Couscous mit Fisch (2007)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Entdeckung der Langsamkeit

Seit Mitte der Achtziger nimmt das Cinéma Beur, das Kino der nordafrikanischen Einwanderer und ihrer Nachkommen, einen festen Platz in der Kinolandschaft Frankreichs ein. Immer wieder zeigen Filme wie Tee im Harem des Archimedes / Le Thé au harem d’Archimède (Mehdi Charef, 1985), Bye Bye (Karim Dridi, 1995), Hass / La Haine (Mathieu Kassovitz, 1995), Voltaire ist schuld / La Faute à Voltaire (Abdellatif Kechiche) oder auch Indigènes – Days of Glory (Rachid Bouchareb, 2006) die Themen von alltäglicher Diskriminierung und den Schwierigkeiten bei der Integration in die französische Gesellschaft. Mit Couscous mit Fisch / La graine et le mulet, der bei der Verleihung der Césars 2008 gleich mit vier Preisen (in den Kategorien bester Film, beste Regie, bestes Originaldrehbuch und beste Nachwuchsdarstellerin) ausgezeichnet wurde, setzt der Regisseur Abdellatif Kechiche zweifellos einen neuen Meilenstein des „Cinéma Beur“. Dabei macht es Kechiche dem Zuschauer durchaus nicht leicht, eine Vielzahl an Personen, die Dialoglastigkeit des Films und eine Spieldauer von zweieinhalb Stunden machen das Werk zu einer Geduldsprobe – allerdings zu einer, die sich lohnt.

Der Film erzählt die Geschichte des aus dem Maghreb stammenden Slimane Beiji (herausragend verkörpert von dem Laienschauspieler Habib Boufares, der für Kechiches verstorbenen Vater einsprang, für den die Rolle ursprünglich vorgesehen war), der seit vielen Jahren auf einer Werft in der südfranzösischen Stadt Sète arbeitet. Doch die Arbeit wird immer mühevoller, schließlich hat Slimane die Sechzig bereits überschritten. Auch die Werft und die Stadt haben bessere Tage gesehen, die Zeichen stehen auf Rezession, Entlassungen sind unabwendbar. Und Slimane wird einer der Arbeiter sein, die gehen müssen. Die familiäre Situation des Mannes ist nicht viel besser: Getrennt von seiner Familie lebend und doch in ständiger Sorge um sie ist Slimanes Leben ein ständiges Balancieren zwischen finanziellen Engpässen, Familienfesten und dem Leben mit seiner Freundin Latifa (Hatika Karaoui) und deren Tochter Rym (Hafsia Herzi).

Obwohl Slimane alles mit nahezu stoischer Ruhe erträgt, was um ihn herum geschieht – niemals wird der Mann laut oder ungehalten –, hegt er doch einen Traum, den er mit großer Konsequenz und gegen alle behördlichen Widerstände in die Realität umzusetzen versucht – er will ein Restaurantboot eröffnen, dessen Spezialität Couscous mit Fisch ist. Slimanes Beharrlichkeit lässt schließlich den Funken der Begeisterung auf den Rest der Familie überspringen, so dass alle an einem Strang ziehen.

Unendlich viel Zeit lässt sich Abdellatif Kechiche für seine Geschichte. Und doch wird dem Zuschauer keine Minute davon je langweilig, folgt alles einer inneren Zwangsläufigkeit und entwirft ein wahres Gemälde aus Bildern und Stimmen, selbst mannigfaltige Gerüche scheint Couscous mit Fisch / La graine et le mulet seinem Publikum in die Nase zu zaubern. Und das liegt nicht allein am Titel des Films, sondern gerade an der Beiläufigkeit und Langsamkeit des Erzählflusses und an der Aufmerksamkeit, die Kechiche seinen Protagonisten widmet.

Immer wieder verharrt die Kamera auf den Gesichtern, sucht in den sichtbaren Falten und Runzeln nach den ge- und erlebten Geschichten und Erfahrungen, nach Spuren von Leidenschaft und Emotionen, die in seiner Welt vor allem durch die unendlich starken Frauen des verzweigten Clans vermittelt werden. In diesem höchst vitalen Umfeld, in dem viel geredet und gestikuliert und noch mehr gestritten wird, ist Slimane ein Fels in der Brandung, ein Mann der Prinzipien und der Beständigkeit, jemand, der nicht viel redet, sondern still und leise seine Träume verfolgt. Kein Held im üblichen Sinne, aber ein Mann, vor dem man im Verlauf des Filmes immer mehr Respekt bekommt. Dass Slimane am Ende sein Ziel erreichen wird, daran hat man eigentlich niemals Zweifel – auch wenn der wackere Mann sich die Erfüllung seines Traums mit Sicherheit ein wenig anders vorgestellt hat.

