Desire Will Set You Free

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Wahllos, planlos: anything goes!

Lust macht frei! Davon ist zumindest Yony Leyser, Regisseur, Hauptdarsteller und Kickstarter-Compañero in einer Person, fest überzeugt. Obwohl er schon nach drei Wochen die Produktionsgelder für seinen ersten Spielfilm Desire Will Set You Free zusammen hatte – mit Fördergeldern unter anderem von der Augstein-Stiftung und dem ZDF (Redaktion Das kleine Fernsehspiel) – war schon während des Drehs schnell das ganze liebe Geld verpufft. „Nicht für Drogen“, wie der quirlige Queer-Filmemacher Leyser bei einem Publikumsgespräch in Saarbrücken betonte – und rasch einige Lacher für diese Aussage erntete.
Denn so Poppers-getränkt, brutal-abgefeiert und bizarr-überzeichnet hat man die echte, scheinbar ewig tanzwütige Berlin-Wonderland-Hauptstadtclique noch in keinem Film gesehen: Ein erster kleiner Verdienst für dieses MDMA-Drogen-Bums-Geschöpf namens Desire Will Set You Free.

Trotz des anfänglichen Dauer-Tremolo-Schnitts (Rob Myers) und zeitweise fast schon dokumentarisch anmutender Kameraarbeit, die größtmögliche Authentizität in den Schwulen-Clubs wie in der Transen-Kneipe ums Eck mit scheinbar echten Berliner Proletariern, die beinahe kontemplativ schweigend ihre Pils-Gläser anstarren, gewährleisten sollen, will Leysers fiction-meets-reality-Drama um den aus Russland exilierten Sasha (ein wandlungsfähiger Tim Fabian Hoffmann) nur selten wirklich ins Rattern kommen.

Sasha, der gerade seine feminine Seite in sich entdeckt und untertags vor allem als Stricher zwischen Nollendorfplatz und Fuggerstraße seine Meriten „handwerklich“ erarbeitet, steht im Fokus des gerade einmal dreißigseitigen Drehbuchs des iranisch-israelischen Nachwuchsregisseurs mit jüdischen Wurzeln. Leyser kennt diese Szenen-Suppe von der Pike auf: 2010 ist er selbst nach Berlin umgezogen, hat seitdem bereits mehrere Freunde durch Selbstmord oder Drogentod verloren. Das Feiern ist ihm nach eigener Aussage alles anders als fremd.

Den zweiten Part hat der Jungregisseur, der zuvor bereits einen Dokumentarfilm über die literarische Underground-Ikone William S. Burroughs gedreht hatte, gleich selbst übernommen: Er verkörpert mehr den überdrehten Bling-Bling-Schriftsteller Ezra, als dass er ihn spielt. Mit Handschellen-Ohrring und jeder Menge David-Bowie-in-Schöneberg-Mythen im Kopf streunert er zusammen mit Sasha durch das exzessive Nachtleben der Hauptstadt.
Zwischen dem Abgeh-Areal Warschauer Straße und Happening-geschwängerten Tagen im Görlitzer Park lernen sie sich lieben – und streiten: Lifting in Berlin anno 2015. Wahllos, planlos: anything goes! Arbeiten tun andere, hier wird sich ordentlich selbstverwirklicht.

Tage am See, bei denen nackte Männer auf Schwäne zulaufen, wechseln sich ab mit zweihundert Prozent überdrehten Cup-Cake-Partys („Oh, jetzt sind sie im Arsch!“), die schnell in wilden Lesben-Sex umschwingen können: Das sieht man wirklich nicht alle Tage im jungen deutschen Film. Doch en gros zerbröselt minütlich Leysers fast schon zwanghafter Versuch, endlich den Berlin-Film zu liefern, am dem sich seit Jahren in der Branche viele die Zähne ausbeißen. Immerhin schlägt sich Desire Will Set You Free gerade in punkto Szenen-Reigen innerhalb der Hauptstadt-Szene tapfer und beweist Sinn für Ironie: Zwischen „Ich kann nicht mehr ins Berghain gehen“-Dialogzeilen und postmodernen „Ich möchte wie eine Gazelle sein“-Ausrufen lebt Leysers zweite, sehr frivole Filmarbeit lange Zeit ganz ordentlich von der politischen Unkorrektheit („Schade, dass Berlin seine ganze Nazi-Architektur zerstört“) des Projektes sowie seiner permanenten Camp-Ästhetik, die eine Reihe visuell bemerkenswerter Ausrufezeichen setzt (Kamera: Ali Gözkaya).

Ergänzt durch authentische „Fuck off Media Spree“-Graffitis an Kreuzberger Hauswänden und einer Armada von Cameoauftritten einiger echter Berliner Subkulturgestalten wie Wolfgang Müller, Peaches, Rummelsnuff oder Blixa Bargeld, fasziniert am Ende Yony Leysers dokumentarisches Spielfilmexperiment mit Hang zur Selbstironie („Trans Mitzwa“) wenigstens partiell. Kein Wunder also, dass in einer anderen Szene eine Wandzeichnung von John-Waters-Superstar Divine aus Pink Flamingos (1972) kurz zu sehen ist. Verquirlt mit grell-überdrehten Referenzen an John Cameron Mitchells Hedonismus-Orgie Shortbus (2006) bemüht sich der Exil-Amerikaner Leyser, das extraterrestrische Lebensgefühl der Generation Bar-25 in filmische Bilder umzumünzen. Zum neuen Klassiker des unabhängigen bad-taste-cinema wird es trotzdem nicht reichen.

Oder anders auf dem Punkt gebracht: Wenn beispielweise Leysers filmischer Mentor Rosa von Praunheim in einer kurzen Szene nach einem süßen Cup Cake fragt („Ich nehme eins in rosa.“), dann ist das im ersten Moment schön – blöd. Und im zweiten auch noch: Ganz wie der Film.

Desire Will Set You Free

Lust macht frei! Davon ist zumindest Yony Leyser, Regisseur, Hauptdarsteller und Kickstarter-Compañero in einer Person, fest überzeugt. Obwohl er schon nach drei Wochen die Produktionsgelder für seinen ersten Spielfilm „Desire Will Set You Free“ zusammen hatte – mit Fördergeldern unter anderem von der Augstein-Stiftung und dem ZDF (Redaktion Das kleine Fernsehspiel) – war schon während des Drehs schnell das ganze liebe Geld verpufft. „Nicht für Drogen“, wie der quirlige Queer-Filmemacher Leyser bei einem Publikumsgespräch in Saarbrücken betonte – und rasch einige Lacher für diese Aussage erntete.
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