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Im Rahmen der „Zeitlos“-Anthologie stellt Rapid Eye Movies jene Filme vor, die von der Zeit unberührt bleiben. Dabei hätten sie keine bessere Wahl als das Regiedebüt von Sabu treffen können.

Dangan Runner - Wie eine Kugel im Lauf (1996)

Eine Filmkritik von Martin Seng

Der Zeit und dem Publikum davonrennen

Drei Männer jagen sich gegenseitig durch das pulsierende Tokio. Eine Hatz, in der sie sich verlieren werden. Shinkichi (Tomorowo Taguchi) hatte ursprünglich einen Banküberfall geplant, flieht nun aber vor dem Ladenbesitzer Kenji (Diamond Yukai), der wiederum von dem Yakuza Kazuo (Shinichi Tsutsumi) gejagt wird, der gleichzeitig sein Gläubiger ist. Während die drei Figuren durch die Stadt sprinten und eine Schneise der Verwüstung hinter sich herziehen, spitzt sich parallel zu deren Verfolgung der Konflikt zwischen zwei Yakuza-Clans und der Polizei zu. 

Abseits von den vernachlässigbaren Clan-Rivalitäten ist die Essenz des Films ein schlichter Lauf dreier Männer über 82 Minuten. Begleitet werden sie von Rahmenhandlungen, die sich am Ende wie ein Rundlauf zusammenfügen. In ihrem anfänglichen Sprint, der sich allmählich zum Marathon entwickelt, lernen wir Shinkichi, Kenji und Kazuo nicht als Rivalen, sondern als Menschen kennen. Das passiert mit einer Natürlichkeit und Authentizität, dass wir nicht anders können, als jedem ihrer Schritte gebannt zu folgen. Wir können den Schweiß der drei schmecken, fühlen ihre Erleichterung, wenn sie sich im Vorbeilaufen eine Erfrischung gönnen – Bier statt Wasser, so viel Zeit muss sein – und vor Erschöpfung beinahe zusammenbrechen.

Dabei wird keiner von ihnen als Antagonist für uns gezeichnet, stattdessen mit geerdeten Problemen. Shinkichi hat seine Arbeit und Freundin verloren, Kenji kämpft mit der Heroinsucht und träumt vom Leben eines Rockstars, während Kazuo den Mord seines Vorgesetzten rächen will. So leicht wie ein Leichtathlet sein Tempo verändert, wechseln wir zwischen den Gefühlswelten der drei. Der Regisseur Sabu alias Hiroyuki Tanaka inszeniert Rückblenden und Tagträume so gekonnt, dass es nicht den Anschein eines Debüts hat. Vielmehr erkennen wir die Handschrift eines erfahrenen, ausdauernden Filmemachers. Es ist beeindruckend, ja beinahe unverschämt, wie einfach wir seinem Erstlingswerk trotz anachronistischer Narrative heute noch folgen können. Fast 30 Jahre nach Veröffentlichung ist sein Film keine Zeitkapsel der 90er, sondern vielmehr ein Werk, das sich allen Erzählkonventionen, den modernen und den antiquierten, widersetzt und in einem ständigen, transzendentalen Läuferhoch liegt. 

Auch als Publikum geraten wir im letzten Drittel in ein solches Hoch, spätestens dann, wenn die drei nicht mehr hintereinander, sondern miteinander laufen. Das Rennen ist längst zum Selbstzweck geworden, die anfängliche Jagd ist nicht viel mehr als ein Katalysator. Die Verfolgung ist nur der Startblock, aus dem sich Regie und Drehbuch, ebenfalls von Sabu, abstoßen. Schon bald kommt es nicht mehr darauf an, ob sie einander einholen oder voreinander flüchten, sondern ob sie ihre Ängste durch die Bewegung überwinden können. Wir nehmen die Verzweiflung der Figuren mit und gleichzeitig deren Kraft, immer wieder einen Fuß vor den anderen zu setzen. Deren anfangs noch holzschnittartige Charakterzeichnung wird schnell dadurch vertieft, dass sie schlichtweg laufen. Das mag simpel klingen, und letzten Endes ist es das auch. Ihr Lauf wird zum Ausdruck, zur Performance-Kunst, setzen sie sich in ihm doch mit ihrem Leben auseinander. 

