Die beste Mutter (2005)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Wenn Kinder angesichts der Bedrohungen und Gefahren von Kriegszuständen aus Sicherheitsgründen vorübergehend fern von Familie und Heimat untergebracht werden, dann verbergen sich hinter diesen meist drastischen Umständen viele persönliche Schicksale von Kummer und Not, die prägend für das gesamte weitere Leben dieser Menschen sind. Während des Zweiten Weltkriegs wurden 70.000 finnische Kinder mit dem Schiff nach Schweden in Pflegefamilien gebracht, um dort geschützt den Frieden zu erwarten, und eines davon war der spätere Schriftsteller und Journalist Heikki Hietamies, der seine Erlebnisse 1992 in dem Roman Äideistä parhain / Die beste Mutter veröffentlichte, auf dem der gleichnamige Film von Klaus Härö von 2005 basiert, der diese Geschichte eindrucksvoll visualisiert.

Die Nachricht vom Tode seines Vaters, der im Jahre 1943 zum Kriegsdienst für Finnland ausgezogen ist, erschüttert die Familie des neunjährigen Eero Lahti (Topi Majaniemi) ganz gewaltig, besonders seine Mutter Kirsti (Marjaana Maijala) ist geradezu erstarrt in ihrer Trauer, um die sich der kleine Junge nun rührend kümmert. Bald jedoch wird Eero mit einer Gruppe von Kindern ins schwedische Exil geschickt, wo er auf dem Bauernhof von Signe (Maria Lundqvist) und Hjalmar Jönsson (Michael Nyqvist) einquartiert wird. Hier beginnt eine einsame, schwere Zeit für Eero, der schmerzlich seine Mutter vermisst, erst einmal die Sprache des fremden Landes erlernen muss und auf hartnäckige Ablehnung bei Signe stößt, die noch stark um den Verlust ihrer kleinen Tochter trauert, während ihr Mann Hjalmar Eeros Anwesenheit in der Familie recht positiv aufnimmt. Nach einem verzweifelten Fluchtversuch Eeros in Richtung Finnland ereignet sich allmählich eine fruchtbare Annäherung zwischen ihm und seiner Pflegemutter, und es bahnt sich eine zugeneigte, stabile Beziehung zwischen ihnen an, nachdem Signe ihm vom Tod ihres Mädchens erzählt hat und nunmehr bereit ist, den Jungen als neues Mitgleid der Familie zu akzeptieren. Mit seiner Mutter Kirsti steht Signe in brieflichem Kontakt und erfährt von ihr, dass diese plant, mit ihrem neuen Freund nach Deutschland zu gehen, wobei Eero dauerhaft bei seiner neuen Familie in Schweden verbleiben soll. Doch bei Kriegsende ändert sich die Situation, und nun soll Eero zu seiner Mutter nach Finnland zurückkehren, wogegen sowohl er als auch seine Pflegeeltern sich heftig sträuben …

Innerhalb eines langen Rückblicks ereignet sich die sensibel rekonstruierte Geschichte vom Exil und der Zerrissenheit einer Kinderseele, die im Tumult von Krieg und Kummer um ihre zerfasernde Identität kämpft. Erst als alter Mann erfährt Eero (Esko Salminen) das wahre Ausmaß der damaligen Ereignisse, und erst jetzt ist ihm eine versöhnliche Betrachtung der komplexen Zusammenhänge möglich, was die beinahe lebenslange Distanz zu seiner leiblichen Mutter schließlich aufzulösen vermag. Allein dieser Aspekt, dass sich durch ganz bestimmte Informationen, die spät entdeckt werden, die Sicht auf die eigene Lebensgeschichte grundlegend verändern kann, lässt diesen Film zu einem kostbaren Kleinod mit nachhaltiger Wirkung geraten.

Die beste Mutter wurde auf zahlreichen internationalen Filmfestivals gezeigt und auch ausgezeichnet, unter anderem dreifach mit dem Jussi Preis, und wurde 2006 als finnischer Beitrag für den Academy Award als Bester fremdsprachiger Film ins Rennen geschickt. Regisseur Klaus Härö und seinem engagierten Ensemble ist es ganz hervorragend gelungen, die emotionalen Abgründe von Menschen in Krieg und Krise nachzuzeichnen und dabei die immense Bedeutung der Tapferkeit zu betonen, sich trotz gewaltigen Schmerzes immer wieder erneut dem Leben, der Liebe und noch so kleinen Momenten des Frohsinns zu öffnen.
 

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Martin Zopick · 28.03.2022

Den Titel des Films kann man als Frage verstehen. Ist die Frau die beste Mutter, die einen geboren hat oder die die einen aufgezogen hat? Ein menschlich bewegendes Phänomen der finnischen Geschichte um die Verschickung von Kindern im 2. Weltkrieg ins sichere Schweden geht ans Herz. Besonders das emotionale Hin- und Hergerissen Sein des kleinen Eero wird glaubhaft mit viel Emotionen geschildert. Hinter seiner Sprachlosigkeit gegenüber der neuen Situation verbirgt sich seine Unsicherheit, obwohl er immer wieder kindliche Versuche unternimmt auszubrechen. Im Laufe der Zeit entstehen aber emotionale Bindungen zu der Frau, bei der er aufwächst und die Gefühle für seine natürliche Mutter verflachen. Es ist für ihn schwer zu verstehen, was daheim in Finnland seiner Mutter passiert: ein deutscher Soldat, eine neue Liebe. Die Erwähnung der Probleme der leiblichen Mutter erscheinen so marginal, wie Eero sie nachvollziehen kann. Er will aber trotz der vergangenen Jahre verstehen.