Die kommenden Tage

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Was demnächst geschieht...

Wohin gehen wir? Wie wird sich unsere Welt in den nächsten Jahren verändern? Auf welche Umwälzungen müssen wir uns gefasst machen? Dies alles sind Fragen, die uns immer wieder beschäftigen. Mit genau diesen Fragen beschäftigt sich Lars Kraume (Keine Lieder über Liebe) in seinem neuen Film Die kommenden Tage und scheut dabei nicht vor mutigen Thesen und einer dicht komprimierten Dramaturgie zurück. Das Ergebnis ist ein Film mit enormem Potenzial und einigen nicht zu übersehenden Schwächen.
Es ist vor allem eine Familie, von der der Film erzählt und anhand derer Lars Kraume die Entwicklungen der nächsten zehn Jahre in Deutschland nachzeichnet. Der erfolgreiche Wirtschaftsanwalt Walter Kuper (Ernst Stötzner) und seine Frau Martha (Susanne Lothar) haben drei erwachsene Kinder, die beiden Töchter Laura (Bernadette Heerwagen) und Cecilia (Johanna Wokalek) sowie den jüngeren Philip (Vincent Redetzki). Um die Ehe der Eltern ist es nicht zum Besten bestellt, zudem gibt es Gerüchte, dass Walter gar nicht Philips leiblicher Vater sei – doch der Schein des Familienglücks muss um jeden Preis aufrecht erhalten werden.

Cecilia rebelliert auf ihre Weise gegen die marode bürgerliche Welt ihrer Eltern und radikalisiert sich unter dem Eindruck ihres Freundes Konstantin Richter (August Diehl). Angewidert vom vierten Golfkrieg, bei dem die westliche Welt um die Sicherung der fossilen Brennstoffe kämpft, beginnen die beiden zuerst mit harmlosen Happenings gegen die Verantwortlichen des Krieges und schließen sich dann der Untergrundorganisation „Schwarze Stürme“ an, die mit Cyberangriffen und anderen Aktionen ein Chaos heraufbeschwören will. Was anfangs noch als ausschließlich gewaltloser Widerstand geplant ist, wird zunehmend brutaler und rücksichtsloser, bis schließlich auch politische Morde und Attentate auf der Agenda stehen – Konstantin und Cecilia gehen in den Untergrund.

Laura hingegen scheint ihr Glück bei dem jungen Anwalt Hans (Daniel Brühl) zu finden, der unter einer Augenkrankheit leidet, die ihn sukzessive erblinden lässt. Um die letzten Jahre zu genießen, in denen er sehen kann, gibt Hans seinen Job in der Kanzlei von Lauras Vater auf und widmet sich der Beobachtung von Vögeln und seiner Beziehung zu Laura. Doch das Glück der beiden steht unter keinem guten Stern. Und die zunehmenden politischen Unruhen und Entwicklungen der Gesellschaft lassen ein privates Glück ebenso wenig zu wie die tiefen Verwerfungen innerhalb der Familie Lauras.

Schon die ersten Filmbilder machen klar, dass Lars Kraume mit seinem Film das ganz große Kino erschaffen will, das sich vor internationalen Produktionen nicht zu verstecken braucht. Und dies ist ihm in der Tat streckenweise auch recht beeindruckend gelungen. Wenn Laura am Anfang die Festung Europa verlässt und durch den Zaun, der die reichen Länder des Nordens gegen die marodierenden Eindringlingen aus dem Süden schützt, in die freie Zone ausreist, sind das Bilder, wie man sie im deutschen Kino sonst nur selten zu sehen bekommt. Zudem bergen sie gerade angesichts aktueller Debatten um Migration und Integration und im Lichte schriller politischer Debatten und Slogans erheblichen Sprengstoff. Zweifelsohne: Das Bild, das Kraume von der nahen Zukunft zeichnet, ist kein schönes und angenehmes, zumal er letzten Endes nur konsequent weiterspinnt, was wir derzeit an Meinungsbildung erleben. In gewisser Weise scheint es fast so, als habe Kraume die beunruhigenden letzten Worte („Es geht los!“, sagt da die Protagonistin angesichts fliehender Menschen auf der Straße) in Christoph Hochhäuslers Film Unter dir die Stadt als Ausgangspunkt für einen neuen, stilistisch vollkommen anders gearteten Film genommen.

So mutig Die kommenden Tage im Bezug auf Prognosen und (düstere) Aussichten auch sein mag, so verzagt ist der Film in manch anderen Aspekten. Trotz starker Darsteller erinnert beispielsweise die Besetzung des Films an bekannte Vorbilder, Daniel Brühl, August Diehl und Johanna Wokalek knüpfen beinahe nahtlos an vorherige Rollen an und machen mit diesem „(stereo)type casting“ so schnell klar, wie die einzelnen Figuren angelegt sind und welche Entwicklung der Zuschauer von den Charakteren zu erwarten hat. Zudem erscheint der Plot an einigen Stellen überladen, verliert sich immer wieder in Seitensträngen der Erzählung, operiert mit Unwahrscheinlichkeiten (wie gelingt es den Widerstandskämpfern ohne Schwierigkeiten, einige Mitglieder als Polizisten bei einer Demonstration einzuschmuggeln?) und emotionalen Verdichtungen und Verwicklungen (muss Hans neben einer Augenkrankheit auch noch einen Gendefekt aufweisen), die den Film zum Teil recht dick aufgetragen erscheinen lassen. Schade ist auch, dass man trotz zahlreicher kleiner Details in der ersten Hälfe des Films so wenig über die Gesellschaft der nahen Zukunft und ihre Widersacher erfährt, weil hier erst einmal die Grundlagen für die emotionalen Konflikte gelegt werden. Genau diese aber sind im Gegensatz zu den gesellschaftlichen und politischen Thesen die Films viel weniger interessant, da sie vor allem wohlbekannte Konstellationen nachzeichnen, die sich immer wieder hart an der Grenze zum Stereotyp, zum Klischee bewegen.

