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Mit „Der Baader Meinhof Komplex“ kam 2008 eine aufwendig produzierte Betrachtung des linksextremistischen Terrors ins Kino.

Der Baader Meinhof Komplex (2008)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Zehn Jahre deutsche Geschichte

Durch die Verhaftung der mutmaßlichen Terroristin Daniela Klette wurde in den vergangenen Wochen wieder verstärkt über die linksextremistische Terrorvereinigung Rote Armee Fraktion (kurz RAF) gesprochen und geschrieben. Das Kino befasste sich schon unmittelbar nach dem sogenannten Deutschen Herbst 1977 mit dem damals herrschenden politischen und gesellschaftlichen Klima – mit dem von elf Regisseur:innen konzipierten Episodenfilm „Deutschland im Herbst“ (1978) und mit Rainer Werner Fassbinders Solo-Arbeit „Die dritte Generation“ (1979).

In späteren Produktionen wie Die Stille nach dem Schuss (2000) von Volker Schlöndorff und Die innere Sicherheit (ebenfalls 2000) von Christian Petzold wurde ein eher distanzierter Weg gewählt, um auf die Zeit zurückzublicken, während in Baader (2002) von Christopher Roth ganz bewusst Wahrheit und (Genre-)Fiktion vermischt wurden, um sich mit dem entstandenen Mythos auseinanderzusetzen.

2008 lieferte Uli Edel mit Der Baader Meinhof Komplex rund 30 Jahre nach den Ereignissen ein bis in die Nebenrollen starbesetztes Stück Polit-Kino für ein großes Publikum. Nach einem Skript von Bernd Eichinger, basierend auf dem gleichnamigen Sachbuch von Stefan Aust, zeigt der Film (unter anderem), wie die Journalistin Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) dem terroristisch aktiven Paar Andreas Baader (Moritz Bleibtreu) und Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) begegnet – und wie sie vom linken Engagement in die Illegalität und Radikalität abrutscht.

Die diversen Bombenanschläge, etwa auf das Verlagshaus der Axel Springer AG, werden ebenso geschildert wie die Ermittlungen des BKA-Präsidenten Horst Herold (Bruno Ganz), die Haft einiger RAF-Mitglieder im Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim samt Hungerstreik, die „Geiselnahme von Stockholm“ und die weiteren Attentate der folgenden Generation(en), bis zur Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer (Bernd Stegemann).

Eichinger selbst nannte sein Vorgehen bei der Gestaltung des Drehbuchs eine „Fetzendramaturgie“. Das Werk versucht, die Entstehung und Entwicklung der RAF im Zeitraum von 1967 bis 1977 abzubilden und dabei keine Figur ins Zentrum zu rücken. Es gibt keine klassischen Protagonist:innen und Antagonist:innen, sondern nur Beteiligte in einer Abfolge von Geschehnissen. Zum Teil geht dieser dramaturgische Plan auf: Die Inszenierung lässt erkennen, dass es ihr nicht um eine Glorifizierung der Taten und Personen oder um eine Verklärung der Vergangenheit geht. Die Brutalität, die von den Terrorist:innen verübt wird, wird ebenso verdeutlicht wie die Polizeigewalt. Die Bilder des Kameramanns Rainer Klausmann setzen auf naturalistisches Licht; die Kostüme wirken nicht, als seien sie Teil einer Retro-Modenschau.

Zuweilen mutet das Ganze jedoch auch wie ein Abhaken wichtiger Bilder und Fakten an. Die Präzision, die an den Tag gelegt wurde, um eine möglichst authentische Darstellung zu erzeugen, ist beeindruckend, kann allerdings auch als problematisch angesehen werden: Ist eine akribische Nachstellung von Taten, trotz aller Vermeidung von Held:innen-Verehrung, nicht immer zugleich eine gewisse Würdigung? Wenn Terrorist:innen beziehungsweise Kriminelle aller Art in Spielfilmen oder True-Crime-Formaten porträtiert werden – wird ihnen dann nicht automatisch eine Bühne gegeben und damit eine Relevanz verliehen, die andere Menschen (ohne Verbrechenshintergründe) nicht erhalten?

