte Kotztüte, worin jeder seinen Frust aussprechen soll, lassen ihn dann völlig ausrasten. Auch wenn es eini-ge noch härter getroffen hat – etwa die vom Hals abwärts gelähmte Marte (Marian Saastad Ottesen) oder den sabbernden Asbjorn (Per Schaarning) –, Geirr setzt sich auf Platz 1 der wem-geht-es-am-schlechtesten-Liste. Seine Devise lautet: Tacheles reden, rumpöbeln und Hasch rauchen.
Geirrs Konfrontationskurs stößt nicht nur bei seinen Mitmenschen auf Widerstand, auch der Zuschauer fühlt sich vor den Kopf gestoßen. Wieso sollten wir einem vor Selbstmitleid zerfließenden Rowdy Recht geben? Was weiß der schon vom Leben? Wie könnten wir seine Therapiemethode überhaupt gutheißen? Wir können nicht nur, wir sollten sogar. Denn spätestens seit Vinterbergs Dogmabeitrag Das Fest wissen wir: tief in jedem von uns schlummern verborgene Ängste, die früher oder später zu Tage treten und zu heftigsten Auseinandersetzungen mit der Familie führen. Da ist es doch nur angebracht, sich den eigenen Traumata gleich zu stellen und sie im Rauschzustand mit fremden Leuten auszudiskutieren.

Die Kunst des negativen Denkens / Kunsten å tenke negativt ist ein ehrlicher Film, der klare Antworten gibt. Auch wenn Regisseur Bård Breien keine wackelige Handkamera verwendet, um den Wirklichkeitsgrad seiner Geschichte zu unterstreichen, und in der Eingangssequenz vom Hauptschauplatz abweicht, so bleibt er doch nah dran an den 10 goldenen Dogmaregeln und erreicht durch die Kraft seiner Erzählung Authentizität. Je weiter diese voranschreitet, umso tiefer dringt Breien in das komplexe Geflecht zwischen-menschlicher Beziehungen vor. Sein Film ist ein klug inszeniertes Kammerspiel, das sich auf die Psychologie der Figuren konzentriert, dabei aber nie einen zynischen Humor außer Acht lässt und so zu einer Komödie mit Tiefgang wird. Erleichtert und voll pessimistischer Zuversicht verlässt der Zuschauer den Kinosaal, denn er weiß jetzt mit Bestimmtheit: ein perfektes Haus allein macht eben nicht glücklich.

(Magali Joly)

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Wenn der Satz „Wir meinen es doch nur gut mit dir“ fällt, dann sollten eigentlich alle Alarmglocken angehen. Denn selten verbirgt sich hinter so viel Fürsorge etwas Gutes – davon können viele Heranwachsende ein Lied singen, wenn die Meinungen mit den Eltern darüber, was gut ist, einmal mehr auseinander gehen. Doch der Widerwillen gegen gute bzw. gut gemeinte Ratschläge und die häufig genug damit einhergehende Bevormundung ist keinesfalls nur der Ausdruck eines Generationenkonflikts, sondern vielmehr ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. In Zeiten wie diesen, die von Ängsten und dem Diktat der „political correctness“ geprägt sind, regt sich eben auch Widerstand gegen die Koalition aus Gutmenschen, Bedenkenträgern und den esoterisch angehauchten Zwangsoptimisten à la Joe Vitale (The Key) oder Rhonda Byrne (The Secret). Auch Bard Breiens zynischer und in vielen Punkten äußerst zutreffender Film lässt sich nicht lumpen und haut kräftig zu, wobei beinahe jeder Schlag auch immer ein Treffer ins Zwerchfell ist.

Seit einem Unfall sitzt Geirr (Fridjov Saheim) querschnittsgelähmt im Rollstuhl und ergibt sich knirschend und hadernd seinem Geschick. Dauerkiffend und keifend frönt er seiner schlechten Laune, lauscht den düsteren Songs von Johnny Cash und zieht sich einen Kriegsfilm nach dem anderen rein, bis es seiner Frau Ingvild (Kirsti Eline Torhaug) schließlich zuviel wird. Um ihren Mann von seinem selbstzerstörerischen und misanthropen Trip wieder herunterzubringen, wendet sie sich an die Psychotherapeutin Tori (Kjersti Holmen), die viel Erfahrung mit der Behindertenarbeit hat und die eine Therapiegruppe leitet. Entschlossen, Geirrs verwirrte Seele zu retten, macht sich die energische Optimistin auf den Weg zu Ingvild und ihrem Mann, um ihm die Kraft des positiven Denkens zu lehren. Doch sie hat nicht mit Geirrs entschiedenem Widerstand und seiner sehr hartnäckig negativen Weltsicht gerechnet, die keine Tabus kennt. Im Laufe einer sehr turbulenten Nacht mischt der Gelähmte Toris Therapiegruppe auf und demaskiert gnadenlos die Lebenslügen und die Heuchelei, die sich hinter dem verordneten Optimismus verbergen.

Eine „Feelbad-Komödie“ nennt der norwegische Regisseur und Autor Bard Breien seinen Film Die Kunst des negativen Denkens / Kunsten å tenke negativt und macht damit schnell deutlich, dass es ihm weniger um Harmonie, sondern vielmehr um Konfrontation und Zoff geht. Und so lässt er es auch mit sicht- und spürbarem Genuss krachen und demontiert mit viel sadistischer Freude Toris Rituale wie etwa die gehäkelte Kotztüte, in die nach ihrem Willen alle negativen Gedanken auf Nimmerwiedersehen verschwinden sollen. Geirr allerdings braucht so eine Krücke nicht und kotzt der Therapeutin und ihrer Gruppe seine Wut und Frustration lieber höchstpersönlich ins Gesicht. Irgendwo zwischen Lars von Triers Idioten, Anders Thomas Jensens Adams Äpfel und natürlich dem rabenschwarzen Harold und Maude bewegt sich Bard Breien mit seinem Generalangriff auf all die Tabus und Don’ts, die wir im Umgang mit Behinderten bemühen. Und wer sich an den ebenfalls norwegischen Film Elling erinnert fühlt, dem sei gesagt, dass dies kein Zufall ist. Denn der Elling-Produzent Dag Alveberg zeichnet auch für diese Produktion verantwortlich, die wieder einmal zeigt, dass ausgerechnet im freundlichen Skandinavien Sarkasmus und schwärzester Humor sehr wohl zuhause sind.

In Deutschland würde solch ein bissiges und bitterböses Projekt wohl bereits am energischen Widerstand von Filmförderern und Fernsehredakteuren scheitern. Das ist aber auch schon das Einzige, was an diesem Film traurig stimmt – selten wurde ein ernstes Thema so respektlos verhandelt wie hier. Wer also schwarzen Humor auf den Tod nicht ausstehen kann, der sei eindringlich vor dem Besuch dieses Films gewarnt. Alle Anderen aber werden ihren Heidenspaß an dem wüsten Treiben auf der Leinwand haben.

Die Kunst des negativen Denkens

Was tun wenn einem im perfekten Skandinavienhaus die Decke auf den Kopf fällt? Richtig: einfach die Einrichtung zertrümmern! Das zumindest hält Geirr (Fridjov Saheim) für die beste Therapie, um seinen Frust loszuwerden.
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Meinungen

Ronny · 23.12.2008

ein wunderschöner Film, der Menschlichkeit und rebellische Lebendigkeit auf eine sehr feine darstellt. Der schönste Film für mich in 2008

· 21.09.2008

Sehr sehenswerter Film, der gut gemeinte Ratschläge kritisch unter die Lupe nimmt.