Log Line

Mit „Der Anruf“ („All the Old Knives“) gelingt Janus Matz Pedersen trotz einiger inszenatorischer Merkwürdigkeiten ein sehenswerter Thriller, der vor allem gegen Ende seine vollen Qualitäten zu entfalten weiß. 

Der Anruf (2022)

Eine Filmkritik von Markus Fiedler

Die Story ist der Star!

Das Genre des Spionage-Thrillers teilt sich grundsätzlich in zwei Gruppen. Entweder erlebt der Zuschauer einen wilden Ritt wie in den James Bond- oder Jason Bourne-Filmen. Oder der Film kommt komplett ohne Action aus und fokussiert sich auf ein subtiles Katz-und-Maus-Spiel, das sich weitgehend über Dialoge definiert und den Zuschauer entweder zum Komplizen oder zum Jäger des Schurken macht. Der Anruf (Originaltitel: All the Old Knives) gehört zur zweiten Kategorie.

Der dänische Regisseur Janus Metz Pedersen, dessen bekannteste Arbeit Borg/McEnroe aus dem Jahr 2017 ist, übernahm das Projekt nach Querelen mit dem eigentlich für die Regie eingeplanten James Marsh (Die Entdeckung der Unendlichkeit). Und konnte auf ein stattliches Arsenal an Stars zurückgreifen. Neben Chris Pine als Henry Pelham sind auch Lawrence Fishburne als Vic und Thandiwe Newton als Celia Harrison zu sehen. Das Drehbuch schrieb Olen Steinhauer, ein Bestseller-Autor und Spezialist für Spionage-Storys, nach einem seiner eigenen Romane.

Und tatsächlich ist die Story der eigentliche Star. Denn immer, wenn dem Film ein wenig die Puste auszugehen droht, sorgt die Handlung für frischen Wind und bringt das Drama, das sich erst nach einer Stunde langsam abzeichnet, wieder auf Kurs. Dabei kann die Story mehr als einen sowohl überraschenden als auch glaubwürdigen Twist verbuchen, der die bis dahin gefasste Meinung des Publikums über die Situation gehörig durcheinanderwirbeln dürfte.

Das gelingt Steinhauer durch sehr präzise Wechsel der Zeitebenen, die mit einer Ausnahme stets zwischen 2012 und 2020 hin und herspringen – und langsam ein Mosaiksteinchen nach dem anderen freilegen, bis sich ein Gesamtbild ergibt. Am stärksten ist Der Anruf deshalb in der Schluss-Viertelstunde, wenn Szenen vom Beginn des Films noch einmal zu sehen sind, und das Publikum sie dann mit mehr Wissen völlig anders wahrnimmt als beim ersten Mal.

Selbst ganz am Ende, wenn sich der Zuschauer sicher ist, nun alles verstanden und gesehen zu haben, malt Steinhauer mit wenigen Pinselstrichen ein mögliches Alptraum-Szenario an die Wand, das nochmals für ein Ansteigen des Pulses sorgt. Keine Frage, diesen Autor sollten Thriller-Fans künftig im Auge behalten.

Bemängeln lässt sich allerdings der etwas mühsame Aufbau des gesamten Szenerios, der nicht nur eine ganze Weile dauert, sondern dabei auch durch inszenatorische Merkwürdigkeiten auffällt. So ist das Restaurant, in dem Henry und Celia sich nach acht Jahren zum ersten Mal wiedersehen, in ein Licht getaucht, dass man Chris Pines Auftritt dort für einen Parfüm-Werbespot halten könnte. Pedersens Hang zu übertrieben schönen Bildern im Gegenlicht passt weder zur Handlung, noch lässt sich dahinter ein tieferer Sinn finden. Stattdessen lenkt das übertrieben schicke Ambiente immer wieder vom sehenswerten Duell zwischen Henry und Celia ab.

Denn das ist nicht nur der Kern des Films, sondern auch ausgezeichnet gespielt. Pine überzeugt als nur scheinbar eiskalter Agent, der im Verlauf der Handlung auch ohne Worte offenbart, dass ihm die plötzliche Trennung von Celia bis heute zu schaffen macht. Und Thandiwe Newton kann mit ihrem zwar emotionaleren, aber dennoch immer wieder kühlen Spiel den ambivalenten Charakter ihrer Figur bis zur Auflösung bewahren. Es ist das Warten darauf, wer von beiden zuerst die Maske fallen lässt und seine wahren Gedanken zum Ausdruck bringt, dass den Zuschauer an den Bildschirm bannt.

Fazit: Mit Der Anruf präsentiert Amazon Prime Video seinen Abonnenten eine edel gespielten Spionage-Thriller, dessen Form die hohe Qualität der Story leider nur in Teilen widerspiegelt. Zwar braucht die Geschichte einen langen Anlauf, versöhnt aber mit guten Twists und einem fulminanten Finale, das einen nicht kalt lässt.

Der Anruf (2022)

Der Streifen basiert auf dem gleichnamigen Roman von Autor Olen Steinhauer und spielt in Kalifornien. Die Handlung folgt der Geschichte von Henry und Celia — zwei CIA-Agenten und ehemaligen Liebhabern — die sich beim Abendessen treffen, um sich an ihre gemeinsame Zeit im Einsatz zu erinnern. Ihr Gespräch dreht sich um die katastrophale Entführung eines Fluges, bei der alle Menschen an Bord ums Leben kamen. Dieser Misserfolg verfolgt die CIA bis heute und Henry ist zu dem Abendessen gekommen, um zu versuchen, dieses dunkle Kapitel abzuschließen. Während das Paar während des Essens flirtet, wird klar, dass einer von ihnen nicht überleben wird.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen