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Ein erschütternder realer Kriminalfall und eine gewohnt präsente Isabelle Huppert reichen nicht aus, um Jean-Paul Salomés „Die Gewerkschafterin“ zu einem stimmigen, durchgehend packenden Film zu machen. Mehr als einmal knarzt es im dramaturgischen Gebälk.

Die Gewerkschafterin (2022)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Plötzlich am Pranger

Isabelle Huppert gehört zu den größten lebenden Schauspielerinnen überhaupt. Ihre Wandlungsfähigkeit, ihre Ausstrahlung und ihren Mut zu unbequemen Rollen demonstrierte sie in den letzten Jahren wohl nie so deutlich wie in Paul Verhoevens Romanverfilmung „Elle“, einem im besten Snne herausfordernden Thriller-Drama, das die überraschende Reaktion einer selbstsicheren Unternehmerin auf eine Vergewaltigung in den eigenen vier Wänden nachzeichnet. Erinnerungen an diese unberechenbare, Schweiz-Weiß-Muster unterlaufende Geschichte weckt der auf wahren Begebenheiten basierende Film „Die Gewerkschafterin“, in dem Jean-Paul Salomé („Eine Frau mit berauschenden Talenten“) auf Grundlage eines Buches von Caroline Michel-Aguirre den niederschmetternden Fall der gut vernetzten Arbeitnehmervertreterin Maureen Kearney, einer in Frankreich lebenden Irin, schildert. 

Auch hier steht am Anfang ein schockierendes Sexualverbrechen, das unglaubliche Blüten treibt: Ende 2012 wird Kearney im Keller ihres Anwesens von ihrer Haushälterin entdeckt, die Augen verbunden, an Händen und Füßen gefesselt, ein „A“ in den Bauch geritzt und ein Messer mit dem Griff nach innen in ihre Vagina gerammt. Im Anschluss an diesen gespenstischen Einstieg, der wenig zeigt, über den Notruf der Bediensteten aber alles Notwendige erzählt, springt der Film einige Monate in der Zeit zurück, und wir lernen die Protagonistin als Kämpferin kennen, die sich besonders für die Rechte der weiblichen Beschäftigten des Großkonzerns Areva einsetzt. 

Als Luc Oursel (Yvan Attal) von Anne Lauvergeon (Marina Foïs) die Leitung der vor allem in der Nuklearindustrie tätigen, mehrheitlich staatlichen Firma übernimmt, zieht dort ein raueres Klima ein. Dem cholerischen neuen Chef ist Kearney lästig. Erst recht, als sie dank eines geheimen Informanten Wind von dubiosen Kooperationsplänen mit China bekommt, die zahlreiche heimische Arbeitsplätze gefährden würden. Entschlossen tritt sie dem Vorhaben entgegen, während es parallel zu ersten Einschüchterungsversuchen kommt.

Regisseur Salomé und Mitdrehbuchautorin Fadette Drouard (Der Rosengarten von Madame Vernet) machen schon sehr früh klar, welche Aspekte des Falls sie am wichtigsten finden. Immer wieder wird betont, wie schwer es Frauen in der männlich dominierten Branche haben, dass sie sich viel mehr über Kompetenzen beweisen müssen und ständigem Sexismus ausgesetzt sind. Da derartige Tendenzen in der Tat längst nicht der Vergangenheit angehören, ist es gut, dass Die Gewerkschafterin sie anprangert. Was allerdings etwas stört: Hier und da packt der Film den Holzhammer aus und kommt in seiner Überdeutlichkeit zu plump daher. 

Insgesamt teilt sich die Handlung in zwei große Blöcke. Der erste beschreibt Kearneys Anstrengungen, sich Gehör zu verschaffen, die ominösen Absprachen zu durchblicken, und ihr wachsendes Gefühl, bedroht zu sein. Spannung baut sich in diesem Abschnitt leider nur bedingt auf. Namen und kurze konspirative Treffen fliegen an uns vorbei. Vieles wird angerissen, so auch kleine Konflikte im privaten Rahmen. Wenig indes packt oder brennt sich ein, obwohl Isabelle Huppert gewohnt engagiert auftritt. Beispielhaft für den leicht fahrigen Eindruck, den die erste Hälfte hinterlässt, ist die mehrfach fallende Äußerung, Kearney verhalte sich bei ihrer Spurensuche geradezu obsessiv. Womöglich wollen Salomé und Drouard damit einmal mehr die vorherrschenden misogynen Strukturen und Denkweisen veranschaulichen. Nach dem Motto: Was bei einem Mann als hartnäckig gefeiert würde, wird bei einer Frau als krankhaft abgetan. Der Vorwurf kommt jedoch nicht nur von Gegnern wie dem Chauvi-Alphatier Luc Oursel, sondern auch von wohlwollenden Menschen wie Maureens Ehemann Gilles Hugo (Grégory Gadebois). 

Spürbar an Intensität gewinnt Die Gewerkschafterin, wenn es im Zuge der polizeilichen Ermittlungen nach dem Angriff zu einem plötzlich Richtungswechsel kommt. Kommissar Nicolas Brémont (Pierre Deladonchamps) zweifelt die Glaubwürdigkeit der Geschädigten an, die sich plötzlich als angebliche Lügnerin am Pranger stehen sieht. Einige Ungereimtheiten und ihr generelles Auftreten werden als Indizien dafür herangezogen, dass sie sich den Überfall nur ausgedacht habe. Ein Opfer benehme sich anders, heißt es mehrfach, womit wir erneut bei den perfiden sexistischen Mechanismen wären, die Frauen gerade bei Vergewaltigungen verunsichern, zum Schweigen bringen. Eindringlich rekonstruiert der ohne optische Extravaganzen inszenierte Film den Druck und die Erniedrigungen, zieht aber auch den Justizkrimi manchmal etwas grobschlächtig auf. Eine Richterin zum Beispiel erscheint kein bisschen unvoreingenommen, geht die Beschuldigte geradezu erschütternd offensiv an, und bestimmte relevante Informationen werden, was dramaturgisch merkwürdig ist, ganz unvermittelt nachgeliefert. Trotz der Steigerung in der zweiten Hälfte lautet das Fazit: Starkes Thema, durchwachsen aufbereitet.

Die Gewerkschafterin (2022)

Maureen Kearney wird gefesselt und traumatisiert in ihrer eigenen Wohnung aufgefunden. Vom Täter fehlt jede Spur und sie kann sich nur bruchstückhaft erinnern. Die Ermittler arbeiten unter Hochdruck, denn Maureen war als Gewerkschafterin dubiosen Geschäften in der Atomindustrie auf der Spur, die auch einflussreiche Entscheidungsträger belasten könnten. Da tauchen plötzlich neue Indizien auf, die den Überfall in Frage stellen. Maureen wird vom Opfer zur Verdächtigen.

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Meinungen

Ursula Prokop · 14.05.2023

Insgesamt war der Film doch recht gut und spannend gemacht, nur Isabelle Huppert mit ihrermaskenhaften Unbeteiligtheit ist nervig und daneben.

keine · 09.05.2023

Der Film war sehr sehr gut gedreht, all die Anmerkungen gege schwache Stellen teile ich nichz mit