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In „Das Lehrerzimmer“ blickt İlker Çatak auf das Schulsystem und führt uns zusammen mit der Protagonistin an dessen Grenzen.

Das Lehrerzimmer (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Schulfriedensbruch

Zwischen 1967 und 1972 war die Schule im deutschen Kino vor allem ein Ort des Klamauks – dank der siebenteiligen, höchst erfolgreichen Filmreihe über „Die Lümmel von der ersten Bank“. Und auch die drei „Fack ju Göhte“-Teile (2013-2017) setzten auf derben Witz, um von renitenten Schüler:innen und genervten Lehrkräften zu erzählen, während in den satirischen Kammerspielen „Frau Müller muss weg“ (2015) und „Eingeschlossene Gesellschaft“ (2022) die Konflikte zwischen den Erwachsenen – zwischen Lehrer:innen und Eltern – bewusst auf die Spitze getrieben wurden. Ein genauer Blick in den Schulalltag fand wiederum eher in dokumentarischer Form statt, etwa in „Berlin Rebel High School“ (2016) oder in „Herr Bachmann und seine Klasse“ (2021).

Dem 1984 geborenen Regisseur Ilker Çatak gelingt es, all die genannten Elemente, vom Humor (allerdings in einer deutlich subtileren Variante) über die hitzigen Auseinandersetzungen bis hin zur präzisen Beobachtung, in seinem neuen Werk Das Lehrerzimmer zu vereinen. Das Ergebnis ist ein tragikomischer Film voller Spannung, der auch ein paar Abzweigungen in Richtung Krimi und Psychothriller nimmt, ohne dabei an Stimmigkeit oder Glaubwürdigkeit zu verlieren. Vielmehr bringen diese geschickten Genre-Einwürfe das Geschehen noch mehr zum Vibrieren.

Im Zentrum steht die junge und erkennbar engagierte Mathematik- und Sportlehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch). In der siebten Klasse, die sie unterrichtet, tritt sie zu Beginn wie eine Dirigentin auf, um das Begrüßungsritual einzuleiten. In der Mathestunde diskutiert sie den Unterschied zwischen einem Beweis und einer Behauptung; im Sportunterricht sorgen Zeitlupenaufnahmen für eine ungewöhnliche Poesie. Es sind originelle, einnehmende und lebhafte Bilder, die Çatak und seine Kamerafrau Judith Kaufmann finden, um den Mikrokosmos Schule in dessen Besonderheiten einzufangen.

Das Drehbuch, das Çatak zusammen mit Johannes Duncker verfasst hat, widmet sich zum einen etlichen kleineren Disharmonien, etwa wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob ein Notenspiegel unbedingt an die Tafel geschrieben werden muss, oder wenn Carla einen Schüler beim Schummeln ertappt. Zum anderen lässt es ein zunächst noch lösbar erscheinendes Problem immer fatalere Kreise ziehen. Als sich in der Schule diverse Diebstähle ereignen, glaubt Carla, eine clevere Methode gefunden zu haben, um der Sache auf den Grund zu gehen. Was sie mit ihrer „Ermittlungsarbeit“ indes bewirkt, gerät alsbald völlig außer Kontrolle. Zu Schlüsselfiguren werden dabei die Schulsekretärin Frau Kuhn (Eva Löbau) und deren Sohn Oskar (eine Entdeckung: Leonard Stettnisch), der in Carlas Klasse ist und sich als aufgeweckter Schüler hervortut.

Großartig ist, wie das Skript, die Inszenierung und nicht zuletzt die brillant und nuanciert spielende Leonie Benesch uns spüren lassen, dass Carla im Grunde stets gute Absichten hegt. Die noch recht unerfahrene Lehrerin will alles ganz korrekt machen – und scheut auch nicht davor zurück, ihren Kolleg:innen oder ihrer Vorgesetzten, der Direktorin Frau Dr. Böhm (Anne-Kathrin Gummich), in klaren Worten zu sagen, wenn sie die an der Schule verfolgte Null-Toleranz-Politik und die damit verbundenen Vorgehensweisen für fragwürdig hält. Bald sieht sich Carla jedoch mit aufgebrachten Eltern auf einem Elternabend (eine wahrlich virtuose Sequenz!) und mit teilweise verstörten, teilweise rebellierenden Schüler:innen konfrontiert.

Zu einem der vielen Höhepunkte von Das Lehrerzimmer zählt ein Interview, das Carla der Redaktion der Schülerzeitung gibt; eine Szene, die so aufregend wie Die Unbestechlichen (1976) ist und zugleich wunderbar aberwitzige Züge annimmt. Der Film behandelt Alltagsrassismus, Klassismus, Mobbing und Machtstrukturen. Er zeigt ein System, das überraschend leicht ins Wanken kommen kann – und lässt uns jede Zerrissenheit, jeden weiteren Eskalationsschritt intensiv mitfühlen.

