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Anatolische Leoparden sind vom Aussterben bedroht, genau wie der Direktor des ältesten Zoos in der Türkei. Das ist im Grunde nicht lustig, aber Regisseur Emre Kayiş garniert sein melancholisches Requiem mit einer gehörigen Prise lakonischen und zuweilen auch recht schwarzen Humors.

Der Anatolische Leopard (2021)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Auf den Spuren Kaurismäkis

Wenn schnauzbärtige Männer mit trüben Augen lange genug in ihr Bierglas starren, dann kann das auch komisch sein. Beim Finnen Aki Kaurismäki hat man solche Typen zuhauf gesehen: Antihelden, die plötzlich zu Unerhörtem fähig waren. Als Bruder in Kaurismäkis Geist tritt nun der Türke Emre Kayiş in seinem Langfilmdebüt auf den Plan. Mit lakonischer Ironie schildert er den passiven Widerstand eines wortkargen Zoodirektors gegen finanzstarke arabische Investoren und einen modernistischen Bürgermeister, die den Zoo abreißen und auf dem Gelände einen Vergnügungspark bauen wollen. Ein Schelm, wer da an die Proteste im Jahr 2013 gegen die Überbauung des Istanbuler Gezi-Parks denkt, die sich zu einer Aktionswelle gegen die Regierung Erdoğans ausweiteten.

Dem titelgebenden Leoparden geht es nicht gut. Müde schleicht er zu dem Fressen, das ihm der Wärter durch die Gitterstäbe geworfen hat. Er schnüffelt daran, hat aber keinen Appetit und dreht ab. Für einen kurzen Moment sieht er zum Zoodirektor Fikret (Uğur Polat) hinüber, der die Szene beobachtet. Der Mann, der mit Tieren besser als mit Menschen auskommt, versteht den Wink. Wenig später hört er das Tier mit dem Stethoskop ab und untersucht das offensichtlich von einer Krankheit zeugende Fell. Und noch später geht er nachts erneut zum Käfig und redet mit dem Tier. „Ich hätte etwas aus meinem Leben machen können“, klagt er der ruhig daliegenden Raubkatze sein Leid. Anscheinend hat er das Gefühl, dass Vierbeiner die einzigen sind, die ihn in seinem kafkaesken Gefühl der Entfremdung verstehen, endlos in die Tiefe zu fallen. In der Tat haben Leopard und Direktor einiges gemeinsam. Beide sind alt und beide passen nicht mehr in die moderne Zeit von Profitmaximierung und rücksichtslosem Abriss von allem, was obsolet erscheint.

Trotzdem gibt es einen kleinen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Der Anatolische Leopard ist nicht nur vom Aussterben bedroht wie die Welt des Direktors mit ihren humanen Werten, die von den Geldhaien und Populisten nur belächelt werden. Im Gegensatz zu den Menschen kann das Tier nicht einfach beiseitegeschoben werden. Solange es nicht an einen anderen Zoo verkauft ist, kann der Tierpark nicht abgerissen werden. Geschickt zögert der Direktor die Verhandlungen mit den anderen Einrichtungen hinaus — in der begründeten Hoffnung, dass irgendwann die arabischen Investoren abspringen werden. Doch dann stirbt der Leopard und der Direktor des ältesten Zoos der Türkei tut etwas, was man dem lähmend depressiven Mann nicht mehr zugetraut hätte. Um sein Refugium zu retten, verstößt er gegen das Gesetz. Insgeheim unterstützt wird er dabei durch seine Sekretärin Gamze (Ipek Türktan Kaynak), die offenbar schon länger in Fikret verliebt ist, ohne dass er das in seiner verschlossenen Eigenbrötlerei jemals zur Kenntnis genommen hätte.

Wäre dies ein Kaurismäki-Film, dann würden zwei einsame Outlaws jetzt zu einem Team, das dem turbokapitalistischen System ein Schnippchen schlägt. Eine Weile sieht es auch danach aus, aber dann biegt Regisseur und Drehbuchautor Emre Kayiş in eine andere Richtung ab. In einem Interview erklärt er dies damit, dass sein Blick auf den Protagonisten durchaus zwiespältig ist. Er ordnet ihn einer verlorenen Generation zu, die einst für eine bessere Welt kämpfte. Zugleich aber hält er ihn für einen Konformisten, der zu sehr um sich selbst kreist, um etwas wirklich Radikales durchzuziehen und sich die Hände schmutzig zu machen. Das ist offensichtlich eine Anspielung auf die türkischen Oppositionskräfte, die allerdings für nicht-türkische Betrachter schwer zu verstehen ist. Und so wird der Film schließlich selbst von der Unschlüssigkeit seines Betrachters erfasst: Man weiß im letzten Drittel nicht mehr, wo er eigentlich hin will.

Was bleibt, sind allerdings die wunderschön melancholischen Bilder von Kameramann Nick Cooke, der mit aufgeräumten Einstellungen der tristen Umgebung einen Zauber entlockt und daran erinnert, was für immer verloren zu gehen droht. Und es bleibt der Sinn für den leisen, teils schwarzen Humor des Absurden. Wenn etwa der Direktor zur Arbeit fährt, dann findet er seinen Parkplatz zugestellt von den Hochglanzlimousinen der Investoren. Er weicht also auf ein unbefestigtes Gelände aus, verlässt den Wagen und tritt in eine Pfütze. Wie er sich mit angewidertem Gesichtsausdruck dann auf den Hacken ins Trockene rettet, ist nur eine von vielen kuriosen Szenen, die durch ihren Sinn fürs Detail glänzen. Aki Kaurismäki hätte seine Freude daran.

Der Anatolische Leopard (2021)

Zoodirektor Fikret befürchtet, daß Investoren seinen Zoo in einen Vergnügungspark umbauen. Die mögliche Rettung: Der Zoo beherbergt einen Leoparden, der unter Artenschutz steht.

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