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Der neue „Spike Lee Joint“ dreht sich um vier Schwarze Männer und Vietnamveteranen, die an den Ort des Krieges zurückkehren, um die Überreste ihres Kommandanten zu bergen. Ein Film über historische und persönliche Schuld – und über die Genese von Zorn.

Da 5 Bloods (2020)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Black Deaths Matter

Man könnte meinen, dieser Film käme genau zur richtigen Zeit: Während sich weltweit Hundertausende Menschen auf den Straßen zusammenfinden, um unter dem Motto #BlackLivesMatter gegen Rassismus, Diskriminierung und Polizeigewalt zu demonstrieren, veröffentlicht Netflix einen neuen Film von Spike Lee. Nach dem wütenden und bis heute hochaktuellen „BlacKkKlansman (2018) wirkt „Da 5 Bloods“ jedoch geradezu handzahm und versöhnlich. Jedoch nur zu Beginn.

Fast 50 Jahre ist es her, seit die vier Afroamerikaner Paul, Otis, Eddie und Melvin ihren letzten gemeinsamen Kriegseinsatz in Vietnam hatten. Seitdem hat sich einiges verändert – sowohl in ihren Leben als auch in Ho-Chi-Minh-Stadt, wo sich die Veteranen treffen, um endgültig mit ihrer Vergangenheit abzuschließen. Der Plan: Sie wollen die sterblichen Überreste ihres ehemaligen Truppführers Norman (Chadwick Boseman) finden und ihm in seiner Heimat die letzte Ehre erweisen. Und nebenbei noch (oder doch vordergründig?) eine Kiste mit Gold der US-Armee im Wert von 17 Millionen Dollar bergen, die sie 1971 bei ihrem letzten Einsatz sicherstellen sollten, beim Rückzug jedoch zurückgelassen und vergraben haben. Die Abwicklung der weiteren Geschäfte will der Franzose Desroche (Jean Reno) übernehmen.

Noch bevor die Reise in die Wildnis beginnt, werden zwei der Männer mit ihrer Vergangenheit konfrontiert: Otis (Clarke Peters) besucht seine alte Liebschaft Tien (Y. Lan) und erfährt, dass beide eine gemeinsame Tochter haben, die als Kind eines Feindes und zudem noch eines Schwarzen nach dem Ende des Vietnamkrieges (oder, wie er in Vietnam heißt: Amerikakrieges) massivst diskriminiert wurde. Paul (grandios: Delroy Lindo) wiederum erhält Besuch von seinem Sohn David (Jonathan Majors), zu dem er bis heute ein schwieriges Verhältnis hat und der sich der Gruppe kurzerhand anschließt. Nicht nur in dieser Hinsicht birgt Pauls Figur Konfliktpotential: Der Veteran leidet an akuter PTBS, reagiert meist gereizt bis aggressiv und hat sich bei der letzten Präsidentschaftswahl zu allem Überfluss auch noch für Donald Trump entschieden – was er mit seiner roten „Make America Great Again“-Kappe stolz zur Schau stellt.

Bereits diesen ersten Akt füllt Spike Lee mit zahlreichen Referenzen an Schwarze Berühmtheiten und mit ihren Zitaten: Aufnahmen von Muhammad Ali, Martin Luther King, Malcolm X und anderen Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung, Songs von Musikern wie Marvin Gaye und Aretha Franklin, Bilder von Sportlern und anderen Afroamerikanern, die es zu Bekanntheit gebracht haben, durchbrechen immer wieder die Diegese, erinnern – ebenso wie der regelmäßige Wechsel der Bild-Seitenverhältnisse – daran, dass dies hier „nur“ ein Film ist, ein fiktionales Werk, das keinen Anspruch auf Akkuratesse erhebt. Und gerade daraus seine politische Aussagekraft speist, indem es historische Fakten mit einer wirkungsvollen Bildsprache und eindrucksvollen, bisweilen auch pathetischen (aber niemals überstrapazierenden) Monologen verknüpft.

Zentrales Thema von Da 5 Bloods ist die Schuld, die der Vergangenheit Amerikas und seiner Einwohner entwächst: Schwarze Soldaten kämpften und starben im Sezessionskrieg für das Versprechen auf Freiheit, Landbesitz und Nutztiere (daher auch der Name von Lees Produktionsfirma 40 Acres and a Mule Filmworks) – nichts davon bekamen sie. Schwarze Soldaten kämpften und starben im Zweiten Weltkrieg – und wurden weiterhin strukturell diskriminiert. Schwarze Soldaten kämpften und starben in Vietnam, stellten sogar ein Drittel der Truppe, weil viele nicht die Mittel hatten, wie die „weißen College-Boys“, so heißt es im Film, den Wehrdienst zu umgehen. Und während sie dies taten, wurde Martin Luther King ermordet. Da 5 Bloods macht aus diesem Ereignis einen der denkwürdigsten Momente des Films, wenn die Soldaten die Nachricht in einer der B-Movie-artigen Rückblicke per Radio empfangen – und nur Sergeant „Stormin‘“ Norman, ein Prediger mit Gewehr und in Uniform, sie davon abhält, zu meutern.

Die historische Schuld der Sklaverei und weiterer Vergehen an Schwarzen wollen die Bloods nun also ganz persönlich in Gold aufwiegen – werden im späteren Verlauf jedoch mit ihren eigenen Missetaten konfrontiert und müssen erkennen, dass auch sie nicht schuldlos am Leid in Vietnam waren.

Es ist diese persönliche wie moralische Entwicklung und Läuterung, die mit einem langsamen Zerfall der fünfköpfigen Gemeinschaft einhergeht und die Da 5 Bloods eine universellere und zeitgenössischere Note verleiht, als dies zu Beginn den Anschein hat. „You made my bad“, schleudert der labile Paul später dem Publikum in direkter Ansprache entgegen – die Gedanken sind sofort bei den aktuellen, zurecht wütenden #BlackLivesMatter-Protesten und bei Aktivisten wie Kimberley Jones, die die Genese dieser Wut nur allzu einleuchtend erklären können.

Dass sich da etwas zusammenbraut, das sich am Ende in einem furiosen Finale entlädt, deutet sich (nicht zuletzt dank der erwähnten offensiven „Filmhaftigkeit“ von Da 5 Bloods) schon früh an. Der Wechsel vom humoristisch angehauchten Antikriegsdrama zum Actionfilm kommt deshalb nicht überraschend, ist aber nicht minder wirkungsvoll. Und hat Spike Lee erstmal diese Linie überschritten, lässt er der Gewalt mit viel Freude an (leichtem) Splatter und einer dynamischen Kamera ihren Lauf.

Dennoch erlaubt sich der Film einige dramaturgische Schnitzer. So werden Eddie (Norm Lewis) und Melvin (Isiah Whitlock Jr.) nur stiefmütterlich behandelt — ihre Charakterzeichnung in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart kommt schlicht zu kurz. Hier wird einiges an Potential verschenkt. Auch dass Lee der direkten Ansprache an das Publikum nur wenige Minuten später eine zweite folgen lässt und damit die Originalität der ersten untergräbt, ist suboptimal. Doch solche Probleme sind angesichts der Kraft, der Wild- und Entschlossenheit sowie der eindeutigen Spike-Lee-Handschrift, die Da 5 Bloods auszeichnen, nur Makulatur.

Da 5 Bloods (2020)

In diesem Kriegsdrama von Spike Lee kehren vier afroamerikanische Veteranen auf der Suche nach den Überresten ihres Gruppenführers und einem Schatz nach Vietnam zurück.

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