Das Lehrerzimmer (2023)

Carla Nowak, eine engagierte Sport- und Mathematiklehrerin, tritt ihre erste Stelle an einem Gymnasium an. Im neuen Kollegium fällt sie durch ihren Idealismus auf. Als es an der Schule zu einer Reihe von Diebstählen kommt und einer ihrer Schüler verdächtigt wird, beschließt sie, der Sache eigenständig auf den Grund zu gehen. Zwischen empörten Eltern, rechthaberischen Kollegen und angriffslustigen Schülern versucht Carla zu vermitteln, wir dabei jedoch schonungslos mit den Strukturen des Systems Schule konfrontiert. Je verzweifelter sie sich bemüht, alles richtig zu machen, desto mehr droht die junge Lehrerin daran zu zerbrechen.

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Meinungen

Dr. Schadt-Krämer · 18.05.2023

Warum gewinnen Filme Preise, in denen es im Grunde um Lehrer*innen-Bashing geht. Hat es damit zu tun, dass die meisten Menschen meinen, sie wüssten über schulische Prozesse Bescheid, weil sie einmal Schüler*innen waren?
Oder, weil sie möglicherweise ein "tiefes Schultrauma" mit sich herumschleppen?
Einiges im Film war schlecht, um nicht zu sagen, sehr schlecht recherchiert. Auf Ascho Maßnahmen wird nie geheim abgestimmt. Zudem dürfen nicht zwei Sanktionen zugleich verhängt werden. Es herrscht über die Beschlüsse auch Schweigepflicht. Schade, dass die Junglehrerin - oder sagen wir besser, der Regisseur, das nicht wusste.
Darüberhinaus wurden über weite Teile hinweg Klischees verbreitet.
Die Kameraführung und die schauspielerische Leistungen waren ausgezeichnet. Es bleibt aber die Frage im Raum stehen: Was genau sollte deutlich werden? Dass Lehrer*innen sich in zwei Lager spalten? Dass Sekretärinnen kriminell sind? Dass auch kriminelle Sekretärinnen hochbegabte Kinder haben können?
Ich bin mit den überbordend positiven Kritiken alles andere als d`accord. Letztlich ist der Film nach dem gleich Muster wie "Eingeschlossene Gesellschaft". War das nicht auch ein deutscher Film?

Brule · 14.05.2023

Für mich ist es völlig unverständlich, dass dieser Film so gehyped wird, da er eine vermeintliche Realität widerspiegelt, die von Vorurteilen und altem Rollendenken geprägt ist, die zu nichts Gutem führen kann.

Die Zutaten: Man nehme eine von der ersten Minute an übertrieben unheilvolle Musik, beenge die Wahrnehmung des Zuschauers durch eine begrenzte Bildfläche, stelle eine vermeintlich tolle Pädagogin ohne den geringsten Sinn für Humor einem Horrorkabinett an Kollegen/Eltern gegenüber und benutze eine Lappalie für eine völlig unsinnige Eskalation. Das Ganze spielt in einer Art Paradiesschule, in dem allerdings Mobbing und Fremdenfeindlichkeit die Regel ist. Ein Alptraum!

Ich weiß ungefähr, was der Regisseur sagen wollte und dass er ein Abbild unserer Gesellschaft (die Schule ja immer ist und war) aufzeigen wollte, aber mit dem Schauplatz und dem Schwarz-Weiß-Denken hat er es sich zu leicht gemacht.

Ich habe den Film als extrem destruktiv/negativ empfunden und würde ihn niemandem empfehlen, der sich bemüht das Leben und die Menschen an seinen positiven Seiten zu packen, selbst wenn es mal hakt und klemmt. Ich würde ihn aber auch nicht den Nörglern und Kritikern empfehlen, die die Schuld -für was auch immer- stets im Außen suchen.

Ich denke, er sorgt zwar für viel Diskussionsstoff, aber nicht für Selbstreflektion. Schade!

Dr.Schadt-Krämer · 18.05.2023

Ich kann Ihnen da nur voll und ganz zustimmen. Es war gestern vergeudete Zeit, sich diesen Film im Kino anzuschauen. Er macht einen nur ärgerlich. Gut, dass ich danach noch mit lieben Freunden ein wenig Spaß haben konnte. So viel geballte Feindseligkeit gegenüber Lehrern und Lehrerinnen (ich mag dieses Sternchen in der Mitte nicht, die junge Lehrerinnen hörte sich an, als hätte sie das Touret`sche Syndrom) habe ich zuletzt noch nicht einmal im Film "Eingeschlossene Gesellschaft" erlebt und der war schon unerträglich.