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Eine Zukunft, in der Menschen mit besonderen Begabungen ausgeschlossen und verfolgt werden. Ein Mann, der für seine kranke Mutter alles tun würde. Ein Langfilm, der das Potenzial seiner Kurzfilm-Vorlage verschenkt.

Code 8 (2019)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Spirale der Gewalt

Nach einer überragend erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne konnten Stephen und Robbie Amell ihren Film „Code 8“ (2019) unter der Regie von Jeff Chan nun auf die große Leinwand bringen. Ihr Kurzfilm gleichen Titels (2016) wies bereits die Richtung: In einer nahen Zukunft leben Menschen mit besonderen Fähigkeiten am Rande der Gesellschaft, verfolgt von gefühllosen Polizei-Androiden. Von diesem Setting ausgehend entwickelt der Spielfilm die persönliche Geschichte von Connor Reed (Robbie Amell), der seiner kranken Mutter (Kari Matchett) eine Behandlung ermöglichen möchte. Doch die Wege zum nötigen Geld führen für einen Menschen, der besondere Fähigkeiten aufweist, unausweichlich in die Kriminalität.

Connor ist ein „Elektriker“ – er ist immun gegen Stromschläge und kann elektrische Entladungen gezielt auf Objekte und in seine Umgebung richten. Auf der Suche nach Arbeit bleiben ihm nur Gelegenheitsjobs als Aushilfe auf Baustellen, wo er Kabel verlegt und so seine Fähigkeiten nützlich einsetzt. Als sich der Gesundheitszustand seiner Mutter verschlechtert und ihre eigene Fähigkeit, Dinge durch Berührung gefrieren zu können, außer Kontrolle zu geraten droht, muss Connor einem verlockenden Angebot zustimmen: Eine Gruppe von Einbrecher*innen (Stephen Amell, Laysla De Oliveira u.a.) kann seine elektrischen Fähigkeiten einsetzen – doch ist ihr Auftraggeber Sutcliffe (Greg Bryk) in bedrohliche Schwierigkeiten verwickelt. Auch die Polizei kommt bald auf Connors Spur, denn seine Fähigkeiten sind weit größer, als er selbst ahnt.

Den Film interessiert an seinem Setting vor allem der Blick auf eine Gesellschaft, die ihre von Geburt an mit besonderer Begabung versehenen Mitglieder gnadenlos an den Rand drängt, um den Einsatz dieser Begabungen so weit wie möglich zu unterbinden. Gleichzeitig ist sie aber auf ebendiese Begabungen für günstige und effiziente Arbeitskraft angewiesen. Dabei geht es immer auch um die mehr oder weniger offensichtliche Parabel, die der Film über seine eng an den Protagonisten Connor gebundene Erzählung entwickelt: Was heißt es, „anders“ zu sein und ausgeschlossen zu werden? Haben wir nicht alle etwas, das wir mit jeder Gewalt zu verteidigen bereit wären? Und bringen Gewalt und Ausschließung nicht immer nur mehr Gewalt hervor?

Code 8 führt seine Welt mit einigen gelungenen Ideen ein. Die Einstellungen einer Baustelle zu Beginn des Films, auf der einige Begabte als Schweißer oder Elektriker mit ihren bloßen Händen arbeiten können, vermitteln in wenigen Bildern einen genauen Eindruck von der Idee einer Gesellschaft, die ihre wichtigsten Arbeitskräfte zugleich ausgrenzt, ohne davon zu viel und zu deutlich erzählen zu müssen. Doch spätestens wenn der Film immer wieder auf einen verlassenen Parkplatz zurückkommt, an dem einige Begabte darauf warten, angesprochen zu werden, um auf Baustellen auszuhelfen, wird die Parallele zu Menschen, die etwa in den USA ohne anerkannten Status leben und auf eigenes Risiko Arbeit annehmen müssen, allzu deutlich. Den Fragen, die der Film damit stellen könnte, geht er so allerdings nicht nach: Die Idee einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft, die ihre Stärksten zu ihren Schwächsten macht, dient lediglich zu einer sehr einfachen und erwartbaren Allegorie, ohne dass darin ein neuer Gedanke Gestalt annehmen könnte.

Schade ist das vor allem mit Blick auf den Kurzfilm, der als Präsentation der Finanzierungs-Kampagne diente. Keine Einstellung ist hier zu viel, kein Wort überflüssig, und doch wird unmissverständlich deutlich, was auf dem Spiel steht. Im Langfilm Code 8 hingegen werden die Figuren irgendwann zu Platzhaltern einer Parabel, die als Reaktion auf komplexe Probleme nicht mit neuen Perspektiven aufwartet, sondern in den einfachsten Antworten einen Ausweg sucht: Weniger Gewalt heißt weniger Gewalt! – No shit.

Warum eine komplexe und interessante Welt entwerfen, die zahlreiche Ansatzpunkte dafür böte, ein System struktureller Ausbeutung und Benachteiligung mit anderen Vorzeichen zu erkunden, wenn es am Ende gar nicht um jene Mechanismen geht, sondern nur darum, ein persönliches Familiendrama mit erwartbarem Ende vor dem Hintergrund einer sehr einfachen moralischen Botschaft zu erzählen? Nicht, dass diese Botschaft falsch wäre – sie verwirft nur jedes Potenzial, das Code 8 der Situation seiner Figuren hätte abgewinnen können, um auf eine Idee zu kommen, die bereits nach wenigen Minuten auserzählt ist. In einer Reihe inspirationsloser Auflösungen wird schließlich keiner der Figuren eine Geschichte gegönnt, die eigene Akzente setzen würde. So bleibt zwar ein sehr solide umgesetzter Film, dieser schöpft seine eigenen Möglichkeiten jedoch nie aus. Zu oft gilt bei Kurzfilm-Verlängerungen, was ebenso für Code 8 zutrifft: Die präziseren Bilder wären auch die interessanteren gewesen.

Code 8 (2019)

„Code 8“ spielt in einer Welt, in der 4% der Weltbevölkerung mit Superkräften ausgestattet sind. Doch statt ein angenehmes Leben in Wohlstand und mit Macht zu führen,  sind sie Ausgestoßene, die am Rande der Gesellschaft vor sich hinvegetieren, ausgestoßen, oft in Armut und häufig in Konflikt mit den Gesetzen. Einer von ihnen, ein junger Mann, gerät mit der Polizei aneinander, als er ein recht banales Verbrechen begangen hat.

 

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