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In seinem Langfilmdebüt bringt Emad Aleebrahim Dehkordi ein Tabu-Thema auf die Leinwand: das wilde Treiben der jungen Teheraner Oberschicht, die hinter hohen Mauern einem westlichen Lebensstil frönt – ohne Kopftuch, aber mit Partys und Drogen.

Chevalier Noir (2022)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Sittenbild mit Rissen

Junge Leute, die eine Party nach der anderen feiern, immer auf der Suche nach noch besseren Drogen – das ist eigentlich nichts Besonderes. Aber dass das auch im Iran Alltag ist, dem Land der Sittenwächter, überrascht dann doch. Die lockeren Sitten in bestimmten Teheraner Kreisen waren noch nie so offen auf der Leinwand zu sehen wie im Langfilmdebüt von Emad Aleebrahim Dehkordi. Der aus Teheran stammende und überwiegend in Frankreich lebende Filmemacher kleidet seine Milieustudie in die Geschichte zweier Brüder und ihres kranken Vaters, die gerade ihre Mutter beziehungsweise Ehefrau verloren haben. Wie sie mit dem Schmerz umgehen, droht auch die letzten Familienbande zu zerreißen.

Iman (Iman Sayad Borhani) ist komplett zugedröhnt, als er auf sein Motorrad steigt. Die nächtliche Fahrt durch Shemroon, den reichen Norden Teherans, wird zum Höllentrip: eine irre Raserei durch enge Kurven und dunkle Geraden, aufgenommen von der Helmkamera, ohne Schnitt, als würde man sich auf dem Beifahrersitz festkrallen bis zum befürchteten Crash. Der junge Mann kollidiert mit einem großen Vogel, den er in einer mythisch überhöhten Einstellung mit beiden Händen an den Straßenrand trägt. Ihm selbst ist nichts passiert, außer einer blutigen Hand und einem schmerzenden Gelenk, das der jüngere Bruder Payar (Payar Allahyari) liebevoll verbindet. Auf diese Weise merkt der opiumabhängige Vater (Behzad Dorani) nichts, als die drei am nächsten Morgen die verstorbene Mutter beerdigen.

Wie im Märchen verheißt der Tod des Vogels nichts Gutes, und den unheilvollen Ritt auf dem Motorrad kann man als die erste Etappe auf einer Reise in den Abgrund lesen. Aber jenseits solcher Anspielungen und auch jenseits der Gefahr verheißenden Film-Noir-Ästhetik hält sich Regisseur und Drehbuchautor Emad Aleebrahim Dehkordi an eine realistische Sicht auf die nächtliche Hauptstadt und ihre Oberschicht. Reich sind hier in Shemroon alle, aber die einen sitzen auf dem absteigenden Ast. Sie haben sich dem raschen Wandel nicht anpassen können und leben, wie der Vater des Bruderpaars, vom Verkauf ihres Vermögens. Die anderen sind erst vor kurzem zu Geld gekommen. Zu ihnen zählen die Kunden von Imans Drogenhandel, den er beginnt, um aus den ständigen Geldsorgen herauszukommen. Bruder Payar hingegen sucht einen ehrlichen Weg aus dem Schlamassel. Trotzdem sind beide innig verbunden, die Szenen einer rauen Zärtlichkeit im Umgang miteinander zählen zu den schönsten des Films. 

Und dann gibt es noch die Exiliraner wie Payars Kinderfreundin Hanna (Masoumeh Beygi), die nur auf einen Sprung in ihrer alten Heimat vorbeischaut. So ähnlich wie der Regisseur selbst, der die reale Geschichte, auf der der Film basiert, von seiner noch im Iran lebenden Mutter erzählt bekam. Gerade dieser doppelte Blick, von außen und von innen, tut dem Film gut. Denn es ist fraglich, ob die ständig im Iran lebenden Filmemacher eine solch ungeschönte Milieuschilderung überhaupt ohne übergroßes Risiko realisieren könnten. 

Regisseur Emad Aleebrahim Dehkordi, der am französischen „Fresnoy-Studio national d’arts contemporains“ Kunst studierte, unterlegt seine nächtliche Sozialstudie geschickt mit Thrill und Spannung, bevor sie am Ende doch zum Drama wird. Diese verschiedenen Elemente seines Erstlings fügen sich allerdings nicht wirklich zu einem Ganzen – trotz des Verdienstes, den Zuschauer hinter die sonst streng abgeschirmten Kulissen eines Milieus mit westlichem Lebensstil blicken zu lassen. Die Märchen-Elemente, die Film Noir-Anleihen sind nicht konsequent umgesetzt und interessante Nebenfiguren wie die selbstbewusste Hanna bleiben zu skizzenhaft. Immerhin: Der Debütregisseur scheint offen für ungewöhnliche Stilmixe zu sein. Das macht Lust auf sein zukünftiges Schaffen.

Chevalier Noir (2022)

Shemroon, im Norden von Teheran. Iman und sein jüngerer Bruder Payar leben bei ihrem Vater.  Wie sie mit dem Tod ihrer Mutter umgehen, könnte unterschiedlicher kaum sein. Während Payar eine Box-Karriere verfolgt und sich zu Hause um den kranken Vater kümmert, sucht Iman einen Weg aus dem erdrückenden Leben. Er beginnt mit Drogen zu dealen, um das schnelle Geld zu machen und bewegt sich zwischen Exzessen und Parties seiner wohlhabenden Freunde. Das bleibt jedoch nicht ohne Folgen für die gesamte Familie, denn eines Nachts endet ein Drogendeal im Chaos.
„Chevalier Noir“ blickt auf einen im iranischen Kino selten zu sehenden Stoff: eine Generation neureicher junger Erwachsener in Teheran, die sich scheinbar freier von Zwängen und Unterdrückung bewegen kann.

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