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René Laloux’ „Der wilde Planet“ ist ein Klassiker des Zeichentrickfilms für ein erwachsenes Publikum und erhielt 1973 den Spezialpreis beim Filmfestival von Cannes. Nun wurde der Film restauriert und erscheint erstmals in HD-Qualität.

Der wilde Planet (1973)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Phantastische Welten

Es gab eine Zeit – heute ist dies kaum mehr vorstellbar –, als Animationsfilme noch nicht vor allem am Computer entstanden, sondern am Zeichentisch in mühevollster Kleinarbeit. Und auch wenn diese Filme aus heutiger Sicht betrachtet alles andere als technisch perfekt sind, so wohnt ihnen doch ein Zauber inne, den viele aktuelle Produktionen vermissen lassen.

René Laloux’ Der wilde Planet aus dem Jahre 1973 ist mit Sicherheit eines der bemerkenswertesten Beispiele aus dieser vordigitalen Epoche des Animationsfilms. In enger Zusammenarbeit mit dem Grafiker Roland Topor, der nicht nur am Drehbuch mitwirkte, sondern auch das Produktionsdesign besorgte, das dann – ungewöhnlich genug – in den Prager Studios von Jiří Trnka umgesetzt wurde, entstand so ein Film, der auch heute noch in der frisch restaurierten HD-Fassung einen Meilenstein des phantastischen und eher auf eine erwachsene Zielgruppe zugeschnittenen Trickfilms ist.

Die Geschichte, von der der Film erzählt, spielt auf einem Planeten namens Ygam. Auf diesem haben die humanoiden blauen Draags eine hochentwickelte Zivilisation aufgebaut, die auf dem Prinzip der Ausbeutung beruht. Von der Erde wurden die sogenannten Oms (ein Anklang an „homme“) importiert und werden dort in Knechtschaft wie Haustiere gehalten. Doch es gibt neben diesen auch noch wild lebende Menschen, die von dem Draags gejagt werden, um deren Ausbreitung zu unterbinden.

Auch Tiwa, die Tochter von Meister Sinh, einem Anführer der Draags, hat solch ein „Haustier“ – einen jungen Om namens Terr (was in diesem Falle an „Terre“ = „Erde“ erinnert). Im Gegensatz zu den anderen Draags aber behandelt Tiwa Terr gut und nimmt ihn sogar mit zum Unterricht, so dass Terr sich weiterentwickeln kann als viele seiner Artgenossen.

Als Tiwa später das Interesse an ihrem Gefährten verliert, flieht Terr in die Wildnis und schließt sich mit anderen Geflohenen zu einem Stamm zusammen. Es gelingt ihnen, eine Raketenstation zu übernehmen, und sie planen von dort die Flucht auf einen anderen Planeten. Und als sie von den Draags angegriffen werden, gelingt ihnen tatsächlich die Flucht auf einen benachbarten Mond, wo sie große Statuen entdecken, die eine wichtige Kraftquelle für die Weisheit und Macht der Draags sind. Als sie mit der Zerstörung der rituell bedeutsamen Artefakte drohen, haben die Draags ein Einsehen und vereinbaren, dass beide Arten künftig in friedlicher Koexistenz auf Ygam leben können. 

Der wilde Planet ist ein Kind seiner Zeit mit zahlreichen Anklängen an Popkultur und New Age-Philosophie und – wie der kenntnisreiche Begleittext von Marcus Stiglegger verdeutlicht – auch ein Head-Movie, der zum damaligen Zeitpunkt in Kifferkreisen einen gewissen Ruf innehatte.

Zugegeben: Die Geschichte von Der wilde Planet ist vergleichsweise simpel gestrickt und gerade gegen Ende, als es zum Friedensschluss zwischen den beiden verfeindeten Parteien kommt, auch von einiger Naivität. Dennoch sollte man sich – zumal als Fan von Animationsfilmen – dieses Werk unbedingt zulegen. Die Bildwelten, die Laloux gemeinsam mit dem begnadeten Zeichner und Illustrator Roland Topor erschuf, erinnern nicht nur an Terry Gilliams Experimente, an den Surrealismus eines Salvador Dalí oder die Höllenwelten eines Hieronymus Bosch, sondern auch an die Bildwelten des Codex Seraphinianus und des Voynich-Manuskripts. Wenn man um die Nähe Topors zu Alejandro Jodorowsky weiß, wundert einen diese Geistesverwandtschaft freilich nicht mehr.

Die Neuedition des Films durch das DVD-Label Camera Obscura umfasst nicht nur eine Blu-ray und eine DVD sowie zwei Farbkorrekturen des Werkes aus den Jahren 2016 und 2018, sondern auch etliche Kurzfilme, ein Featurette über René Laloux und ein Portrait über Roland Topor – genügend Stoff also, um in die phantastischen Bildwelten der beiden Ausnahmekünstler einzutauchen. 

Der wilde Planet (1973)

In einer fernen Galaxie haben die riesenhaften blauen Draags eine technologisch und spirituell hoch entwickelte Gesellschaft auf dem Planeten Ygam gegründet. Die versehentlich vom Planeten Terra mitgebrachten vergleichsweise winzigen Menschen, genannt Oms, werden von den bösartigen Draags geknechtet. Nach Jahren als „Haustier“ entflieht der Om-Junge Terr dem Draag-Mädchen Tiwa. Ausgestattet mit dem Wissen und der Sprache seiner ehemaligen Herren schließt er sich den wild lebenden Oms in deren Revolte gegen die übermächtigen Draags an. In ihrem verzweifelten Kampf um das Fortbestehen ihrer Rasse kann es nur einen einzigen, aber scheinbar unerreichbaren, Zufluchtsort geben: Der wilde Planet.

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