Der rote Punkt

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Dämonen der Vergangenheit

Nicht nur die japanische Flagge ziert ein roter Punkt, sondern auch eine Landkarte des Ostallgäus, die die japanische Studentin Aki Onodera in einer Kammer ihrer Adoptiveltern findet. Was sie in ihren Träumen lange schon verfolgt, scheint nun zum Greifen nahe zu sein, denn Akis Eltern sind vor knapp zwanzig Jahren bei einem Autounfall in Deutschland ums Leben gekommen. So begibt sich Aki von Tokio ins Allgäu, um mit ihrer Vergangenheit abzuschließen und zu sich selbst zu finden.
In Deutschland angekommen, treibt sie alles zu der gekennzeichneten Stelle, aber das gestaltet sich schwieriger, als erwartet. Aus diesem Grund sucht sie das nächste Polizeirevier auf, um von den Beamten Unterstützung zu bekommen. Die sind aber mit dem Halbstarken Elias Weber (Orlando Klaus) beschäftigt, der wieder einmal mit seinem Motorrad rote Ampeln und Geschwindigkeitsbegrenzungen missachtet hat. Sein Vater Johannes (Hans Kremer) holt ihn von der Polizeiwache ab – nicht zum ersten Mal, wie sich herausstellt — und Aki (Yuki Inomata) trägt ihr Anliegen vor. Hilfsbereit bieten Vater und Sohn Aki eine Mitfahrgelegenheit an und setzen sie mitten in der Einöde aus, wo sie ihre Suche beginnt. Von nun an kreuzen sich immer wieder die Wege von Elias und Aki, und auch Johannes kann seine Neugier gegenüber der jungen Japanerin nicht verbergen. Kurzerhand wird sie bei der Familie Weber untergebracht, und alle helfen, die markierte Stelle zu finden. Derweil spitzt sich die Situation zwischen Johannes und Elias immer mehr zu, und auch die Ehe von Johannes und Erika (Imke Büchel) scheint auf einem Tiefpunkt angelangt zu sein. Aki hingegen ist bei den ganzen Dramen um sie herum extrem in sich gekehrt und konzentriert sich auf ihr eigenes Drama. Als sie endlich die gesuchte Stelle findet, die mit einem kleinen Gedenkstein an den Unfall ihrer Eltern erinnert, beschließt sie ein traditionelles Ritual durchzuführen, um ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Allerdings verhält sich Johannes immer merkwürdiger und alles deutet darauf hin, dass sein schlechtes Verhältnis zu Elias, die zerrüttete Ehe und das ungewöhnliche Interesse an Aki mit einem lange verschwiegenen Geheimnis in Zusammenhang steht …

Die japanische Filmregisseurin Marie Miyayama hat sich für ihren Debütfilm von einer wahren Begebenheit animieren lassen. 1998, als sie neben ihrem Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München als Dolmetscherin arbeitete, wurde sie mit dem Grundgerüst für Der Rote Punkt konfrontiert. Zehn Jahre später hat sie den Stoff genutzt, um die Beziehung von zwei Menschen aufzuzeigen, die schicksalhaft miteinander verbunden sind, ohne voneinander zu wissen. Es geht um Weichenstellungen, Entwurzelung und Schicksal, mit denen jede Figur des Films sehr unterschiedlich umgeht. Während Elias sich in Trotz und Auflehnung flüchtet, Johannes sich zum unausgeglichenen Eigenbrötler entwickelt, stellt sich Aki ruhig und abgeklärt ihrer Vergangenheit und damit auch der Gegenwart. Sie hat erkannt, dass Dinge immer weiterleben und die eigene Biographie blockieren, wenn man sie nicht bearbeitet und klärt. Zwar spricht auch sie nicht den Unfall und den Schuldigen an, sondern sie löst das Rätsel auf viel subtilere Art, und auch wenn der Film mit Schweigen und Verschweigen arbeitet, kann Aki dennoch mit dem Ritual an der Unfallstelle die Dämonen ihrer Vergangenheit vertreiben. Letztendlich hilft sie dadurch auch der Familie Weber, wieder mit sich ins Reine zu kommen. Ihre Ruhe und Ausgeglichenheit überträgt sich nicht zuletzt auf Elias, der durch sie die Langsamkeit – und vielleicht auch die Liebe — entdeckt. Eine der schönsten Szenen des Films ist, wie Elias – anstatt auf seinem Motorrad mit überhöhter Geschwindigkeit über die Landstraße zu rasen – im Schritttempo neben Aki herfährt. Der Film lebt vor allem durch die Sprache der Bilder, die Gestik und Mimik der Protagonisten und weniger durch Dialoge. Nonverbal werden so Emotionen und Situationen dargestellt, die durch die idyllische Landschaft des Allgäus noch verstärkt werden. Dies ist vielleicht der einzige Weg, um einer Sprach- und Verständigungsblockade zu entgehen, wenn zwei so unterschiedliche Kulturen wie die des Westens und Ostens aufeinandertreffen.

Der Rote Punkt wurde mit dem Förderpreis Deutscher Film 2008 und dem VGF-Nachwuchsproduzentenpreis ausgezeichnet.

Der rote Punkt

Nicht nur die japanische Flagge ziert ein roter Punkt, sondern auch eine Landkarte des Ostallgäus, die die japanische Studentin Aki Onodera in einer Kammer ihrer Adoptiveltern findet. Was sie in ihren Träumen lange schon verfolgt, scheint nun zum Greifen nahe zu sein, denn Akis Eltern sind vor knapp zwanzig Jahren bei einem Autounfall in Deutschland ums Leben gekommen.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen