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Pierre-Paul hält sich für sehr intelligent und will seinem zermürbenden Durchschnittsleben entkommen. Eines Tages fällt ihm eine große Summe Geld in die Hände, die Gangster bei einem erfolglosen Bankraub verloren haben. Mit einem zusammengewürfelten Team will er die Millionen vor Staatsgewalt und Mafia in Sicherheit bringen. 

Der unverhoffte Charme des Geldes (2018)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Die netten Steuerhinterzieher von Nebenan

Pierre-Paul hält sich für zu intelligent für ein gewöhnliches Leben. Der Mittdreißiger hat einen Doktortitel in Philosophie, fristet sein Dasein jedoch als einfacher Kurierfahrer in Montreal. Als er durch Zufall dem Scheitern eines Banküberfalls beiwohnt, packt er die Gelegenheit beim Schopf und verstaut zwei Taschen voll mit Banknoten in seinem Lieferwagen.

Was er nicht weiß: Das Geld gehört einem besonders gewalttätigen Mafiaklan, der so genannten West End Gang. Kurz darauf verfolgen ihn nicht nur Gangster, sondern auch die Polizei. Eine Mischung aus Zufall und Planmäßigkeit versammelt ein Team um die selbsternannte Geistesgröße, das dabei helfen soll, die Millionenbeträge vor Staatsgewalt und Verbrechen in Sicherheit zu bringen. 

Da wäre die hochpreisige Escort-Dame Aspasia (Maripier Morin), für die Pierre-Paul das erste Geld aus seinem neugewonnenen Vermögen ausgibt – alsbald entwickelt sich Liebe zwischen den beiden. Der frisch aus dem Gefängnis entlassene Rocker Sylvain (Remy Girard) hat hinter Gittern Ökonomie studiert; Manager Wilbrod Taschereau (Pierre Curzi) hat Kontakte in die Führungsetagen der Welt und eine Vergangenheit mit Aspasia. 

Die Machenschaften der ungleichen Gruppe erzählt der kanadische Regisseur Denys Arcand als Mischung aus Heist-Abenteuer und Satire auf den modernen Finanzkapitalismus. Die Grundhaltung ist eine etwas platte Ironie: Spöttisch lässt der Film sein Publikum mit einer Gruppe von Steuerhinterziehern mitfiebern. Ihr Geld stammt von grobschlächtigen Gangstern, ihre Motive erinnern an Robin Hood, denn Pierre-Paul hat mit seinem Geld schon immer die Obdachlosen von Montreal unterstützt. Außerdem ist er Kapitalismuskritiker aus einfachen Verhältnissen, der etwa Austeritätspolitik als Waffe gegen die arme Bevölkerung benennt. Donald Trump mag er auch nicht. 

Arcand inszeniert sein Szenario mit dem Gestus der Entlarvung, auch wenn nie so ganz klar wird, was genau offenbart wird. Wenn der Film versucht, Phänomene wie Steuerflucht zu erklären, nähert er sich der Hollywood-Version von Schulfernsehen an, wie man sie etwa von Adam McKays The Big Short kennt. Eine längere Montage zeigt, wie die Gelder einer angeblichen Stiftung für Kinder über vielfache, zunehmend schwer verfolgbare Zwischenstationen über die Landesgrenzen gebracht werden. Wer in den letzten Jahrzehnten nie auch nur im selben Raum mit einer Zeitung oder einem internetfähigen Gerät gewesen ist, kann sicherlich einiges dazulernen. Die vermeintlich sokratischen Dialoge rund um Marc Aurel, Epikur, die Korruption der FIFA und die emanzipatorische Wirkung von Bargeld geraten merkwürdig flach. Sie liegen in den Mündern der Figuren wie – um im Duktus des Films zu bleiben – Demosthenes Kieselsteine. Es entsteht nie auch nur die Illusion einer Einheit von Körper und Sprache, von Stimme und Worten. Die Figuren sind meist einfach nur Sprachrohre des Regisseurs, die Gemeinplätze der Tagespolitik in Plot und Emotion kleiden sollen.

Wie auf Folie gezeichnet kommen sie daher, so durchsichtig sind sie. Gerade Protagonist Pierre-Paul ist ein seltsames Gebilde. Ein angeblicher Doktor der Philosophie, der sein umfassendes Bücherwissen immer nur als Ersatzteillager für dürftige Bonmots gebraucht. Der selbsternannte Hoch- und Höchstbegabte, dessen Intelligenz für die gesamte Handlung weitestgehend irrelevant bleibt. Alexandre Landry will sich nie ganz in die Rolle des verschüchterten Brillenträgers fügen, ein bisschen so wie Chris Hemsworth in seiner Rolle als Hacker in Blackhat. Zumal die soziale und körperliche Unbeholfenheit gerade in frühen Szenen etwas zu offensiv in den Vordergrund geschoben wird.

