Concussion (2013)

Eine Filmkritik von Gregor Torinus

Eindeutig mehrdeutig

Prostitution im Film nicht als Ausdruck der Ausbeutung der Frau in einer kapitalistischen Gesellschaft, sondern als Form der Selbstverwirklichung zu zeigen, war zu Zeiten von Louis Buñuels Belle de jour (1967) noch ein revolutionäres Konzept und ein Skandal. Jetzt haben fast zeitgleich sowohl der Franzose François Ozon, als auch die Amerikanerin Stacie Passon diese Thematik für sich wiederentdeckt. Doch während Ozon in seinem Erotik-Drama Jung & schön das Thema mit einer Coming of Age-Geschichte verbindet, zeigt Passon in ihrem Debütfilm Concussion — Leichte Erschütterung die Prostitution als das heimliche Abenteuer einer verheirateten Frau mit Kindern, die sich bereits in ihren Vierzigern befindet. Das klingt zunächst einmal nicht viel anders, als bei Buñuel, allerdings ist die Protagonistin hier nicht mit einem Arzt, sondern mit einer Anwältin – also einer Frau – verheiratet und bietet ihre Dienste somit folgerichtig auch ausschließlich Frauen an…

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Die erste leichte (Gehirn-)Erschütterung („concussion“) erfährt die Hausfrau Abby (Robin Weigert), als ihr Sohn sie mit dem Baseball versehentlich am Kopf trifft, was eine wie wahnsinnig blutende Platzwunde zur Folge hat. Dieser kleine Zwischenfall wirkt in ihrem ansonsten sehr unaufgeregten Vorstadtleben mit zwei Kindern, gut verdienender Ehefrau und regelmäßigen Frauenabenden mit ihren Freundinnen vom Fitnesscenter wie ein Weckruf auf Abby, wie ein Aufruf nach Veränderung. Nicht nur, dass die sinnliche Abby unter der Lustlosigkeit ihrer fast asexuellen Frau Kate (Julie Fain Lawrence) leidet. Auch ihr restliches Leben bietet ihr nicht wirklich den richtigen Kick. Einen solchen versucht sie nun bei Prostituierten zu finden. Die erste wird ein Reinfall. Dafür führt die zweite Abby gleich selbst ins Geschäft ein. Offiziell hilft Abby nur einem Bekannten ein Loft in Manhattan zwecks Weiterverkauf herzurichten. Doch von dort aus empfängt Abby auch ihre Kundinnen. Allerdings macht sie es zur Bedingung diese zuvor einmal unverbindlich in einem Café zu treffen. Trotzdem ist Abby nicht vor Überraschungen gefeit…

Concussion ist ein kleiner amerikanischer Independentfilm, der mit einem fast dokumentarischen Gestus daherkommt. Äußerst nüchtern fängt die Kamera von David Kruta das Vorstadtleben in Montclair in New Jersey ein. Gleich die erste Szene zeigt Abby zusammen mit ihrem aus anderen Hausfrauen bestehenden Freundeskreis bei ihren täglichen Übungen im Fitnessstudio. Das Dramatischste, was diese Damen zu besprechen haben, ist die Erkenntnis, dass man sich in ihrem Alter angeblich entscheiden muss, ob man entweder ein straffes Gesicht oder lieber einen festen Hintern haben mag. Abbys Bekenntnis lautet: „I am going for ass!“, womit sich bereits andeutet, dass sie in diesen Kreisen das Potential zu einer kleinen Revolutionärin hat. Hier deutet sich bereits der dramatische Konflikt an, der den gesamten weiteren Handlungsverlauf bestimmen wird. Es geht um spießige Konformität versus individuelle Selbstverwirklichung. Die einzige Besonderheit in diesem recht banalen Schema besteht darin, dass lesbische (verheiratete) Frauen in diesem Film bereits zur Normalität dazugehören. So bietet Concussion die zumindest für Spießbürger eventuell neue Erkenntnis, dass auch homosexuelle Paare durchaus spießig sein können.

An dieser Stelle zeigt sich eine generelle leichte Unstimmigkeit, die Concussion durchzieht. Einerseits gefällt der Film durch eine wunderbare Leichtigkeit und eine feine Ironie. Beide Eigenschaften finden immer wieder in Abbys leicht spöttischem Lächeln zusammen. Andererseits wirkt Concussion aber auch ein wenig so, als ob der Film selbst aus der Perspektive von Abbys spießigem Umfeld auf das – ach so gewagte – Treiben seiner – ach so individuellen – Protagonistin blickt, das sich bei genauer Betrachtung als recht harmloser – aber ach so lesbischer — Kuschelsex erweist. Dabei gelingt es insbesondere Robin Weigert mit kleinen Gesten und feinen Regungen in ihrer Mimik Abby als subtil komplexe Persönlichkeit zum Leben zu erwecken. Doch die Gesellschaft in der sie lebt, ist dermaßen standardisiert, dass für sie auch Abbys kleines Abenteuer nur eine Art von Gehirnerschütterung sein kann, die mit der Zeit sicherlich wieder abheilen wird.
 

Concussion (2013)

Prostitution im Film nicht als Ausdruck der Ausbeutung der Frau in einer kapitalistischen Gesellschaft, sondern als Form der Selbstverwirklichung zu zeigen, war zu Zeiten von Louis Buñuels „Belle de jour“ (1967) noch ein revolutionäres Konzept und ein Skandal. Jetzt haben fast zeitgleich sowohl der Franzose François Ozon, als auch die Amerikanerin Stacie Passon diese Thematik für sich wiederentdeckt.

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