Dass sich Bankräuber, Ladenbesitzer und Yakuza letztendlich gar nicht so sehr voneinander unterscheiden, wird spätestens dann unverkennbar für uns, wenn sie an einer Frau vorbeisprinten. Sie alle – als die Machos, die sie sind – schauen ihr hinterher und stellen sich eine Liebesnacht mit ihr vor. Auch wenn diese bei jedem anders aussieht, ist sie das verbindende Element. Das und die Tatsache, dass sie sich alle als Versager mit unerfüllten Träumen sehen. Und so ist auch der Sex nur ein sich schnell verflüchtigender Wunsch, rennen wir mit den dreien doch wild von Szene zu Szene. 

Dabei treffen wir neben den drei Läufern auf überstilisierte Figuren, die Beweis dafür sind, dass wir es immer noch mit einem japanischen Film zu tun haben. Das Expressive tritt hervor, darin ein Polizist, der von Waffen erregt wird, samuraiartige Schwertkämpfe, die artifizielle Coolness von schräg unten gefilmten Yakuza und kleine Spitzen von Gewalt, Humor und Erotik. Dass japanische Filmemacher:innen die Genre gerne in den unmöglichsten Kombinationen mischen, haben wir mit The Happiness of the Katakuris und Love Exposure gesehen. Dort bewegen wir uns zwischen Komödie, Musical, Splatter, Horror, Sozialdrama und unkonventionellen Erzähltechniken. In derartig wilde Mischungen verläuft sich Dangan Runner zwar nicht, trotzdem verbindet Sabu mehrere Genres so stilsicher miteinander, wie es eigentlich kein Debütant können sollte. 

Der Kern des Films steckt aber in Laufschuhen, die wir keiner Nation zuordnen können. Denn der Lauf zu dritt ist keineswegs eine japanische Geschichte. Vielmehr sind es die Yakuza, schrillen Figuren und die Genremischung, die Dangan Runner als japanische Etappe kennzeichnen. Funktionieren kann die Handlung der sich annähernden Läufer aber auch in jedem anderen Filmland. Da wundert es, dass die heutige Kinolandschaft noch kein Remake des Films erzwungen hat. Andererseits wäre das so überflüssig wie der deutsche Titelzusatz.

Wie kann ein Film sich so sehr seiner Produktionszeit entziehen? Wie kann es sein, dass wir uns seiner ständigen Bewegung unmöglich widersetzen können? Es sind nicht das kantige Schauspiel, überflüssige Rahmenhandlungen oder die teils diffusen Dialoge, die uns zeitlos erscheinen. Auch nicht das Szenario eines weitläufigen, aber doch ausgelatschten Tokios, obwohl wir seine urbane Topographie ablaufen und dabei Industriegebiete und Spielhallen, belebte Innenstädte und Hinterhöfe durchqueren. Als Publikum können wir gegen Ende nicht anders, als aus dem Kinosaal zu rennen, nicht aus Entsetzen, sondern vor Begeisterung. Wir möchten mit diesen drei laufen, ihre Verzweiflung und Ekstase spüren und am Ende so herzhaft lachen können wie sie.

Hollywood setzt zyklisch auf Nostalgie, auf Gefühle und Held:innen aus Kindheitsfilmen. Doch dafür muss ein Film erst einmal nostalgisch auf uns wirken. Dangan Runner könnte – trotz seines Alters und zeitgenössischer 90s Mode – auch erst gestern abgedreht worden sein. Oder heute. Oder doch erst morgen. Zu Beginn des Films fällt ein Satz, der bezeichnend für ihn ist: „Du passt einfach nicht in diese Welt.“ Etwas, das man auch gerne diesem Debüt zurufen möchte. Aber dann ist Dangan Runner wahrscheinlich längst an uns vorbeigelaufen.

Dangan Runner - Wie eine Kugel im Lauf (1996)

Das Debüt des japanischen Regisseur Sabu, erzählt die Geschichte von drei Losern, die das Schicksal durch tragische Ergebnisse zusammen bringt. Ein Möchtegern-Bankräuber vergisst seine Maske auf seinem ersten großen Raubüberfall und verpfuscht dann den Versuch, eine Ersatzmaske aus dem nahe gelegenen Supermarkt zu stehlen. Der Ladenbesitzer, ein abgehalfterter Rockstar, jagt den Dieb und läuft buchstäblich in den Yakuza-Boss, dem er Geld schuldet… eine 3-Mann-Verfolgungsjagd, in einer Nacht, durch die Straßen von Tokyo. Das Laufen wird zum Selbstzweck, zum Schwebezustand, zur Droge. (Quelle: rapid eye movies)

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