Sein erstes Zusammentreffen mit der nach einer Weggefährtin von Aristoteles benannten Aspasia, die sich später als Camille entpuppt, wirkt wie eine Szene aus einer längst vergessenen Sexkomödie aus dem Jahr 2001: Pierre-Paul ist aufgeregt und viel zu hektisch, ruckartig zucken seine Extremitäten durch die Szene. Camille hingegen ist demonstrativ gelassen, verrichtet ihre Arbeit und verlässt dann sehr plötzlich die Wohnung, nur um der Polizei in die Arme zu laufen. Eine Szene, die weder die spätere Beziehung der beiden vorbereitet, noch sonderlich komisch ist. 

Viele Szene dieser Art versuchen, die eher schematischen Figuren mit Leben zu erfüllen. Eine erzählt aus dem Privatleben der Polizisten, die den wichtigeren Figuren auf den Fersen sind, die nächste von der Familie eines Gangsters. Doch diese Einschübe pumpen kein Blut in das kalte Herz des Films, sondern verschieben und zerdehnen lediglich die Narration. 

Visuell ist das trockene Heist-Abenteuer so unauffällig wie seine Hauptfigur. Der Stoff verlangt nicht unbedingt nach Extravaganz und Exzess, doch der biedere, schmucklose Stil kann selten neue Akzente setzen. Die Farbpalette ist gedämpft, so wie eigentlich alles im Film. Einzig einige Gewaltspitzen und einige zynische Scherze im Niemandsland zwischen Transgression und Bildungsbürgergekicher stechen hervor. Doch als Satire ist Der unverhoffte Charme des Geldes so zahm und kraftlos, dass man ihm das halbe Buñuel-Zitat des deutschen Verleihtitels offiziell aberkennen möchte. Buñuel musste sich gegen die Ligue des Patriotes oder den Vatikan behaupten, nach Denys Arcand wird man wohl nicht einmal ein Canapé werfen. 

Um Bilder für die Auswüchse einer neoliberalen Marktwirtschaft zu finden, stellt der Film zwei Welten gegenüber: Auf der einen die Wolkenkratzer, Villen und Lofts der Finanzwelt, die Spielwiesen der Reichen und Schönen, auf der anderen die Suppenküchen und Straßenecke von Montreals Obdachlosen. Viele Male füllt Pierre-Paul die Becher und Hüte der Bedürftigen mit Almosen. Etwas kalkulierende Katzenretter-Momente nach Art von Drehbuchratgeber Blake Snyder, die den distanzierten Helden nahbarer machen sollen. Gleich zwei Montagen zeigen traurige, verhärmte und ungepflegte Gesichter, die später ihre anklagenden Blicke direkt in die Kamera werfen. 

Doch dieser Zwiespalt wird nur gesetzt und nie wirklich in Frage gestellt. Steuerhinterziehung wird vage kritisiert, Revolutionen und umfassende soziale Veränderungen in einem Nebensatz beiseite geschoben. So bleibt am Ende nur ein Loblied auf persönliche Verantwortung und freiwillige Spenden an die Armen, eine Art von compassionate conservatism, mit der man bestimmt einen netten Posten in der Regierung von Ronald Reagan bekommen hätte. Das Drehbuch will in alle Richtungen schießen, in einer absonderlichen Sequenz wird etwa demonstrierenden Studenten die Schuld daran gegeben, dass die Polizei keine Razzia starten kann. Ein Nullsummenspiel mit Nulllogik. 

Durch diese halbherzigen Versuche der Selbstreflexion vermeidet der Film schlussendlich jede Form von Haltung. Weder bietet er eine scharfe Analyse, noch eine überzeugte Brandrede, und als Komödie, als reiner Unterhaltungsfilm, ist er allerhöchstens mittelmäßig. Offiziell finalisiert Oscargewinner Denys Arcand mit Der unverhoffte Charme des Geldes eine lang angelegte Trilogie, auch wenn die Schnittmenge mit den vorhergehenden Teilen Der Untergang des amerikanischen Imperiums von 1986 und Die Invasion der Barbaren von 2003 eher klein ausfällt. Aus der Kenntnis der gesamten Reihe ergibt sich nur ein geringer Mehrwert. Am ehesten teilen sie den Blick auf eine bestimmte Art von komplexitätsgelähmten Intellektuellen. Leider gerät der dritte Teil dabei wie diese Figuren selbst und steht schulterzuckend vor der Gegenwart, so hilflos wie ein frisch geborenes Rehkitz.

Der unverhoffte Charme des Geldes (2018)

Pierre-Paul Dubé ist 35 Jahre alt, Doktor der Philosophie und muss sich als Paketbote über Wasser halten. Während einer seiner Touren platzt er in einem bewaffneten Raubüberfall, der zwei Todesopfer fordert. Und dann sind da noch die beiden Sporttaschen, randvoll gefüllt mir Geld.  Was ihn vor die schwierige Frage stellt: Soll er das Geld an sich nehmen und abhauen oder nicht?

