Der Aufsteiger (2011)

Eine Filmkritik von Melanie Hoffmann

Macht, Mauscheleien und der große Aufstieg

Bertrand Saint-Jean ist Verkehrsminister. Dazu gehört auch, dass er mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wird, weil ein Reisebus verunglückt ist. Natürlich kann er nicht helfen, aber es gehört zu seinem Job an die Unfallstelle zu reisen und Betroffenheit zu demonstrieren. Oder vorzutäuschen. Die Arbeit eines Politikers ist es eben, in der Öffentlichkeit gut anzukommen.

Saint-Jean ist gerade erst in der Spitzenpolitik angekommen, aber wie es der Zufall so will, hat er direkt nach diesem Unglück die Aufgabe, die Privatisierung der Bahnhöfe in Frankreich durchzusetzen. Seine Partei will es so. Zunächst versucht er zu vermitteln zwischen Interessengruppen und seiner Partei, doch schon bald entdeckt er, wie er sich politisch emanzipieren kann.

Als er einen neuen Fahrer einstellen muss, weist er seine Assistenten gezielt an, einen geeigneten Langzeitarbeitslosen zu suchen. Dies sollte seine politische Kompetenz auch auf anderen Feldern demonstrieren. Alles zum Wohle der Partei. Tatsächlich wird Martin Kuypers sein Fahrer. Treu ergeben, freundschaftlich und zuverlässig ist er. Als Saint-Jean aber die Frau seines Fahrers kennenlernt, bekommt er den ganzen Zorn der Arbeiterschicht zu spüren. Doch trotz aller Querelen darf er sein politisches Ziel nicht aus den Augen verlieren. Die Privatisierung der Bahnhöfe… oder war es doch sein eigener Machterhalt?

In der Analyse der politischen Oberschicht zeigt Regisseur Pierre Schoeller, dass das Hauptaugenmerk der Mächtigen darauf liegt, mächtig zu bleiben. Die Thematik, mit der sie umzugehen haben, über die sie vor der Presse sprechen, spielt eine untergeordnete Rolle. So lange sie das widerspiegelt, was das Volk und damit die Wählerschaft denkt.

Das Hauptmittel der Kommunikation im Film ist das Gespräch am Mobiltelefon. Zum einen symbolisiert das sehr schön die Rastlosigkeit und das Nomadenleben der Politiker, die stets an dem Ort sein müssen, „wo Gras wächst“. Wo etwas wichtiges passiert, wo die Presse vor Ort ist, müssen sie Flagge zeigen. Ferner ist es natürlich auch Ausdruck der Lebensweise unserer modernen Gesellschaft, die überall erreichbar sein muss und mobil arbeitet, dafür aber keinen geregelten Tagesablauf mehr hat. Natürlich bleibt bei einem solchen Rhythmus (oder nicht vorhandenem Rhythmus) das gründliche Erarbeiten und Informieren auf der Strecke, aber Opfer müssen eben gebracht werden. Auch das Opfer des Privatlebens: „4000 Kontakte und keinen Freund darunter“, sagt Saint-Jean einmal. Wo das Mobiltelefon ein schönes Symbol für die Rastlosigkeit sein mag, so ermüdet es als Stilmittel im Film recht schnell die Aufmerksamkeit des Zuschauers. Ganz viel passiert nicht direkt auf der Leinwand, sondern in Erzählungen oder Diskussionen am Telefon.

Der Autounfall ist allerdings ein brutaler Schnitt im Film. Um einen wichtigen Termin nicht zu verpassen, drängt Saint-Jean seinen Fahrer auf ein Autobahnstück auszuweichen, das erst nächste Woche eingeweiht wird. Doch auf der ganz leeren Straße kommt der Wagen unerklärlicherweise ins Schleudern, vielleicht lag noch etwas auf dem Asphalt, vielleicht war der Belag noch zu rutschig. Das Auto überschlägt sich mehrere Male. Saint-Jean ist mit mittelschweren Blessuren noch am besten davongekommen, seinem Assistenten ergeht es schlechter. Aber sein Fahrer liegt mehrere Meter hinter der Unfallstelle, tot. Eine Szene mit ungeheurer Wucht, die dem Zuschauer so klar vor Augen führt, dass die Entscheider ihre eigenen Entscheidungen oftmals am allerwenigsten spüren. Ausbaden, leiden, ihre Existenz verlieren – das müssen andere. Hier ganz wörtlich.

Die Darsteller sind so hervorragend ausgewählt, dass man an ihrem Politikerdasein in keinem Moment zweifelt. Allen voran natürlich Olivier Gourmet in der Rolle des Bertrand Saint-Jean, ihm passt die Rolle wie ein maßgeschneiderter Anzug. Sein Stabschef Gilles, verkörpert von Michel Blanc, ist der Kopf hinter vielen Entscheidungen, der Strippenzieher, der von seinem Schreibtisch aus den Überblick behält. Den etwas naiven Fahrer aus der Arbeiterklasse fand Pierre Schoeller in dem unerfahrenen Laiendarsteller Sylvain Deblé.

Schließlich ist Der Aufsteiger ein gelungenes Portrait der inneren Strukturen der Macht. Regisseur Pierre Schoeller hat für die Zeichnung des Protagonisten einen Politiker zu Beginn seiner Ministerlaufbahn gewählt, was eine große Idee war. So hat man zu Beginn noch gewisse Sympathien für Saint-Jean, dies lässt aber mit steigender Dominanz über andere nach, bzw. weicht sogar Mitleid, wenn er sich wider besseres Wissen der Parteimeinung beugen muss. Im zurückgenommenen realistischen Stil der Brüder Dardenne, die diesen Film mitproduzierten, lässt sich die Erzählung nie auf Schnickschnack ein. Dieser Film ist sicherlich kein Wellness-Programm, aber ein wichtiger Film und sollte gesehen werden.
 

Der Aufsteiger (2011)

Bertrand Saint-Jean ist Verkehrsminister. Dazu gehört auch, dass er mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wird, weil ein Reisebus verunglückt ist. Natürlich kann er nicht helfen, aber es gehört zu seinem Job an die Unfallstelle zu reisen und Betroffenheit zu demonstrieren. Oder vorzutäuschen. Die Arbeit eines Politikers ist es eben, in der Öffentlichkeit gut anzukommen.

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