Daratt

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Der Mörder und der Sohn

Filme aus der zentralafrikanischen Republik Tschad sind eine absolute Rarität, gibt es doch in diesem Land, das zu den ärmsten Regionen der Erde gehört, kaum entsprechende Strukturen und nur wenige Kinos. Darum ist es um so bemerkenswerter, dass nun mit Daratt ein weiterer Film des tschadischen Regisseurs Mahamat-Saleh Haroun hierzulande auf der Leinwand zu sehen sein wird, dessen Film Abouna – Der Vater bereits für Aufsehen und Anerkennung in der europäischen Filmwelt sorgte. Und wieder zeigt Haroun, dass er es hervorragend versteht, große Themen und existentielle Konflikte seiner Figuren authentisch zu inszenieren und dabei einen Einblick in die Gesellschaft eines Landes zu geben, dessen Wunden von den Bürgerkriegen noch lange nicht verheilt sein werden.
Im Alter von 16 Jahren wird Atim (Ali Barkai) von seinem Großvater (Khayar Oumar Defallah) mit einem Revolver in die tschadische Hauptstadt N’Djamena geschickt, um dort den Mörder seines Vaters zu finden und zu töten – ein heftiger Auftrag, dessen Dimensionen den jungen Mann vor zentrale Fragen seiner Identität stellen und ihn in einen kaum zu bewältigenden Konflikt stürzen. Denn es gelingt Atim tatsächlich, den Gesuchten aufzuspüren und in Kontakt mit ihm zu treten, der sich allerdings völlig anders entwickelt als der ausgesandte Rächer es sich vorgestellt hat. Nassara (Youssouf Djaoro), der durch eine Verletzung im Bürgerkrieg seine Stimme verlor, ist inzwischen ein angesehener Bäcker geworden, ein offener und wohltätiger Mensch, bei dem auch Atim Aufnahme findet. Zwischen dem Mörder und dem Sohn des Getöteten bahnt sich eine fruchtbare Verbindung an, Nassara nimmt Atim als Lehrling bei sich auf, eine ungewohnte und befriedigende Erfahrung für den Jungen, der zum ersten Mal in seinem Leben in geregelte Arbeitsprozesse integriert ist und etwas produziert – Brot, das in seinem Land ein so dringend benötigtes Gut ist. Doch es ist unmöglich, dass die Dinge sich für die beiden Männer, die einander auf menschlicher Ebene so nah gekommen sind, einfach weiterhin so gut entwickeln, denn es ist der Auftrag zu töten, der Atim zu Nassara geführt hat, und bald ist es unvermeidlich, dass die verborgenen Aggressionen gegen den Bäcker, deren schleichende Vorläufer bei Zeiten verhalten aufflackern, zu einem heftigen Ausbruch kommen.

Mahamat-Saleh Haroun gelingt es in seinem Film Daratt, der bei den Filmfestspielen in Venedig den Spezialpreis der Jury gewann, einige der unzähligen Nuancen von Gewalt spürbar zu machen, die sich in kleinen Abhängigkeiten ebenso ausdrückt wie in der gewaltigen Katastrophe eines Bürgerkriegs und seinen schlimmen Folgen für die betroffenen Menschen. Haroun lässt sich Zeit, um die unterschiedlichen Stimmungen seiner Geschichte zu entfalten, die von der ruhigen, beinahe dokumentarischen Betrachtung des Brotbackens bis zu den tiefsten Abgründen einer verzweifelten Seele reichen. Dass Daratt in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln gezeigt wird, sollte keinen potentiellen Zuschauer fern halten, denn es sind in erster Linie die starken Bilder und die mitunter beschwörend lebendige Musik von Wasis Diop, die diesen Film um den unauslotbaren Komplex von Schuld, Verständnis und Vergebung auszeichnen, der sich auf ein Finale zubewegt, dessen brutale Eleganz allein schon unbedingt sehenswert ist.

Daratt

Filme aus der zentralafrikanischen Republik Tschad sind eine absolute Rarität, gibt es doch in diesem Land, das zu den ärmsten Regionen der Erde gehört, kaum entsprechende Strukturen und nur wenige Kinos.
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