Insgesamt gelingt es dem Film aber, die Zuschauer:innen dazu zu bringen, die gezeigte Gewalt auf allen Seiten kritisch zu reflektieren. Dazu tragen nicht zuletzt die überzeugenden Schauspielleistungen bei. Sebastian Blomberg als Rudi Dutschke und Hannah Herzsprung als Susanne Albrecht zählen neben Gedeck, Wokalek und Ganz zu den Ensemblemitgliedern, die für besonders intensive Momente sorgen.

Der Baader Meinhof Komplex (2008)

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Spirale der Gewalt

Berlin, Sommer 1967. Der persische Schah kommt auf Staatsvisite in die deutsche Hauptstadt. Als er vor der Deutschen Oper aus seiner Luxuslimousine aussteigt, geraten die Anhänger des Schahs und die Demonstranten in eine gewalttätige Auseinandersetzung, deren fürchterliches Ende in der Ermordung von Benno Ohnesorg mündet. Der brutale Polizeieinsatz und das blinde Drauflosprügeln auf unbewaffnete und wehrlose Demonstranten wird minutenlang und atemlos filmisch inszeniert, so dass der Zuschauer bereits ab den ersten Minuten direkt in die historischen Ereignisse hineinkatapultiert wird, die mit zur Gründung der Roten Armee Fraktion (RAF) führten.

In zweieinhalb Stunden haben Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Uli Edel die Stationen von Andreas Baader (Moritz Bleibtreu), Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek), Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) und anderen RAF-Mitgliedern nachgezeichnet, die sich immer mehr radikalisieren und auch vor Mord nicht zurückschrecken. Während sie anfangs noch mit Brandsätzen und Schriften die Politik und Öffentlichkeit versuchen wachzurütteln, entschließen sie sich bald für den bewaffneten Widerstand gegen den politischen Status Quo der Bundesrepublik und gründen die RAF. Deren Gewalt eskaliert im Laufe der folgenden Jahre immer mehr, und auch die Inhaftierung 1972 von Meinhof, Baader, Ensslin und Jan-Carl Raspe (Niels Bruno Schmidt) bringt nicht die Eindämmung des Terrorismus. Gegenspieler der RAF ist der Chef des Bundeskriminalamts Horst Herold (Bruno Ganz), der sich bemüht, in die Denkstrukturen der RAF-Mitglieder hineinzufinden um gegen sie vorzugehen. Herold erkennt aber auch, dass eine Revolution nur innerhalb eines kränkelndes System hervorgerufen wird. Mittlerweile wächst die zweite Generation von RAF-Mitgliedern nach, die noch brutalere Gewalt anwenden als ihre inhaftierten Genossen, die mittlerweile zu einem Mythos geworden sind. Während des Prozesses gegen die RAF-Mitglieder wird Ulrike Meinhof erhängt in ihrer Zelle aufgefunden –geplanter Mord? Schließlich gipfelt der bewaffnete Krieg im „Deutschen Herbst“ 1977 mit der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer und einer Lufthansa-Maschine. Kurz danach liegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe tot in ihren Stammheimer Zellen, was wiederum zur Ermordung Schleyers führt.

Der Film Eichingers, der sich bereits mit Der Untergang eines historischen Stoffes angenommen hat, ist kein RAF-Mythen schaffendes Produkt, sondern eine extrem spannend inszenierte Produktion, die beide Seiten beleuchtet, ohne zu verurteilen oder zu werten, wobei sich der Film stark an das gleichnamige Buch Stefan Austs hält. Dabei wird die Brutalität, die sowohl bei den Polizeieinsätzen angewandt wird, als auch die der skrupellosen bewaffneten Freipressungen und Attentate der RAF detailliert dargestellt, die das Hinsehen einerseits unmöglich macht, andererseits gerade deswegen den Blick auf die Leinwand fesselt. Diese Erbarmungslosigkeit ist durch Polizeiberichte bestätigt, an denen sich Eichinger bis auf jeden einzelnen Schuss gehalten hat. Die Authentizität des Filmes ist groß, so wurde vielfach an Originalschauplätzen gedreht, auf künstliche Beleuchtung und visuelle Effekte weitgehend verzichtet und die Dialoge halten sich großteils an überlieferte Texte oder Gesprächsinhalte. In schneller Schnittfolge sind teilweise Originalaufnahmen hineingebracht, die nicht nur die verblüffende Ähnlichkeit der Schauspieler mit den realen Personen verdeutlichen, sondern auch untermauern, wie nah der Film an der Realität geblieben ist — ganz im Sinne des „Cinéma vérité“.

