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Mit „Coup de chance“ liefert Woody Allen einen Crime-Comedy-Mix in den ebenso vornehmen wie abgründigen Kreisen von Paris.

Ein Glücksfall (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eine verhängnisvolle Affäre

Nachdem der 1935 geborene US-Regisseur Woody Allen, der im Laufe seiner Karriere vier Oscars gewonnen hat, Anfang der 2000er Jahre eine Phase mit einigen weniger inspirierten und nur mäßig erfolgreichen Werken in seiner Heimat (etwa „Anything Else“ und „Melinda und Melinda“) hinter sich hatte, verlegte er seine Arbeit vorübergehend nach Europa – und lieferte unter anderem mit „Match Point“ (2005) und „Vicky Cristina Barcelona“ (2008) wieder deutlich originellere Werke.

Dass er inzwischen aufs Neue außerhalb der USA arbeitet, dürfte indes vor allem daran liegen, dass seine Adoptivtochter Dylan Farrow die 1992 erhobenen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs seit einigen Jahren selbst öffentlich thematisiert und diese im Rahmen der #MeToo-Bewegung wesentlich umfassender diskutiert werden. Während sich in Hollywood viele von Allen abgewandt haben, hat er in Frankreich Geld für ein weiteres Projekt erhalten, das er nun in französischer Sprache und mit französischem Cast umgesetzt hat.

Bei der Pressevorführung auf den Internationalen Filmfestspielen von Venedig erhielt Coup de chance reichlich Beifall – was von einigen womöglich eher als Statement denn als Qualitätsurteil gemeint war. Wie dieser Umgang mit dem Fall Allen zu bewerten ist, muss letztlich wohl jede:r für sich entscheiden.

Was Allen mit dieser Krimikomödie vorlegt, ist derweil weder eine Neuerfindung seines Stils noch eine direkte Weiterführung seiner (ersten) Europa-Periode. Während diese, zumindest in Barcelona, Paris und Rom, einen dezidiert touristischen Blick hatte, taucht Coup de chance ganz in die Lebenswelt der Grande Nation ein.

Zwar haben die Auktionshausmitarbeiterin Fanny (Lou de Laâge) und der Schriftsteller Alain (Niels Schneider) eine biografische Verbindung zu New York, da sie dort einst gemeinsam das Gymnasium besucht haben – dennoch sind (oder waren) sie Teil eines Pariser Kosmos. Alain ist geschieden und bewegt sich seither rastlos zwischen mehreren Städten; Fanny ist mit dem Geschäftsmann Jean (Melvil Poupaud) verheiratet, dessen Job darin besteht, „reiche Menschen reicher zu machen“.

Wir erleben das gut situierte Ehepaar im betont kühl ausgeleuchteten Haus, das eher einer Theaterkulisse gleicht. Und wir begleiten die beiden auf schicke Partys und zu Ausflügen aufs Land, wo gejagt wird. Die High Society hält sich mit Klatsch und Champagner bei Laune – aber Fanny ist davon zunehmend gelangweilt, zumal sie nach dem Wiedersehen mit Alain oft an ihn denken muss. In ihren Mittagspausen beginnen die beiden eine zunächst emotionale und bald auch körperliche Affäre. Doch Jean kommt (ohne Fannys Wissen) dahinter – und greift zu überaus drastischen Maßnahmen, um seine Ehe zu retten. Das bringt wiederum Fannys Mutter Aline (Valérie Lemercier) dazu, den Machenschaften ihres Schwiegersohns nachzuspüren.

In der Darstellung der aufkeimenden Gefühle zwischen Fanny und Alain erzeugt Allen mit seinem italienischen Kameramann Vittorio Storaro eine ungewohnt romantische, nahezu kitschige Atmosphäre im herbstlichen Licht, wenn die frisch Verliebten Sandwiches im Park essen, im Blumenladen und auf dem Markt einkaufen gehen oder in Alains Appartement Spagetti Bolognese kochen.

Die Outfits von Alain erinnern teilweise an Allens typische Garderobe in den 1970er und 1980er Jahren, als der Regisseur meist noch selbst als Protagonist vor der Kamera stand. Charakterlich ist Alain hingegen nicht der Neurotiker, den Allen früher zu verkörpern pflegte. Niels Schneider spielt die Figur sehr sanft – und auch die von Lou de Laâge interpretierte Fanny ist weitaus weniger hochtourig unterwegs als vergangene Allen-Heldinnen. Der Jazz-Score drängt sich wiederum noch etwas mehr auf, als es im Œuvre des Regisseurs ohnehin Standard ist.

Während Valérie Lemercier als Fannys Mutter im Modus der Amateur-Ermittlerin ein paar Züge der klassischen Allen-Persona trägt, hat Melvil Poupaud sichtbare Freude an der Überspitzung des schurkischen Gatten, dessen größte Leidenschaft seine Märklin-Modelleisenbahn in einem eigenen Zimmer ist.

Das Ganze hat durchaus seine amüsanten Momente. Auf inhaltlicher Ebene gibt es eine Variation von Motiven um Schuld, Sühne, Schicksal und Zufall, die etwa auch schon in Match Point und Irrational Man (2015) vorkamen. Es wird Leute geben, die diesen Film aus Prinzip nicht schauen werden, um Allen als möglichen Täter eines Verbrechens nicht zu unterstützen. Andere werden das Werk vermutlich ebenfalls aus Prinzip feiern, da sie Allen als Opfer der sogenannten Cancel Culture betrachten. Und jene, die Coup de chance sehen werden, ohne ihn allein aus Trotz gut zu finden, werden passable Unterhaltung serviert bekommen.

Gesehen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig.

Ein Glücksfall (2023)

Fanny und Jean sind das perfekte Ehepaar – beide haben Erfolg im Beruf, leben in einer prächtigen Wohnung in einem exklusiven Viertel von Paris und scheinen noch genauso verliebt zu sein wie am ersten Tag. Doch als Fanny zufällig ihren ehemaligen Klassenkameraden Alain trifft, ist sie hin und weg. Bald darauf sehen sie sich wieder und kommen sich immer näher …

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Meinungen

Marks · 21.08.2023

Wollen wir hoffen, dass er dieses Mal regulär in deutschen Kinos gezeigt wird.