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Regisseur Julien Temple porträtiert den ehemaligen Songwriter und Sänger der Band The Pogues. Mit Anfang 60 blickt Shane MacGowan, vom exzessiven Leben gezeichnet, auf bewegte Zeiten zurück und darauf, wie ihm in den 80ern die Verbindung von Irish Folk und Punk-Musik gelingt. 

Shane (2020)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Das wilde Leben des irischen Punkpoeten

Das Feuer brennt buchstäblich in diesem Musikerporträt. Es rahmt lodernd die Bilder von früher ein, feiert erst die künstlerische Leidenschaft und beginnt dann, die Aufnahmen zu verzehren. Es geht in diesem Dokumentarfilm um ein Leben im Rausch, nicht nur im schöpferischen, sondern auch im ganz prosaischen des Alkohols und der Drogen. Der Ire Shane MacGowan entdeckt 1976 in London im Alter von 18 Jahren die Punk-Musik. Mit der Band The Pogues, die Irish Folk mit Punk verbindet, feiert der Sänger und Songwriter in den 1980er Jahren legendäre Erfolge. Mit 61 Jahren sitzt er schließlich vor der Filmkamera im Rollstuhl, den Kopf oft bedenklich zur Seite geneigt, das Sprechen fällt ihm schwer. Stets ist ein alkoholisches Getränk griffbereit, dem er gerne zuspricht.

Crock of Gold: A Few Rounds With Shane MacGowan heißt der Originaltitel von Julien Temples Film. Das Porträt ist im Unterhaltungsstil geselliger Mini-Runden gedreht, bei denen ein paar Bierchen die Zunge lösen. Shane MacGowan spricht mit seinem alten Freund Johnny Depp über die wilden Zeiten, er bekommt Besuch von Gerry Adams, dem früheren Präsidenten der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin. Der Politiker, der bei der Befriedung des Nordirlandkonflikts eine wichtige Rolle spielte, würdigt den Punkmusiker für seine Verdienste als kultureller Botschafter Irlands. Ein paar mal ist MacGowan im Gespräch mit seiner Frau Victoria Mary Clarke zu sehen. Temple verhehlt nicht, dass es äußerst schwierig sein kann, den Musiker zum Erzählen zu bringen, und so spielt er ihm oft Aufnahmen früherer Gespräche und Interviews vor. Er macht den Porträtierten zum Erzähler seines Lebens, und das gibt dem Film eine fesselnde Authentizität. Sie lässt im Wesentlichen auch verschmerzen, dass darin so gut wie kein musikalischer Weggefährte zu Wort kommt und sonst hauptsächlich seine Schwester Siobhan über ihn erzählt.  

Der britische Regisseur Julien Temple gilt nicht nur als Dokumentarist der Punk-Ära, sondern hat auch zahlreiche Musikvideos für Künstler anderer Richtungen gedreht. Sein filmisches Renommee hat er unter anderem der Sex-Pistols-Dokumentation The Great Rock‘n‘Roll Swindle und dem Musical Absolute Beginners mit Dawid Bowie zu verdanken. Das reichhaltige Archivmaterial, das in die Epoche der 1980er zurückführt, stammt zum Teil aus seinem eigenen Bestand. Die entfesselte Energie des Punk wieder aufleben zu lassen, gelingt ihm in diesem Film jedenfalls hervorragend. Die Aufnahmen diverser Bühnenauftritte der Pogues auf der Höhe ihres Ruhms, wenn der schmächtige Shane MacGowan mit den Zahnlücken die Menge im Saal in eine Welle aus Tanz oder Schlägerei verwandelt, sind ein kraftvoller Höhepunkt. Wie gut die Mischung aus irischer Musiktradition, Punk und den poetischen Texten MacGowans über Trinker und Habenichtse funktionierte, lässt sich nicht nur in den schnellen, überschäumenden Stücken, sondern auch in Balladen wie „Fairytale of New York“ wiedererleben.  

