Das Geständnis (1970)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Mordermittlung im real existierenden Sozialismus

Bernd Michael Lade trägt die DDR zu Grabe. Das Geständnis ist ein Kammerspiel, in dem die ganze Deutsche Demokratische Republik, all ihre Schwächen – und vielleicht auch ihre Stärken –, jedenfalls das, was sie schlussendlich vernichtet hat, enthalten ist. Eine Mordkommission, Verzeihung: Morduntersuchungskommission in Berlin in den letzten eineinhalb Jahren vor der Wiedervereinigung, die das Ende bedeutete – wobei schon vieles darauf hindeutet, dass es nicht weitergehen kann… Bürokratie, Dienstordnungen, Sprachregelungen, politische Sensibilität stehen den Ermittlungen stets im Wege; rebellische Subversion wäre ein Weg, arschkriechender Opportunismus ein anderer, oder aber: sich raushalten – das ist das, was die meisten tun in der kleinen Gruppe von Polizeioffizieren, die hinter all den Untaten in diesem schönen Lande aufräumen muss.

Und immer wieder wird das rote Tischtuch aufgelegt: Parteiversammlung, denn natürlich ist jeder Mitglied, der hier seinen Beamtendienst leistet. Regelmäßige Agitation, die abperlt, die neuesten Verlautbarungen des Politbüros und mittwochs wird ein Kampflied gesungen, weil das so vorgeschrieben ist. Im täglichen Arbeitsleben dagegen haben die Parteifuzzis wenig zu sagen – da geht es um handfeste Aufklärung: Und wie Lade seinen Film auffüllt mit Polizeiarbeit, mit zehn, fünfzehn Mordfällen, in denen ermittelt werden muss! Vornehmlich durch psychologisch kluge, menschlich einfühlsame, kriminalistisch knallharte Verhörmethoden. Man könnte mit dem Stoff, der hier erzählt wird, ein gutes Dutzend Tatorte (oder, um beim Thema zu bleiben: Polizeirufe) füllen.

Und diese vielen, miteinander verflochtenen, aufeinander aufbauenden Episoden, in denen es um Serientäter geht, um Ermittlungen im Schwulenmilieu, um Beziehungstaten, um Morde aus Habsucht, um Verrückte, um Kluge, um Brutale, um Verzweifelte: all diese Fälle werden in zwei Räumen erzählt, im Besprechungs- und im Verhörzimmer des Kommissariats. Das gibt dem Geständnis eine ganz eigene Qualität: Die Eingeschlossenen, das Weggeschlossene, die Enge, der fehlende Bezug zur Außenwelt, der von den Bildern des Films transportiert werden: auch das ist ein politischer Kommentar des Filmemachers zum Zustand der DDR.

Lade ist in der DDR aufgewachsen. Er verurteilt nicht. Er beschreibt, auch aus eigener Erfahrung; er polemisiert, wo es sein muss; er pointiert, wo immer es geht. Und er weiß, wie er auf witzige Art von ernsthaften Dingen sprechen kann, im Konkreten von brutalem Mord, im großen Ganzen von der Verfehlung eines ganzen Landes. Man muss sich das Grundsätzliche immer wieder vor Augen führen, heißt es bei den Parteigruppenversammlungen der Kollegen, dann wird zu einfachen Gitarrenakkorden ein kämpferisches Helmut-Preißler-Gedicht rezitiert, wichtig ist, die Parteistatuten zu kennen. Außerdem muss endlich mal die Wandzeitung über den heldenhaften Kampf der Genossen in Afghanistan fertig werden. Dabei liegt eigentlich ein aufgeschlitzter Torso auf dem Berg Arbeit, den die Polizisten vor sich her schieben: eine verirrte Beziehungstat oder Beginn einer Serie? Perverse Killer darf es nicht geben, auch wenn vieles darauf hindeutet, die politischen Vorgaben sind eindeutig. Polizeimajor Micha, den Bernd Michael Lade selbst spielt, schert sich darum wenig, hat Erfolg, wird belobigt – mit einem sozialistischen Dank. Die Vorgesetzten bekommen eine Geldprämie für den Erfolg, zu dem sie nichts beigetragen haben.

Dieser erste Fall in diesem Film gibt die Richtung vor: Immer wieder werden die klugen Ansätze und die hart erarbeiteten Erfolge durch Befehle und undurchsichtige Dienstwege erschwert, auch verhindert – die Stasi übernimmt so manchen Fall, wenn er politisch zu sensibel wird, etwa, weil angesehene Wissenschaftler, ein Soldat des sowjetischen Brudervolkes oder aber ein VoPo involviert ist. Man steht sich hier selbst im Weg, Verhinderung durch Inkompetenz, Fehlleitung durch Ignoranz, Selbstaufgabe durch Engstirnigkeit. Zwischendurch, immer wieder, wird mit viel Wodka angestoßen. Dass dies alles so klug, so gewitzt, so komisch aufgebaut ist, ist der langen Arbeit Lades an diesem Projekt zu verdanken – eine Arbeit, die auch die vergebliche Suche nach einer anständig finanzierten Produktion beinhaltet. Die Kammerspielform ist sozusagen eine Notlösung, aber eine, die aus der Not die größte Tugend macht.

Vielleicht hätten irgendwo im Mittelteil ein oder zwei Mordfall-Episoden gekürzt oder gestrichen gehört – das schmälert aber nicht das Verdienst des Films, der mit seiner Kriminalermittlungs-Handlung allein schon spannend ist; und der mit klarer Haltung Position bezieht, 25 Jahre nach der Wiedervereinigung: eine ausgewogene, durchdachte, nicht nostalgische, aber auch nicht vollends feindliche Haltung, die – für mich als Westgeborenen – Hand und Fuß hat.
 

Das Geständnis (1970)

Bernd Michael Lade trägt die DDR zu Grabe. „Das Geständnis“ ist ein Kammerspiel, in dem die ganze Deutsche Demokratische Republik, all ihre Schwächen – und vielleicht auch ihre Stärken –, jedenfalls das, was sie schlussendlich vernichtet hat, enthalten ist. Eine Mordkommission, Verzeihung: Morduntersuchungskommission in Berlin in den letzten eineinhalb Jahren vor der Wiedervereinigung, die das Ende bedeutete – wobei schon vieles darauf hindeutet, dass es nicht weitergehen kann…

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Peter Ibrik · 06.10.2016

Wo läuft der Film IN BERLIN ?