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Mit 30 Jahren brachte Daidō Moriyama einen revolutionären Fotoband heraus: „Japan, ein Theater“ (1968). 50 Jahre später wird der Band neu aufgelegt. Regisseur Gen Iwama hat die Entstehung und den Fotografen mit der Kamera begleitet.

Daido Moriyama - The Past is always new, the Future is always nostalgic (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Tokyo Drifter

Daidō Moriyama, Jahrgang 1938, zählt zu den bekanntesten Fotografen Japans. Auf seinen Streifzügen durch Tokio legt er die Kamera nie aus der Hand. Gen Iwama, Jahrgang 1966, zählt zu den vielen Fans des Fotografen. Mit 20 Jahren schrieb und inszenierte Iwama ein Kunstprogramm über Moriyama. Dreieinhalb Jahrzehnte später legt er sein Regiedebüt vor. Dafür ist Iwama dem Mann mit der Fotokamera durch Tokio gefolgt – seine Filmkamera immer im Anschlag.

Wenn sich Daidō Moriyamas braune Stiefel schnellen Schrittes über den Asphalt bewegen, merkt man ihm sein Alter nicht an. Sein gertenschlanker Körper, der in Bluejeans und T-Shirt steckt, ist der eines Junggebliebenen. Einzig seine Gesichtszüge verraten, was dieser Mann schon alles gesehen hat. Moriyama hat weder ein konkretes Ziel noch eine besondere Methode. Er fotografiert, was ihm vor die Linse kommt. Schnell und aus der Hüfte geschossen. Und inzwischen nur noch digital. Von der analogen Fotografie hat er sich vor Jahrzehnten verabschiedet, wie er vorübergehend, als er in einer tiefen Krise steckte, der Fotografie an sich Lebewohl gesagt hatte. Die Ergebnisse sind weder wohl komponiert noch scharfgestellt und waren gerade deshalb revolutionär.

Ende der 1960er Jahre, als Moriyamas erster Fotoband Japan, ein Theater erschien, war das eine Sensation. Die Bilder fingen die Ränder der japanischen Gesellschaft ein – grobkörnig und verwaschen, was perfekt in den Zeitgeist passte, der aus dem Westen herüberschwappte und auch in Fernost große neue Wellen schlug. Vor Gen Iwamas Kamera erinnert sich Daidō Moriyama an die Filme der Nouvelle Vague und an Jack Kerouacs Roman On The Road, der großen Einfluss auf ihn ausübte. Bis heute trägt er ein Shirt mit Kerouacs Namen und Konterfei, das er gefühlt nie wechselt.

Iwamas Film ist mehr als die Huldigung eines Fanboys. Anders als der Fotograf verfolgt der Regisseur ein konkretes Ziel. Er dokumentiert die Entstehung einer Neuauflage von Moriyamas erstem Fotoband, der anlässlich seines 50. Jubiläums während der Fotomesse in Paris präsentiert werden soll. Und während dieses Prozesses versucht er, Moriyamas Kreativität auf die Spur zu kommen. Assistiert wird er dabei vom Verleger Yutaka Kanbayashi und dem Grafiker Satoshi Machiguchi, die in monatelangen Gesprächen mit Moriyama jedem einzelnen, vor einem halben Jahrhundert geschossenen Foto nachforschen. Denn ihre Neuauflage soll keine bloße Reproduktion, sondern eine Rekonstruktion werden.

Die Gespräche im Büro des Verlegers wechseln sich mit Signierstunden und mit Streifzügen durch Tokio ab. Dazwischen zeigt Iwama, wie das Papier für den Fotoband hergestellt wird: vom schneebedeckten Baum auf Hokkaido über das Sägewerk bis zur Druckerei. Moriyama ist nicht nur gefragt, er steht auch nie still, strahlt aber selbst in dieser permanenten Bewegung dieselbe, geradezu gespenstische Ruhe aus, mit der er seinen Fans begegnet. Freundlich und geduldig erfüllt er jeden Wunsch, beantwortet jede Frage, worauf Gen Iwama wiederholt durch Zwischentitel aufmerksam macht. 

Überhaupt ist Iwamas Dokumentarfilm durch den beständigen Wechsel von Ruhe, Bewegung und Wiederholung geprägt. Statt eines Off-Kommentars verwendet Iwama Zwischentitel, die den narrativen Rhythmus vorgeben. Zu Beginn des Films sind sie so schnell getaktet, dass man mit dem Lesen kaum hinterherkommt, so wie Iwamas Kamera, von Kazunori Miyakes Jazz-Soundtrack vorangetrieben, kaum mit Daidō Moriyama Schritt halten kann. Eine experimentelle Filmmusik für einen experimentierfreudigen Künstler. Später wiederholen die Zwischentitel häufig zuvor Gesagtes und erschaffen durch dieses Nach- und Nebeneinander von Ton, Schrift und Bild eine ganz eigene filmische Poesie, die sich bei aller Verbeugung vor diesem großen Fotografen augenzwinkernde Ironie nicht verkneifen kann. 

Wirklich greifen kann Gen Iwama Daidō Moriyama nicht. Wie auf seinen Fotos verharrt seine Kreativität irgendwo in der Unschärfe.

Daido Moriyama - The Past is always new, the Future is always nostalgic (2019)

Der mittlerweile 82 Jahre alte Daidō Moriyama ist einer der wichtigsten japanischen Fotografen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, der vor allem auf der Straße und in „verrufenen“ Milieus wie den Rotlichtbezirken arbeitete und dessen besonderes Interesse den Rändern der Gesellschaft galt. Gen Iwama wagt in seinem Film den Blick auf einen Mann und sein Werk und fragt nach, was dessen Bilder so unverwechselbar macht. 

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