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In Jessica Hausners „Club Zero” radikalisiert sich eine Gruppe von Eliteschüler*innen unter Anleitung einer Lehrerin derart, dass sie am Ende keine Nahrung mehr zu sich nehmen — was man durchaus als Satire auf die Mindfulness- und Selbstoptimierungstrends der letzten Zeit sehen kann.

Club Zero (2023)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Kein Brot für die Welt

Klimaaktivist*innen wie Die letzte Generation oder Extinction Rebellion sorgen mit ihren Aktionen  für Aufsehen und verdeutlichen, dass die junge Generation anscheinend deutlich mehr als die Älteren den Veränderungsdruck spürt, den eine sich rasch wandelnde Welt (nicht unbedingt zum Besseren) mit sich bringt. Die hier gezeigte Gruppe von Schüler*innen an einer englischen Eliteschule könnte allesamt bei diesen Protestformen mitwirken, ihre Argumente jedenfalls gleich jenen der Klimaaktivist*innen. Wobei das Schlachtfeld, auf dem sie ihre ideologischen Kämpfe mit der Welt austragen, ein anderes ist: der eigene Körper.

 „Conscious Eating“ — bewusstes Essen, so lautet der Titel des Kurses, den die neue Lehrerin Ms. Novak (Mia Wasikowska) an der piekfeinen, im Retro-Chick durchgestylten Privatschule auf Initiative von Eltern anbietet. Doch was die fünf Schüler*innen dort aus verschiedensten Gründen lernen wollen (sie wolle die Welt retten, sagt eine zu Beginn des Kurses, eine andere will ihren Körperfettanteil reduzieren, ein anderer gesteht, dass er vor allem deshalb teilnimmt, weil er sich so bessere Chancen auf ein begehrtes Stipendium ausrechnet), wird mit zunehmendem Verlauf den Eltern überhaupt nicht gefallen. Denn die Ideen von Ms. Novak sind überaus radikal, was sich allerdings erst mit der Zeit herausstellen wird. Zunächst arbeitet die neue Lehrerin mit meditativen Gesängen, Schautafeln, einem Fastentee, den sie selbst vermarktet, sowie Atemübungen und guten Ratschlägen. Dann aber, als sie merkt, dass die Schüler*innen ihr bereitwillig folgen, setzt sie an zu einer finalen Stufe des bewussten Essens: Es gebe eine (natürlich geheime) Gesellschaft von Menschen, die ganz ohne jegliche Nahrung auskämen, der sogenannte „Club Zero“ — und letztendlich sei dies die einzige wirkliche Möglichkeit, dem Kapitalismus und den Machenschaften der Lebensmittelkonzerne etwas entgegenzusetzen. 

Das zunehmend merkwürdige Verhalten ihrer Kinder versetzt die überwiegend betuchte Elternschaft in Aufruhr und so wird alles versucht, die Lehrerin wieder loszuwerden. Diese aber hat die Heranwachsenden mittlerweile so weit unter ihre Kontrolle gebracht (wobei natürlich auch pubertäre Abgrenzungstendenzen gegen die Eltern eine Rolle spielen), dass die Spirale aus Rebellion und Verweigerung immer krassere Ausmaße annimmt.

Visuell lehnt sich Club Zero an Jessica Hausners Vorgängerfilm Little Joe an, das stilisierte Setdesign und die Farbgebung setzen kontrastreiche Akzente und führen die Artifizialität der Kamera und der Schauspielführung weiter fort, so dass man sich an manchen Stellen an die Filme eines Yorgos Lanthimos erinnert fühlt, der wie ein Bruder im Geiste erscheint. 

Eine grelle und teilweise echt witzige, in Sachen Figurenzeichnung und Komplexität aber bisweilen zu plakativ und simpel geratene Satire über die Widersprüchlichkeiten der Gegenwart, zudem mit einer der schlimmsten Kotzszenen der jüngeren Zeit — auf dem Papier klingt Club Zero wie ein Wunschkandidat des Juryvorsitzenden Ruben Östlund für die Vergabe der Goldenen Palme. Angesichts der starken Konkurrenz und einiger Filme, die im Wettbewerb noch warten, muss das aber noch nichts heißen.

Gesehen auf den Filmfestspielen von Cannes 2023

Club Zero (2023)

Die Geschichte ist inspiriert von dem Märchen „Der Rattenfänger von Hameln“. In Club Zero ist es eine Lehrerin, die ihre Schüler*innen soweit manipuliert, dass sie ihr in einen extremen Ernährungskult folgen und sich schließlich dem Einfluss ihrer Eltern vollends entziehen. Die Eltern erkennen ihre Machtlosigkeit zu spät, weil sie kaum Zeit für ihre Kinder haben in einer Gesellschaft, die auf Leistung und Erfolg basiert. Die Tragödie nimmt ihren Lauf.

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