Das Orchester von Piazza Vittorio

Eine Filmkritik von Paul Collmar

Der Sound eines Viertels

Vor rund zehn Jahren war es genug mit dem schleichenden Verfall der Gegend rund um die Piazza Vittorio in Rom. Als das Programmkino „Apollo 11“ seine Pforten schloss, gründete sich eine Bürgerinitiative, die den kulturellen Niedergang ihres Viertels einfach nicht länger hinnehmen wollte. Weil der Stadtteil Esquellino eine Vielzahl an Nationalitäten aufweist, entstand die Idee, ein Orchester zu gründen, das genau diese bunte Mischung an Bewohnern und ihrer unterschiedlichen Herkunft, widerspiegeln sollte. Federführend war neben dem Filmemacher Agostino Ferrente selbst der Musiker Marco Tronco, der sich unermüdlich auf die Suche nach geeigneten Musikern machte, die bereit waren, sich auf dieses künstlerische Experiment einzulassen – zumal dafür kein Geld floss. Mit viel Enthusiasmus und Überzeugungsarbeit konnten schließlich 16 Musiker zusammengetrommelt werden, die bereit waren, in dem Orchester mitzuwirken. Doch nun begann der schwierigste Teil des Unternehmens: Tronco hatte nämlich die Idee, die Musiker und ihre unterschiedliche Prägung nicht aneinander anzupassen, sondern jedem seine kulturellen Eigenheiten zu lassen. Aber wie bringt man Musiker aus Argentinien, dem Senegal, Tunesien, den USA, aus Italien, Rumänien, Indien, Marrokko, Ägypten, Brasilien und anderen Ländern so zusammen, dass daraus Wohlklang und keine wilde Kakophonie entsteht?
Von der Idee und der schwierigen Suche nach geeigneten Mitstreitern, vom Ringen um den gemeinsamen Klang, der jede der vertretenen Nationalitäten angemessen reflektiert und dem schlussendlichen Erfolg erzählt Agostino Ferrente in seinem Dokumentarfilm. Da er einer der Impulsgeber des heute in Italien und darüber hinaus bekannten Orchesters ist, gelingen ihm neben der Musik auch Einblicke ins Alltagsleben der Migranten, bereitwillig öffnen sie ihm ihre Wohnungen, berichten von ihren Sorgen und Nöten und von der Angst vor der Abschiebung.

Leider ist das Ergebnis dieses Projekts, zumindest in seiner filmischen Form, die bisweilen ein wenig an Nanni Morettis Liebes Tagebuch / Caro Diario erinnert, nicht annähernd so überzeugend wie das Orchester. Bedingt durch die mühsame Suche nach Mitstreitern die zahlreichen Einblicke in die Hintergründe der einzelnen Musiker bleibt kaum Zeit für eine adäquate Darstellung der ebenso aufreibenden wie befruchtenden gemeinsamen Probenarbeit, in der zusammenwächst, was zusammengehört: Es sind die Menschen eines Viertels, die ohne Ansehen der Herkunft, aber voller gegenseitigem Respekt und gelebter Solidarität aufeinander zugehen, einander annehmen und daraus etwas ganz Neues und Großartiges schaffen. Genau diese Faszination der Entdeckung des gemeinsamen Potenzials, die wahr gewordene Utopie einer multikulturellen Gesellschaft. Was das gerade im Italien Silvio Berlusconis bedeutet, davon gibt dieser Film allenfalls eine kleine Idee. Dem faszinierenden Sound eines Viertels, der mittlerweile auch international für Furore sorgt, tut dies aber keinen Abbruch.

Das Orchester von Piazza Vittorio

Vor rund zehn Jahren war es genug mit dem schleichenden Verfall der Gegend rund um die Piazza Vittorio in Rom. Als das Programmkino „Apollo 11“ seine Pforten schloss, gründete sich eine Bürgerinitiative, die den kulturellen Niedergang ihres Viertels einfach nicht länger hinnehmen wollte.
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