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Hélène Angel zeigt den französischen Schulalltag – und findet glaubwürdige Worte und Bilder, um von Bildung, Stress und komplizierten Problemen zu erzählen.

Die Grundschullehrerin (2016)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

School’s never out

Nein – Hélène Angels Film ist kein Beitrag zur populären Feelgood-Disziplin des französischen Arthouse-Kinos; aus gutem Grund lautet dessen Titel nicht etwa „Die niedlichen Kinder der Madame Mautret“, sondern ganz einfach „Die Grundschullehrerin“ (im Original noch schlichter „Primaire“). Mit spürbarem Willen zu einer authentischen Darstellung zeigt das Werk die Schwierigkeit, Beruf und Privates in Einklang zu bringen, klare Grenzen zu ziehen und keinen der beiden Bereiche zu vernachlässigen.

Im Zentrum steht Florence Mautret (Sara Forestier), die als Grundschullehrerin in Grenoble arbeitet. Mit ihrem Sohn Denis (Albert Cousi), welcher auch in ihre Klasse geht, lebt sie – getrennt von dessen Vater (Antoine Gouy) – in einer Wohnung im Schulgebäude. Der Direktor Sabatier (Patrick D’Assumçao) und der Hausmeister Rémi (Frédéric Boismoreau) sind ihre Nachbarn. Das Schuljahr neigt sich dem Ende zu; die Versetzung der Kinder sowie die Darbietung eines Theaterstückes zum Abschluss sind die großen Ziele dieser aufreibenden Phase.

Als der Schüler Sacha Drouet (Ghillas Bendjoudi) aus einer Parallelklasse in den Unterricht von Florence geschickt wird, da er keine Schwimmsachen bei sich hat, stellt sich bald heraus, dass die Mutter (Laure Calamy) des Jungen vor zehn Tagen verschwunden ist und ihren Sohn mit Geld in der Wohnung zurückgelassen hat, damit dieser sich davon Junkfood kaufen kann. Mathieu (Vincent Elbaz) – ein Ex-Freund der Mutter, der für ein Sushi-Restaurant als Motorradkurier tätig ist – wird als Notfallkontakt ausfindig gemacht; dennoch bleibt die Frage, ob das Jugendamt alarmiert werden muss. Überdies wird Florence damit konfrontiert, dass Denis zusammen mit seinem Vater nach Java reisen will.

Hélène Angel gelingt es, den schulischen Alltag, die Hektik, das Chaos, die Renitenz der Kinder und die Überforderung des Kollegiums glaubhaft einzufangen. Es geht um kleine und große Sorgen der Schüler_innen – manche haben durch eine Lernstörung Probleme, dem Stoff zu folgen, andere sind unkonzentriert und spielen den Clown. Ebenso gibt das Drehbuch von Angel und Yann Coridian Einblick in die Beunruhigungen und Methoden der Lehrer_innen: Das (mal beiläufige, mal dringliche) Reden über finanzielle Situationen, über Arbeitsethos und Stressabwehr wirkt niemals thesenhaft, sondern realistisch. Hier werden nicht im Message-Movie-Stil die Missstände im Bildungssystem angeprangert; es findet keine Schelte gleichgültiger oder pragmatischer Pädagog_innen und auch keine Feier des Idealismus statt.

Vielmehr macht der Film in seinen Handlungssträngen deutlich, dass es selten die „Guten“ und die „Bösen“ gibt und dass sich nicht für alle Konflikte Happy-End-taugliche Lösungen finden. Damit verfällt die Geschichte nicht in eine allzu konventionelle Dramaturgie; obendrein verzichten Angel und ihr Kameramann Yves Angelo auf plakative und kitschige Bilder. Die Art und Weise, wie das Duo das Klassenzimmer in oft dynamischen Aufnahmen als Schauplatz für lustige, enervierende und gelegentlich auch prägende Momente nutzt, ist abwechslungsreich. Einige Dinge werden im Laufe des Geschehens nur angerissen, etwa die Selbstzweifel der jungen Referendarin Laure (Lucie Desclozeaux); der Liebes-Subplot zwischen Florence und Mathieu mutet zudem etwas forciert an – der Strang um die autistische Schülerin Charlie (Hannah Brunt) und deren Betreuerin Madame Duru (Guilaine Londez) entwickelt indes auch in seiner Kürze eine erfreuliche Tiefe.

Sara Forestier (Der Name der Leute) verkörpert die Titelrolle mit Energie, lässt aber stets erkennen, dass Florence keine Heldin ohne Fehl und Tadel ist. Die (über-)engagierte Lehrerin muss ihr eigenes Agieren immer wieder hinterfragen und sich Fehler eingestehen. Auch das Mutter-Sohn-Verhältnis wird differenziert gestaltet; Denis ist kein typisches, handzahm-süßes Filmkind, sondern launisch und in seinem Verhalten seiner Mutter gegenüber ab und zu ungerecht, gar verletzend – wie sich ein sehr junger Mensch eben zuweilen im Leben (seltener jedoch im Mainstream-Kino) gebärdet. Der Darsteller Albert Cousi ist – ebenso wie seine etwa gleichaltrigen Co-Stars Ghillas Bendjoudi und Hannah Brunt – eine echte Entdeckung.

Die Grundschullehrerin (2016)

Florence ist eine hingebungsvolle Lehrerin — und genau das wird zum Problem, als sie Sacha kennenlernt, der aus schwierigen Verhältnissen kommt. Wegen ihm vernachlässigt sie ihre eigene Familie, ihre Kinder, ihren Job, ihr ganzes Leben, bis sie feststellen muss, dass es niemals zu spät ist um etwas zu lernen.

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