Der Tag, als Stalins Hose verschwand

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Mittwoch, 05.11.2008, arte, 23:40 Uhr

Die menschlichen Erinnerungen stellen ebenso zarte, empfindsame Gebilde wie nicht selten auch unwegsame, verschüttete Gebiete dar, und besonders jene an die eigene Kindheit erscheinen häufig besonders emotional. Der mazedonische Regisseur Ivo Trajkov, der selbst im ehemaligen Jugoslawien unter der langjährigen Herrschaft Titos aufwuchs, hat mit Der Tag, als Stalins Hose verschwand / Golemata voda einen Film inszeniert, dessen Handlungsstränge den Kindheitserinnerungen eines Mannes folgen, denen nicht nur eine persönliche, sondern damit einhergehend auch eine äußerst politische Dimension anhaftet, die auf sehr drastische Weise von jenen bedrückenden Zeiten gerade für sehr junge Menschen zeugt.
Nach einem Herzinfarkt wird der angesehene mazedonische Politiker Lem Nikodinoski (Meto Jovanovski) ins Krankenhaus eingeliefert, und der idealistische, doch stark erschöpfte Mann spürt, dass es schlecht um ihn steht. In diesem Zustand der Zurückgeworfenheit auf sich selbst und sein gesamtes Leben steigt die Geschichte seiner Kindheit in ihm hoch, die der junge Lem (Saso Kekenovski) in einem Erziehungsheim stalinistischer Prägung verbringen muss. Die pädagogische Praxis und der Ton, die in dieser offiziell als Waisenhaus deklarierten Einrichtung an der Tagesordnung sind, zielen darauf ab, die mitunter auch gewaltsam rekrutierten jungen Schützlinge zu disziplinierten, folgsamen Sozialisten zu erziehen, ungeachtet ihrer empfindsamen Wesen und vor allem ihrer eigenen Vorstellungen. Dort begegnet Lem aber auch dem wachen, unerschütterlichen Isak (Maja Stankovska), der für ihn zu einem jener guten, unentbehrlichen Freunde wird, der die Entwicklung seines künftigen Lebens entscheidend beeinflussen wird.

Während sich der Lebenshauch des alten Lem zusehends verflüchtigt, der auf diese Weise seinen Abschied vom irdischen Leben zelebriert, wird in Rückblicken das Schicksal des jungen erzählt, der sich erst durch die Seelenverwandtschaft zu einem Gleichgesinnten von den repressiven Strukturen seiner Umgebung zu emanzipieren vermag. Regisseur Ivo Trajkov entwirft mit Der Tag, als Stalins Hose verschwand / Golemata voda gleichermaßen die historische Momentaufnahme eines totalitären Systems aus der Perspektive von unweigerlich darin Heranwachsenden sowie eine persönlich motivierte, ambivalente Huldigung an eine rare, intensive und existentielle Art der Verbundenheit, die selbst gröbste Verletzungen der menschlichen Kreatur sowie ihre wesensimmanente Einsamkeit zu lindern vermag – ein trotz seiner traurigen Geschichte tröstlicher Film mit symbolhafter Imaginationskraft, die durchaus dazu verführt, die Gedanken auch durch die Freundschaftslandschaft der eigenen Kindheit huschen zu lassen.

Der Tag, als Stalins Hose verschwand

Die menschlichen Erinnerungen stellen ebenso zarte, empfindsame Gebilde wie nicht selten auch unwegsame, verschüttete Gebiete dar, und besonders jene an die eigene Kindheit erscheinen häufig besonders emotional.
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Meinungen

@R.Mellin · 18.11.2008

Die Romanvorlage stammt von Živko ?ingo, das Drehbuch von Ivo Trajkov und Vladimir Blazevski

R.Mellin · 18.11.2008

Danke für diesen Film. Historisch u.insbes. psychologisch sehr dicht, tief und fein. Nur schade, dass er so spät gesendet wurde!!!Glanzleistung der beiden Jungen! Warum ist nicht zu ersehen, wer dieses Drehbuch u. die Vorlage für diesen Film geschrieben hat?