Die Schauspieler-Riege liest sich wie das Who is Who des deutschen Kinos und selbst kleinere Rollen werden von großen Namen besetzt, beispielsweise spielt Tom Schilling, der gerade als Robert Zimmermann auf den Kinoleinwänden zu sehen ist, den Attentäter Rudi Dutschkes oder Anna Thalbach, die in der Rolle der Ingrid zu sehen ist. Beeindruckend ist vor allem Martina Gedeck als Ulrike Meinhof, die den leicht monotonen und gepressten Sprachduktus der Journalistin täuschend echt nachahmt und Moritz Bleibtreu, der überzeugend den cholerischen und egozentrischen Andreas Baader zum Besten gibt.

Die Jugendfreunde Eichinger und Edel haben sich bewusst entschieden, den Film nicht exemplarisch an einer Figur zu erzählen und lassen dadurch keinen Raum für Identifikationsflächen zu. Außerdem wirken sie damit einer Mythenbildung entgegen, denn keine der Figuren wird glorifiziert oder besonders heldenhaft dargestellt. Das wird letztendlich auch den Angehörigen der Opfer gerecht, die den Film vorab gezeigt bekamen, sich durchgehend positiv über die Darstellung äußerten und das Andenken der Getöteten nicht gestört sehen.

Der Film wirft zwar viele Fragen auf, die nicht ohne weiteres beantwortet werden können und die gewalttätigen Szenen lassen ein bedrückendes Gefühl zurück, vor allem aber setzt sich dieses filmisch exzellent umgesetzte Stück deutscher Nachkriegsgeschichte als eindrückliches und großartiges Kinoerlebnis mit Tiefgang im Kopf fest. So wird denn auch Der Baader Meinhof Komplex als deutscher Beitrag für den Besten Nicht Englischsprachigen Film in das Rennen um den Oscar gehen.

Der Baader Meinhof Komplex (2008)

Berlin, Sommer 1967. Der persische Schah kommt auf Staatsvisite in die deutsche Hauptstadt. Als er vor der Deutschen Oper aus seiner Luxuslimousine aussteigt, geraten die Anhänger des Schahs und die Demonstranten in eine gewalttätige Auseinandersetzung, deren fürchterliches Ende in der Ermordung von Benno Ohnesorg mündet.

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Meinungen

Kinga von Gyökössy-Rudersdorf · 05.04.2024

Es war toll diese Film als eine die es miterlebt hat als Film jetzt anzuschauen. Leider in der Kno waren wir 6 alte Leute. in Schondorf in einzige Termin, wo es gespielt war.
Eigentlich sollten es jetzt gerade viele -viele Schulklassen anschauen m ü s s e n !!!!

Snacki · 28.10.2008

Kann man sehen, aber kein Muss. RAF nur an der Oberfläche gekratzt - entbehrenswerter Film.

Frank aus Berlin · 27.10.2008

der film ist routiniert abgedreht.wer die reinen geschichtlichen fakten wissen will, wird hier gut bedient. aber diese aneinanderreihung der chronologischen ereignisse hat mich doch etwas enttäuscht.hätte mir mehr hintergründe gewünscht, was die ursachen für die bildung dieser gruppierung waren.

Bettina Hocke · 23.10.2008

Geht unter die Haut , regt zum Nachdenken an !!!
Oscarverdächtig !!!
Schauspielerische Glanzleistung !!!

· 18.10.2008

geil!!!!!!!!!!!!!!!!!

freddie66 · 17.10.2008

Pseudopädagogischer Geschichtsunterricht. Jeder interessanten Frage zur Motivation verweigert sich der Film total. Eine Aneinanderreihung der historischen Ereignisse ohne differenzierte Auseinandersetzung ist zu wenig für die Unmengen von Millionen, die dieses Werk gekostet hat. Habe keinen Arthousefilm erwartet, aber auch Mainstream kann etwas behutsamer und klüger mit Geschichte umgehen, als dieser Film es versucht. Die Szenen mit Bruno Ganz und Heino Ferch, haben nicht nur bei mir im Kinosaal für viele unfreiwillige Lacher gesorgt. Und dass die emotional stärksten Bilder Archivaufnahmen sind, sollte den Filmemachern zu denken geben. Und noch eine Frage am Rande: Warum müssen deutsche Schauspieler ihre Emotionen ständig mit lautem Schreien verwechseln?

