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In Tsai Ming-Liangs Film Days (Rizi) trifft die Einsamkeit der Großstadt auf die Schönheit des Alltäglichen.

Days (2020)

Eine Filmkritik von Lucia Wiedergrün

Die Kunst des Rahmens

Als Kind der Moderne ist das Kino von Beginn an fasziniert von der Einsamkeit der Großstadt. Auch Tsai Ming-Liangs aktueller Film Days (Rizi) findet eindringliche Bilder für die Isolation in der Menge.

Zwei Männer bewegen sich durch ihren Alltag, sie leben alleine. Der Ältere (Lee Kang-Sheng) von beiden lebt in einem Haus mit Blick ins Grüne. Der Jüngere (Anong Houngheuangsy) in einer kleinen Wohnung in Bangkok. Der Ältere schaut aus dem Fenster, badet, lässt eine Akupunktur vornehmen. Der Jüngere kocht, besucht einen Nachtmarkt, bewegt sich durch die Stadt. Sie treffen sich in einem Hotel. Der Jünger massiert den Älteren. Es folgt ein kurzer Moment der Intimität; einen Augenblick bleiben sie noch zusammen, der eine schenkt dem anderen eine kleine Spieluhr; sie essen gemeinsam Nudeln, dann trennen sich ihre Wege wieder. Ganz ohne Dialog wird diese Geschichte des Zusammentreffens und Auseinandergehens erzählt.

Days besteht aus einer Reihe statischer Einstellungen, die mitunter über Minuten stehen bleiben. Jedes Bild für sich ist dabei ein kompositorisches Meisterwerk. Diese sind meist gerahmt durch Fenster, angeschnittene Türrahmen oder tiefstehende Abdächer. Eine rote Waschschüssel, eine rosa Plastiktüte – aus den grauen Betonfassaden stechen die Farben der im Bild versammelten Alltagsgegenstände deutlich hervor. In vielen Einstellungen sind die Protagonisten zu sehen, doch fast immer trennt sie etwas vom Publikum. So stehen sie hinter Glasscheiben, Zäunen oder Gittertüren. Für den Blick ganz nah und doch unerreichbar. Selbst in den Aufnahmen des Stadtraums scheinen die Protagonisten isoliert, kaum in Kontakt mit ihrer Umwelt. Ohne je etwas über ihre Hintergründe und konkreten Lebensumstände zu erfahren, vermittelt sich so ihr Schmerz, die Einsamkeit und das Sehnen nach Nähe. Im Hotelzimmer scheinen sie kurz gegen das Alleinsein aufzubegehren, doch hält der Augenblick nicht lange an.

Die langen Einstellungen der unbewegten, in Perfektion platzierten Kamera schaffen eine eigenwillig sinnliche Seherfahrung. Dabei stellt sich nie das Gefühl ein, anwesend zu sein und die Männer zu begleiten. Stattdessen gleicht der Film an vielen Stellen einem Suchbild. Die gedehnte Zeit ermöglicht ein Wandern des Blicks durch die Bilder. Die Augen beginnen die dargestellten Oberflächen und Materialien zu erkunden, konzentrieren sich auf Risse in der Wand, vorbeifahrende Autos und Werbeschilder. Sind die Einstellungen selbst auch statische, so sind die Bilder doch von Bewegung erfüllt. Je länger man auf sie blickt und sich in sie vertieft, desto mehr Details werden sichtbar: Kleinigkeiten wie das Tänzeln einer Ofenflamme oder das Schlendern einer Katze im Bildhintergrund. Die Aufnahmen stehen also nur vermeintlich still, eigentlich sind sie erfüllt von kleinen Regungen und unauffälligen Bewegungen, die es zu entdecken gilt.

Days ist ein ästhetisches Meisterwerk; aber auch eine herausfordernde Seherfahrung. Es braucht Zeit, sich an die beinahe aggressive Ruhe des Films zu gewöhnen und empfänglich zu werden für die Schönheit der perfekt choreografierten Alltäglichkeit. Lässt man sich aber darauf ein, scheinen die Gegenstände lebendig zu werden und belohnen die Zuschauer*innen mit einem Tanz der Oberflächen, der die Einsamkeit spürbar macht und ihr doch etwas entgegenzusetzen scheint.

Days (2020)

Kang lebt allein in einem großen Haus, Non hingegen in einem kleinen Apartment. Sie treffen sich und gehen wie auseinander — und die Tage verrinnen genauso wie zuvor.

 

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