Dass Langsamkeit, Detailreichtum und Realismus so temperamentvoll, quicklebendig und voller Feuer umgesetzt werden können, ohne dabei die Figuren und ihre Sorgen aus den Augen zu verlieren, das macht aus diesem Film wahrlich einen Meilenstein, von dem sich mancher kunstbeflissene und anämische Autorenfilmer eine dicke Scheibe abschneiden sollte.
 

Couscous mit Fisch (2007)

Seit Mitte der Achtziger nimmt das Cinéma Beur, das Kino der nordafrikanischen Einwanderer und ihrer Nachkommen, einen festen Platz in der Kinolandschaft Frankreichs ein.

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Meinungen

Martin Zopick · 23.07.2020

Der alte Slimane (Habib Boufares) arbeitet seit über 30 Jahren im Hafen von Sète. Kinder und Enkel, seine Ex und seine Geliebte wollen helfen, dass er sich seinen Traum erfüllen kann: ein Couscous Restaurant auf einem alten Schiff. Innerhalb des Familienverbandes gibt es viel Palaver, auch bisweilen Streit. Opa Slimane glättet die Wogen, tröstet und scheint überall präsent zu sein. Die Behörden machen aber nicht mit, der finanzielle Rahmen reicht vorne und hinten nicht. Trotzdem steigt eine Einweihungsparty mit vielen lokalen Ehrengästen. Aber sonst geht fast alles daneben. Einziges Highlight ist der Bauchtanz von Enkelin Rym (Hafsia Herzi). Dabei vergessen die Gäste sogar, dass es fast nichts zu essen gibt. Slimane verlässt das Fest und endet am Straßenrand neben seinem Moped. Ende! (Ein dramatischer Vorhang!). Da kann man sich fragen ‘Ist das Ganze bloß ein Märchen‘, das uns Regisseur Abdellatif Kechiche da auftischt? Er erzählt mit authentischen Akteuren, die uns mit ihrem maghrebinischen Charme verzaubern. Worauf es hier ankommt, ist der Zusammenhalt des Clans, Generationen übergreifend und die atmosphärische Stärke, die das schier Unmögliche möglich macht. Wir bekommen Einblicke ins familiäre Zusammenleben des Clans, wenn die Kamera (Lubomir Bakschew) die unterschiedlichen Gefühlsebenen beleuchtet.

· 01.01.2009

Am Sylvesterabend 2008 gesehen. Egal was kommt. 2009 wird besser.

· 13.11.2008

schlecht. Schade für die Zeit. Absolut nicht wert.

Hildegard · 23.10.2008

Einzigartig gut und authentisch. Sehr empfehlenswert und unterhaltsam
Herzlichen Gruss

anne · 04.10.2008

wunderbare idee. großartige schauspieler. aber 15 minütigen anschrei-szenen sind anstrengend. guter versuch, aber an der ein oder anderen stelle hätte man diesen film locker kürzen können. viele szenen waren schlicht extrem langatmig

viele sind im kino rausgegangen. konnte ich durchaus nachvollziehen.

· 02.10.2008

Film war super und er ist einfach so wahr und so echt und man lebt mitten mit. Ganz großes Kino!

· 27.09.2008

Ein interessanter Film, aber eine Stunde zu lang.

· 14.09.2008

Langatmiger und langweiliger Film! Wie der zu seinen Venedig-Filmfest-Auszeichnungen kam ist mir schleierhaft. Schade um die verschwendete Zeit. Nicht empfehlenswert.

· 08.09.2008

Der Film hat viel von einem Märchen und ist zugleich höchst realistisch. Auch wenn einzelne Szenen quälend lang wirken (z.B. die wortreiche Klage der frustrierten, sich aus der arabischen Gemeinschaft ausgeschlossen fühlenden Ehefrau und Mutter mit russischem Migrationshintergrund!), fühlt man sich doch mitten hinein versetzt ins Leben der "Beurs". Der Film schließt an die Nouvelle Vague an (z.B. Musik nur da, wo sie real ist; Draufhalten der Kamera bis zum Abwinken), ist aber jederzeit authentisch und gekonnt. Fantastisch gut durchweg die (Laien-)Schauspieler.

Martin · 05.09.2008

Ein wunderschöner Film! Seine Langsamkeit und Länge bedeutet nicht Langeweile, sondern man wird in Stimmung und Geschichte hineingezogen, es ist wie ein Sog.

Totovillefranche · 02.09.2008

Traumhafter Film, aber unser Couscous, siehe Homepage ist noch besser. Mit Fisch haben wir das jeden Freitag in Babelsberg serviert. alternierend mit gefüllten Sardinen.

Beste Grüße