Aber Temple verwendet auch viel Zeit, um sich der Mentalität Shane MacGowans anzunähern. Wie kam es, dass die Punk-Szene Londons und dieser junge, als irischer Immigrant zum sozialen Underdog bestimmte Mann so kongenial zusammenfanden? Der Film geht zurück in die Kindheit MacGowans im irischen Tipperary und sogar noch weiter in die irische Vergangenheit, auf den Spuren der großen Hungersnot im 19. Jahrhundert und dem Unabhängigkeitskrieg von 1919. Das Echo dieser Ereignisse, einen Geist patriotischer Wut und rebellischen Stolzes, vernahm das Kind noch auf der heimatlichen Farm in den 1960er Jahren. Das Landleben in Fotografien, auf Schwarz-Weiß- und Farbfilmmaterial flankiert träumerische Reenactment-Szenen, auf denen wiederholt ein Junge über die Wiesen zum Wasser läuft, das freie Leben genießt. MacGowan erzählt sehr lebendig, wie glücklich er damals war, aber auch mit einer Spur Verwunderung, dass er schon mit fünf Jahren Bier zu trinken bekam. Animationseinlagen zeigen den kleinen Shane, der auf den Tischen im Pub für und mit der gerne feiernden Bevölkerung tanzt und singt.

Die Eltern ziehen mit den Kindern nach London, wo Iren als „Paddys“ verachtet und in Zeiten des blutigen Nordirlandkonflikts auch angefeindet werden. Die feine Schule, für die der belesene und schriftstellerisch begabte Shane ein Stipendium erhält, wirft ihn wegen Drogenhandels hinaus. Nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik entdeckt der 18-Jährige die Sex Pistols und ist hin und weg. Er tritt selbst als Punk-Musiker auf und schafft es als wilder Typ, der vor Exzessen und Schlägereien auf Konzerten nicht zurückscheut, in die Presse. Die 1982 gegründeten Pogues, so wird einmal sehr schlüssig festgestellt, seien ein Produkt der irischen Diaspora in London, ohne dieses harte, schnelllebige Großstadtmilieu gar nicht denkbar. MacGowan nutzt den Punk zur Erneuerung irischer Musiktradition und haucht ihm zugleich deren Lebensfreude ein. Er hat einen künstlerischen Ausdruck gefunden für seine Wut des Außenseiters, seinen rebellischen irischen Geist, seinen unbändigen Lebenshunger.

Wie so oft in Musikerbiografien ist es auch bei diesem kometenhaften Aufstieg der Kommerz, der aus freien Künstlern Getriebene macht. Shane MacGowan und seine Schwester erzählen jeweils getrennt vom Wendepunkt, der mit der Welttournee der Pogues von 1988 einsetzt. ShaneMacGowan beginnt, sich ausgebrannt zu fühlen. Jeden Tag in einer anderen Stadt aufzutreten, über so viele Monate hinweg fern von daheim zu sein, quält ihn. Das Management, so klingt es in der Erzählung an, will, dass die Band die Gunst der Stunde gründlich nutzt. Animationsszenen zeigen, wie MacGowan, der ohnehin so gut wie nie nüchtern aufgetreten war, sich im Suff, im Drogenrausch verliert. 1991 fällt er aus einem Bus, wird von der Band gefeuert. 

Das Tribute-Konzert zu MacGowans 60. Geburtstag in Dublin findet natürlich auch Erwähnung in dieser filmischen Würdigung. Temple versucht aber zum Glück erst gar nicht, Shane MacGowan mit einer heldenhaften Aura zu umgeben. Dagegen spräche schon das Bild des gezeichneten Mannes im Rollstuhl. Aber er schafft es auch, was genauso ehrlich und sympathisch wirkt, ihn ohne falsches Mitleid zu porträtieren, ohne das tränentreibende Narrativ des tiefen Falls. Das ginge auch nicht, weil MacGowan sich keine selbstzerstörerische Ader attestiert, sondern im Gegenteil darauf besteht, dass er das Leben liebt und nur aus diesem Grunde auch den Alkohol. Shane MacGowan bereut seinen Weg nicht, er ist im Herzen ein irischer Punk geblieben.

Shane (2020)

The Pogues waren eine irische Folk-Punk-Band, die 1987 mit dem anrührenden Song „Fairytale of New York“ einen Welthit landete und den Sprung von den Pubs in die grossen Konzerthallen schaffte. In ihren Songs setzten sich die katholischen Iren für die Unabhängigkeit ihrer Heimat ein. Besonders der für seinen exzessiven Lebensstil berüchtigte Frontman Shane MacGowan provozierte gerne mit antibritischen Aussagen. Dieser von Johnny Depp produzierte Dokumentarfilm von Regisseur Julien Temple lässt die Karriere der Band Revue passieren und feiert MacGowan als nonkonformistischen Rebellen. Depp setzte sich selber mit seinem Freund hin, der – stets mit einem Drink in der Hand – über seine Karriere spricht. Aber auch weitere Pogues-Band-Mitglieder sowie Grössen wie Bono von U2 und Nick Cave kommen zu Wort. 

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