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Es ist eine alte Geschichte: Ein Polizist verliert seine Prinzipien aus den Augen, weil er sich von der schönen Verdächtigen angezogen fühlt. Um diese erotische Spannung geht es im neuen Film des Südkoreaners Park Chan-wook.

Die Frau im Nebel (2022)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Objekt der Begierde

Nach einer Serie von kompromisslosen Rachethrillern wie „Sympathy for Mr. Vengeance“ (2002) „Oldboy“ (2003), „Lady Vengeance“ (2005) oder dem Vampir-Film „Durst“ (2009) hat der südkoreanische Regisseur Park Chan-wook einen etwas milderen Tonfall angeschlagen, wenn es um die Darstellung von Gewalt geht. „Die Taschendiebin“ (2016), mit dem er internationalen Erfolg feierte, ist stellenweise nicht wenig brutal, doch liegt der Fokus vielmehr auf der komplexen Entwicklung der Handlung und der Kritik gewisser gesellschaftlicher Normen. Alles andere als prüde könnte man zudem dieses opulente Werk beschreiben, das Park in die 1930er Jahre zur Zeit der japanischen Besetzung Koreas ansiedelt. Für „Decision to Leave“ kehren die Protagonisten in eine unbestimmte Jetzt-Zeit zurück, dabei verlieren sie an Ausstrahlung und in gewissem Sinne an Faszination.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen der rechtschaffene Polizist Hae-jun (Park Hae-il) und die frischgebackene Witwe Seo-rae (Tang Wei). Er ermittelt im Todesfall ihres Mannes. Sie, eine eingewanderte Chinesin, die sich immer wieder wegen ihres nicht perfekten Koreanisch entschuldigt, wird zur Verdächtigen. Fasziniert von dieser schönen, mysteriösen Frau spielen Hae-juns Instinkte verrückt und es kommt, wie es kommen muss: Sie wickelt ihn um den Finger. Doch so richtig daraus lernen wird er nicht, es kommt noch zu einem zweiten Fall, und wieder scheint Seo-rae dabei die Fäden in der Hand zu halten.

In Decision to Leave geht es gleich um drei Kriminalfälle. Zwei sind miteinander verbunden, einer hängt ein wenig in der Luft. Man kann nur vermuten, dass er die Botschaft des Films, die wohl darin besteht, dass man aus Liebe bis zum Äußersten bereit sein kann, zusätzlich unterstreichen soll. Im Grund bringt aber dieser Exkurs kaum einen Mehrwert, vielmehr ist er ein Symbol dafür, dass sich Park in mehreren kleinen Nebenschauplätzen verstrickt, die den Film nur unnötig aufbauschen. Dies führt dazu, dass es der Erzählung an Präzision fehlt, es dem Film insgesamt etwas Unentschlossenes gibt. Eine Straffung des Stoffes hätte dem entgegenwirken können.

Was im koreanischen Kino meist nur wenig Platz findet, ist Erotik. Park hat aber ganz im Gegenteil dazu eine besondere Vorliebe dafür in seinen Filmen. Anders als in Die Taschendiebin geht er allerdings in Decision to Leave geradezu züchtig damit um. Eine Sexszene zwischen Hae-jun und seiner Frau sieht man ausformuliert, sonst bleibt es bei sehnsüchtigen Blicken, feinen Berührungen und Tagträumen. Wichtiger als die Realität ist sowieso, was sich im Unterbewusstsein des Protagonisten abspielt. Sae-rae wird für Hae-jun zum Objekt der Begierde, das seine Integrität als Polizist und Ehemann aufs Spiel setzt.

Für Hae-jun verkörpert Sae-rae etwas Exotisches. Das liegt nicht nur an ihrer fremden Herkunft, sondern auch an sich an ihrer eleganten und leicht verträumten Art. Es ist zudem ihre Sprache, die ihn fasziniert. Als Nicht-Muttersprachlerin benutzt sie Wörter, die im täglichen Gebrauch unüblich geworden sind, das gibt ihren Ausdrücken einen altmodischen, wenn auch gleichzeitig noblen Einschlag. Noch mehr verstärkt dies Hae-juns Gefühl, dass sie vielleicht einer anderen Welt, einer Welt der Fantasie, in der sich seine Sehnsüchte sammeln, entstammt.

Unterstützt wird dieses Gefühl auf der visuellen Ebene durch die von satten Tönen dominierte Farbpalette und das warme Licht, in das die Bilder eingetaucht sind. Genauso wie in seinen früheren Filmen legt Park großen Wert auf eine genaue Bildkomposition. Die Figuren ordnet er wie Gestirne am Himmel an, sie umkreisen sich, stoßen sich ab, ziehen sich gegenseitig wieder an. Geschaffen hat der Regisseur einige eindrückliche, zum Teil geradezu atemberaubend schöne Szenen, wenn es beispielsweise um das Schwimmbecken geht, das sich einmal langsam mit Blut füllt, oder wenn man den Leichen in die Augen schaut und die Trübung ihrer Pupillen sieht.

In Letzterem könnte man wiederum ein Symbol vermuten. Der Protagonist Hae-jun muss regelmäßig Augentropfen einflössen. Es wird nie gesagt weshalb, doch wie bei den anderen Männern, den Toten, ist sein Blick getrübt – auf beruflicher wie emotionaler Ebene. Die Frauen scheinen hingegen genau zu wissen, worum es in all dem geht.

Auch wenn es den Figuren in Decision to Leave etwas an Strahlkraft und Charisma fehlt, die Liebe für Einzelheiten, die der Film pflegt, und die markante, anspruchsvolle Bildfindung machen den Film trotzdem zu einem sinnlichen Erlebnis.

Die Frau im Nebel (2022)

Der erfahrene Detektiv Hae-joon wird damit beauftragt, den Tod eines Mannes auf einem Berggipfel zu untersuchen. In den Fokus der Ermittlungen gerät Seo-rae, die Witwe des Verstorbenen. Schon bald fühlt sich Hae-joon von der Verdächtigen angezogen und gleichzeitig verunsicher.

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Meinungen

TaiFei · 08.02.2023

"Was im koreanischen Kino meist nur wenig Platz findet, ist Erotik"
Wo kommt denn die "Weisheit" her? Das hat eher für TV Dramen gegolten, ist aber auch da schon obsolet.

Michael Staadt · 04.02.2023

Also, ich teile die Meinung von Teresa Vena nicht, sondern finde den Film einfach großartig! Geschichte, Schausspieler, Kamerabilder und -perspektiven, Schnitt und Musik - alles sehr fein ausbalanciert und stimmig, dabei teils recht ungewöhnlich. Wenn man nicht allem einen Sinn geben muss, ist der Film ein tolles Kinoerlebnis. Von mir gibt's 5 von 5 Sternen!