Sieht man über Unstimmigkeiten wie diese hinweg, ist Die kommenden Tage aber dank einer faszinierenden Prämisse ein stellenweise sehenswerter und durchaus gewagter Film, der beunruhigt und manche Fragen aufwirft, deren Dringlichkeit man sich nicht entziehen kann.

Das Interesse an der nahen Zukunft, es könnte beinahe so etwas wie das Markenzeichen der Produktion werden, die für Die kommenden Tage verantwortlich zeichnet. Badlands, von Lars Kraume, Matthias Glasner, Jürgen Vogel und Frank Döhmann gegründet, hatte zuvor als ersten Film Glasners This Is Love realisiert, auch der spielte in der nahen Zukunft und orientierte sich in seinem Look eher an internationalen Vorbildern als der Fernsehästhetik vieler deutscher Filme. Auch wenn Die kommenden Tage in den Kinos scheitern sollte, der Weg, den Badlands Film beschreitet, ist mutig und füllt eine Lücke im deutschen Kino. Die Zukunft, unsere Zukunft ist zu wichtig, um sie alleine den Politikern und den Gestaltern aus der Wirtschaft zu überlassen. Filme wie Die kommenden Tage können durchaus ein Korrektiv zu den offiziellen Lesarten schaffen und Gegenwelten entwerfen. Lars Kraumes Film erfüllt diesen Ansatz zwar nicht in perfekter Weise, aber er zeigt einen Weg auf, den zu beschreiten sich lohnen könnte.

Die kommenden Tage

Wohin gehen wir? Wie wird sich unsere Welt in den nächsten Jahren verändern? Auf welche Umwälzungen müssen wir uns gefasst machen? Dies alles sind Fragen, die uns immer wieder beschäftigen. Mit genau diesen Fragen beschäftigt sich Lars Kraume („Keine Lieder über Liebe“) in seinem neuen Film „Die kommenden Tage“ und scheut dabei nicht vor mutigen Thesen und einer dicht komprimierten Dramaturgie zurück.
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Meinungen

Caro · 22.11.2010

Lange nicht mehr so einen schlechten Film gesehen. Die Idee ist interessant, aber der Plot ist so heillos überladen, die Figuren so klischeehaft gezeichnet, dazu noch ein paar billige Schockeffekte. Insgesamt hatte die Inszenierung mehr Fernsehfilm-Niveau und die spannenden Probleme wurden nur sehr oberflächlich behandelt, da zu viel Zeit auf die üblichen Beziehungsproblemchen verwandt wurde, die vollkommen überflüssig und pathetisch überzogen waren. Definitiv keine Empfehlung!

Susi · 15.11.2010

Absolut sehenswert und nachhaltig beeindruckend. Habe im Anschluss stundenlang mit meinen Freunden über die Zukunft der Menschheit diskutiert. Einiges im Film gezeigtes kommt mir nicht so weit weg von der (zukünftigen?) Realität vor. Auch wenn wir das hier in unserer kleinen heilen Welt nicht wahrhaben wollen.

Melanie · 12.11.2010

Einer der besten Filme seit langem. Absolut sehenswert!

Simone · 12.11.2010

Ich finde den Film trotz einigen Schwächen empfehlenswert. Er hat dieses Etwas, was zum Nachdenken über eigenes Leben und über den Sinn des Lebens anregt. Filme dieser Art sind einfach nicht so spannend und deswegen scheinen sie ein bisschen langweilig zu sein. Man muss solche Filme mögen.

hannes · 09.11.2010

Das selbe Problem wie "Baader-Meinhof". Viel zu viel zeitlich zu weit auseinanderliegende Szenen, untereinander nicht verknüpft und immer nur an der Oberfläche kratzend. Schade, das Thema hätte mehr hergegeben.
Und dann noch die Kameraführung. Ein bisschen verwackelt, um Dokuatmosphäre aufkommen zu lassen. Bei mir kam deshalb allerdings Kopfschmerz auf.

Gabriele Heinrich · 04.11.2010

Mich hat der Film sehr nachdenklich gemacht und auch nachhaltig beeindruckt und ich finde ihn - trotz einiger in der "Kritik" angesprochenen "Schwächen" ausgesprochen sehenswert.

mm · 03.11.2010

Habe den Film auch gesneakt und fand ihn zu lang und zäh.....Ich mag auch gern ruhig erzählte Filme, aber hier ist man immer kurz vor dem einschlafen. Es gibt Filmkunst und Kunstfilm. Dies war ein Kunstfilm..

Mike · 03.11.2010

Der Film war nicht ohne, haben ihn in Berlin gesehen. Verstehe meinen Vorredner in keinster Weise. Auch das Interview mit Lars Kraume war aufschlußreich!

jen · 03.11.2010

Ich habe den Film gestern in der Sneak gesehen.
Die Filmemacher und Schauspieler sollten sich für diese Greueltat von Film schämen.
Langweilig und vor allem viel zu lang und mit unnötigen Szenen gefüllt, unrealistisches Familiendrama a la Lindenstraße mitreingepackt. Dieser Film ist schrecklich schlecht! Wenn man ein gutes Thema nicht umsetzten kann, soll man es lassen!