Unbeteiligte · 16.10.2008

Man hat diese Altersbeschränkung gewählt, damit auch Schulklassen sich den Film im Kino als Unterrichtsstoff anschauen können.

c0n · 14.10.2008

Dieser Film sollte MINDESTENS ab 16 Jahren freigegeben werden.

Janosch · 05.10.2008

Fesselnder Film und tolle Besetztung, Er bringt einem die dramatik der Geschichte nah und das erfolgreicher als jedes Geschichtsbuch!- es ist mir jedoch UNBEGREIFLICH, wieso man diesen Film AB 12 JAHREN freigibt, und sich gleichzeitig über Anschläge jugendlicher an Schulen wundert. Mit 12 Jahren ist man nach dem Gesetz noch ein Kind, nicht mal ein junger jugendlicher- und? Ist das ein Kinderfilm, wo Frauen geschlagen, Kinder kaltblütig erschossen und Bomben selbst gebastelt werden? Nein das ist sicher kein geeigneter Film für Kinder. Kinder sind formbar, beeinflussbar und lassen sich schnell manipulieren. Wer diesen Film siet, sollte schon mal was von der RAF gehört haben, wissen dass Kommunismus verherrend ist und ein geschichtliches Basiswissen haben. Ansonsten könnte es passieren, dass junge Zuschauer den Film in den falschen Hals bekommen und meinen ihren Willen und die eigene Meinung mit Gewalt durchzusetzten , wäre ehrenhaft. Gewissermaßen ein pflichtbewusstes handeln, wenn es um Motive geht, die in ihrem Ursprung richtig sind. Daher ist dieser Film maximal AB 16 JAHREN freizugeben, und selbst da kann ich nur hoffen, dass der eigene Horizont weit genug geht, um den Film richtig zu verstehen.

Sarah (17) · 03.10.2008

Ich finde es ziemlich krass alles dargestellt. Sehr der Wirklichkeit entsprechend und fesselnd bis zum Schluss. Nach dem Kinobesuch ist es immernoch im Kopf. Man kann nach dem Film nicht sagen: Alles klar es war NUR ein Film. Denn alles ist mal wirklich passiert. Ging mir sehr nahe und ich finde die Altersbegrenzung ziemlich weit unten. Das können keine 12 Jährigen sehen. Ich versteh den Grund nicht, warum ab 12 und bin der meinung man sollte ihn hochsetzen.!!

· 01.10.2008

Der Film zieht einen sofort in die Ereignisse von damals mit rein, er ist sehr authentisch und beklemmend, ich war mit meinen Kindern 13+15 dort, die Freigabe ab 12 Jahren ist falsch, das verstehen 12jährige nicht, vor allem wenn sie alleine ins Kino gehen, eine Freigabe ab 16 Jahre wäre angebracht, wer hat da nicht richtig hingeschaut?

Valli · 01.10.2008

Eine durch und durch gelungene Inszenierung, bei der die Kamera auf alles draufhält was vor jahrzehnten noch herausgeschnitten worden wäre, sei es Gewalt oder der entblöste Mensch.
Negativ ist zu werten dass auf die Motive nicht genauer eingegangen wird, was in 2,5h und der Fülle an Informationen auch schwer geworden wäre. Damit wird dem Zuschauer aber auch nicht das Denken abgenommen. Und wer sich weiter informieren will kann ein Buch lesen oder eine Doku ansehn.
Sehr guter und unterhaltsamer Zusammenschnitt der Ereignisse mit Überzeugenden Akteuren.

jesper · 28.09.2008

legitim und wichtig, den x-ten film über die raf zu inszenieren. aber gerade deshalb, hat man sämtliche möglichkeiten eines differenzierten umgangs, eines genauen blickes verpasst, indem man jeglichen fragen ausweicht und nur reaktionen reflektiert. ein film für lehrer und schüler soll es sein. ein film für unwissende. ein gutes vorhaben, aber maßlos aus den augen verloren. der schüler ist herr eichinger, der lehrer die geschichte