Chuck Norris und der Kommunismus (2015)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Was macht Chuck Norris mit einem kommunistischen Regime?

Eigentlich müsste diese Kritik mit einem Chuck-Norris-Witz beginnen. Aber auf den vertrösten wir lieber bis zum Ende. Denn entgegen dem etwas reißerischen Originaltitel Chuck Norris vs. Communism geht es in dem Film der rumänischen Regisseurin Ilinca Calugareanu nicht darum, wie Chuck Norris mit einem Roundhouse-Kick ein Regime platt macht. Es geht vielmehr um Macht. Die Macht der Bilder. Und um eine Stimme, die noch lange nach dem Abspann dieses Films im Ohr klingen wird. Es ist die Stimme von Irina Nistor. Und sie konnte damit fast so viel bewirken, wie Chuck Norris mit seinen bloßen Händen.

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Die Stimme von Irina Nistor schwebt durch das Wohnzimmer, das wir gleich zu Beginn sehen. Eine Gruppe Jugendlicher sitzt im flackernden blauen Licht eines Fernsehers. Es läuft ein westlicher Action-Film und alle halten gerade den Atem an. Chuck Norris muss sich aus einem Erdloch befreien. Das alles wäre normal, wären wir nicht im Rumänien des Jahres 1985: Das Land ist vom Ausland abgeschottet, Pässe für die Ausreise gibt es nicht, der Diktator Ceaușescu versucht das Volk mit antikapitalistischen Parolen auf Kurs zu halten und im rumänischen Fernsehen wird das Programm von zwei Kanälen auf einen einzigen reduziert. Filme unterliegen der Zensur und alles aus dem Westen ist sowieso verboten. Was verboten ist, macht aber neugierig. Mit den ersten VHS-Playern kommen auch die ersten Videokassetten ins Land. Nur werden diese illegal mit List und Bestechungsgeld über die Grenze geschmuggelt. Der Schwarzmarkt für Raubkopien mit Hollywood-Produktionen blüht. Geschaut wird alles, von Top Gun bis Dirty Dancing. Und über allem lag diese eine Stimme, die alles synchronisierte vom Kind bis zum Greis. Jeder kannte sie.

Auch für die Jung-Regisseurin Ilinca Calugareanu war diese Stimme der Ausgangspunkt ihrer Recherche. 1981 geboren, hatte sie selbst in ihrer Kindheit mit Freunden und Familie in abgedunkelten Wohnzimmern die illegalen West-Filme geschaut. Für Chuck Norris und der Kommunismus hat sie nicht nur die Synchronsprecherin ausfindig gemacht, sondern auch Teodor Zamfir, den Mann, der das Schwarzmarktgeschäft mit den Magnetbändern erst ermöglichte und dann kontrollierte. Beide erzählen über das Wie und Warum ihres Handelns. Wir sehen es in nachgestellten Szenen in HBO-Qualität, denn das Netzwerk ist als einer der Ko-Produzenten mit an Bord. Dazwischen schneidet Calugareanu immer wieder Talking-Heads-Interviews von Zeitzeugen, die anekdotenhaft die Zeit heraufbeschwören, als Rocky für sie der größte Held war. Das ist nicht sonderlich innovativ, funktioniert aber über weite Strecken sehr gut. Denn dieser Film lebt von den kleinen Geschichten, die man sonst niemals erfahren würde. Von dem jungen Mann, der erzählt, wie er von Rockys Trainingsmaßnahmen inspiriert seinen Wecker auf 5 Uhr stellte und sich einen Cocktail aus rohen Eiern nach dem Joggen zubereitete. Von der alten Frau, die mit glänzenden Augen von Der letzte Tango in Paris erzählt und wie ihr bewusst wurde, wie weit das Land dem Westen hinterherhängt. Von der Synchronsprecherin Irina Nistor, die mit ihrer Arbeit immer wieder ins Visier des Securitate-Geheimdienstes geriet und dennoch weitermachte. Ja, weitermachen musste. „Es war wie eine Droge für mich“, sagt sie. „Es war die Luft, die ich zum Atmen brauchte.“

Und so erzählt Chuck Norris und der Kommunismus immer auch vom Wunsch, den Fernseher zum Fenster in eine verbotene Welt werden zu lassen. Nicht nur einer Handlung zu folgen, die die Zensur für verboten und anrüchig hielt, sondern all die kleinen Details aufzusaugen, die man am Rand erhaschen konnte. Sich durstig auf westliche Mode, Autos, Häuser oder Warenauslagen im Hintergrund der Szenen zu stürzen und abzugleichen mit dem Bild, das die Propaganda des eigenen Regimes vom Ausland zeichnete. War das alles der verkommene Kapitalismus? Hatten diese Menschen nicht ganz ähnliche Probleme wie überall? Liebten und kämpften sie nicht auch? Vielleicht überwog hier die Suche nach alternativen Helden und Vorbildern bei den Zuschauern. Nicht umsonst gehörten die Actionfilme mit Chuck Norris, Sylvester Stallone oder Jean-Claude van Damme zu den beliebtesten. Wenn Chuck Norris sich aus einer ausweglosen Situation – kopfüber an einem Baum hängend mit auf dem Rücken gefesselten Händen – befreit, indem er einer auf ihn losgelassenen Ratte die Kehle durchbeißt, dann – so erzählen die kleinen Jungs von damals – dachten sie sich, sie können das auch schaffen.

Calugareanu hält sich mit absoluten Aussagen darüber zurück, ob es tatsächlich an diesen Action-Filmen lag, dass die Menschen irgendwann auch in Rumänien den Mut fanden, sich gegen die Repressionen des Regimes aufzulehnen. Aber dass diese Filme vielen Menschen halfen, diese letzten Jahre zu überstehen, zeigt sie sehr deutlich. Auch und gerade weil sie Helden in völlig abstrusen Situationen gewinnen ließen. An dieser Stelle passt nun endlich der Witz, der diese Action-Filme so gut zusammenfasst: „Chuck Norris schmeißt eine Handgranate und tötet 50 Menschen. Danach explodiert die Granate.“ Das ist übertrieben, ja. Aber in einem Land, in dem es keinerlei Freiheiten mehr gab, brachte diese Übertreibung einen Funken Hoffnung – und die Botschaft, dass alles besser werden kann, wenn man selbst etwas dagegen tut. Vielleicht hat Chuck Norris also doch ein bisschen dem Kommunismus in den Hintern getreten.
 

Chuck Norris und der Kommunismus (2015)

Eigentlich müsste diese Kritik mit einem Chuck-Norris-Witz beginnen. Aber auf den vertrösten wir lieber bis zum Ende. Denn entgegen dem etwas reißerischen Originaltitel „Chuck Norris vs. Communism“ geht es in dem Film der rumänischen Regisseurin Ilinca Calugareanu nicht darum, wie Chuck Norris mit einem Roundhouse-Kick ein Regime platt macht. Es geht vielmehr um Macht. Die Macht der Bilder.

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Meinungen

Marco Müller · 23.10.2015

Lieber Herr Roderiguez,

kurz zur Info: WDR 3 Mosaik macht anlässlich des Theaterfilmfestes am 30. Oktober ein Studiogespräch mit Kay Voges um 8 Uhr 30.
Ich wünsche Ihnen viele Zuschauer
Besten Gruß aus Köln
Marco Müller