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Meinungen

Martin Zopick · 12.10.2023

Regisseur Denys Arcand hat hier wieder von seiner Vorliebe für sonderbare Filmtitel Gebrauch gemacht. Nach dem Untergang des Römischen Reiches (1986) und der Invasion der Barbaren (2003) hat der deutsche Verleiher nun einen anderen, griffigeren Titel gefunden. Und der trifft genau des Pudels Kern: er ist ironisch und schließt aber eine gefährliche Situation (Heist) durchaus mit ein. Es geht in Richtung Märchen mit einem mahnenden Schlussakkord. Die Figuren sind klug ausgedacht und die Dialoge oft auf philosophischem Niveau.
Im Mittelpunkt stehen Pierre-Paul (Alexandre Landry) und Camille (Mariepier Morin). Er ein Paketlieferant mit abgeschlossenem Philosophiestudium, sie Edelnutte. Er Jungfrau, sie Vollprofi. Ihm fallen zwei Säcke mit Geld vor die Füße, weil er zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Man braucht einen Anlageberater, gerade ist ‘The Brain‘ (Rémy Girard) als dem Knast raus. Später brauchen sie dann noch den ganz großen Wilbrod (Pierre Curzi), der die Millionenströme verschleiernd umleitet. Er wird als einziger gefasst, wegen einer Bagatelle.
Polizei und Mafia jagen das Quartett und sind bei den Mitteln an Informationen zu kommen nicht zimperlich. (Da knacken die Knochen. Das tut beim Zuschauen richtig weh!). Da fließt Blut! So laufen eine emotionale und lustige Liebesgeschichte mit einem knallharten Thriller neben einander her. Und die Polizei (Louis Morissette und Maxim Roy) mischt auch noch mit. Sie sind gar nicht mal dümmer als erlaubt. Nur das Quartett ist immer einen Tick schneller. Die vier haben von Anfang an die ungeteilte Empathie der Zuschauer. Man muss sie einfach mögen. Und dann setzt Denys Arcand noch einen drauf: Pierre-Paul ist sozial und arbeitet genau wie Camille an der ‘Tafel‘ mit. Ab und an hört man schon mal ganz unverhohlen Kapitalismuskritik. Das Pärchen verschenkt eine Wohnung an einen obdachlosen Freund bevor der Film mit Portraitaufnahmen der Inuit endet. Wie gut, dass es noch solche großartigen Filme gibt!

Martin Zopick · 07.05.2022

Regisseur Denys Arcand hat hier wieder von seiner Vorliebe für sonderbare Filmtitel Gebrauch gemacht. Nach dem Untergang des Römischen Reiches (1986) und der Invasion der Barbaren (2003) hat der deutsche Verleiher nun einen anderen, griffigeren Titel gefunden. Und der trifft genau des Pudels Kern: er ist ironisch und schließt aber eine gefährliche Situation (Heist) durchaus mit ein. Es geht in Richtung Märchen mit einem mahnenden Schlussakkord. Die Figuren sind klug ausgedacht und die Dialoge oft auf philosophischem Niveau.
Im Mittelpunkt stehen Pierre-Paul (Alexandre Landry) und Camille (Mariepier Morin). Er ein Paketlieferant mit abgeschlossenem Philosophiestudium, sie Edelnutte. Er Jungfrau, sie Vollprofi. Ihm fallen zwei Säcke mit Geld vor die Füße, weil er zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Man braucht einen Anlageberater, gerade ist ‘The Brain‘ (Rémy Girard) als dem Knast raus. Später brauchen sie dann noch den ganz großen Wilbrod (Pierre Curzi), der die Millionenströme verschleiernd umleitet. Er wird als einziger gefasst, wegen einer Bagatelle.
Polizei und Mafia jagen das Quartett und sind bei den Mitteln an Informationen zu kommen nicht zimperlich. (Da knacken die Knochen. Das tut beim Zuschauen richtig weh!). Da fließt Blut! So laufen eine emotionale und lustige Liebesgeschichte mit einem knallharten Thriller neben einander her. Und die Polizei (Louis Morissette und Maxim Roy) mischt auch noch mit. Sie sind gar nicht mal dümmer als erlaubt. Nur das Quartett ist immer einen Tick schneller. Die vier haben von Anfang an die ungeteilte Empathie der Zuschauer. Man muss sie einfach mögen. Und dann setzt Denys Arcand noch einen drauf: Pierre-Paul ist sozial und arbeitet genau wie Camille an der ‘Tafel‘ mit. Ab und an hört man schon mal ganz unverhohlen Kapitalismuskritik. Das Pärchen verschenkt eine Wohnung an einen obdachlosen Freund bevor der Film mit Portraitaufnahmen der Inuit endet. Wie gut, dass es noch solche großartigen Filme gibt!