Charlie Bartlett

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im Land der unbegrenzten pharmazeutischen Möglichkeiten

Ein ganz schönes Früchtchen ist der Knabe, der dem Film von Regisseur Jon Poll den Titel gab: Nachdem der smarte Charlie Bartlett (Anton Yelchin) dabei erwischt wurde, wie er an der Privatschule, die er besucht, Führerscheine an seine Mitschüler vertickt, wird der Junge rausgeschmissen. Und selbst das großherzige finanzielle Angebot von Charlies netter, aber irgendwie verpeilter Mutter Marilyn (Hope Davis) kann daran nichts ändern. Nachdem ihr Sohn von nahezu jeder Privatschule geflogen ist, kommt nur noch eine öffentliche Schule in Frage — für den Snob mit gutem Draht zum familieneigenen Psychiater eine Horrorvorstellung, die sich gleich am ersten Schultag bewahrheitet. Charlie gerät ins Visier des schuleigenen Rüpels Murphy Bivens (Tyler Hilton), der dem Neuen schnell beibringt, wer an der neuen Schule das Sagen hat. Doch es gibt nichts, was Stan (Stephen Young), der hauseigene Psychiater nicht wieder mit ein paar Pillen hinbekommen würde: Flugs wird Charlie nach der Diagnose ADHS auf Ritalin gesetzt und entdeckt die Nebenwirkungen des Stimulanziums, weswegen die Schulparty dann auch zu einem vollen (oder vielmehr einem voll gedröhnten) Erfolg wird. Mit einem Schlag erfreut sich Charlie großer Beliebtheit. Und sein Ruf verbreitet sich schnell an der Schule.
Rasch avanciert Charlie zum „Schulpsychologen“ der Lehranstalt, dem sich die Kids bei der Sprechstunde auf der Toilette anvertrauen. Die Symptome schildert der findige Schüler dann Stan, der – ohne zu wissen, wen er da wirklich behandelt – ohne nachzudenken, die notwendigen Medikamente verschreibt, um die psychischen Blessuren in den Griff zu bekommen. Charlies Ruhm hat seine guten Seiten: Murphy Bivens steigt als Partner in das Geschäft mit den kleinen Helferchen ein und sorgt für den nötigen Schutz gegen Anfeindungen. Und schließlich kommt Charlie auch Susan Gardner (Kat Dennings) näher, der Tochter des Schuldirektors (Robert Downey Jr.). Allerdings betrachtet der besorgte Vater das Treiben seines neuen Schützlings voller Misstrauen. Und als er das Geheimnis der langen Schlange vor der Toilette entdeckt und ein depressiver Mitschüler mit Charlies Pillen Mist baut, scheint das neue Glück mal wieder eine Episode von kurzer Dauer zu sein. Doch Charlie hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und zudem begriffen, was seine Mitschüler wirklich dringend benötigen – jemand, der ihnen zuhört.

Die realen Hintergründe dieses ziemlich realistischen, am Ende aber ein wenig rührselig anmutenden High-School-Films, der mit anderen Vertretern des Genres recht wenig gemeinsam hat, sind erschreckend: So hat sich die Zahl der Kinder, die mit Psychopharmaka behandelt werden, im letzten Jahrzehnt verzehnfacht, wie eine im Jahre 2006 veröffentliche Studie in den Archives of General Psychiatry feststellt. Neben Antidepressiva erfreut sich vor allem Ritalin zur Behandlung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung) großer „Beliebtheit“. Pillen kosten eben weniger Mühe als liebevolle Zuwendung. Im Land der unbegrenzten pharmazeutischen Möglichkeiten werden Psychopharmaka verteilt wie andernorts Bonbons – diesen Eindruck wird man auch nach diesem Film nicht los.

Trotzdem erstickt Jon Polls mit leichter Hand inszenierter Film Charlie Bartlett nie an seiner Botschaft, sondern wirkt stets optimistisch. Nur das Ende gerät dann doch etwas zu rührselig und sehr amerikanisch. Ein Robert Downey Jr. in Höchstform und ein grundsympathischer Anton Yelchin machen diesen kleinen Schönheitsfehler aber locker wieder wett.

Im Vergleich zu vielen anderen High-School-Filmen wirkt Charlie Bartlett wie eine wohltuende Auffrischung eines müde gewordenen Genres. Dass der Film ganz nebenbei den Finger auf die Wunde einer Nation im permanenten Psychopharmaka-Rausch legt, ist umso beachtlicher.

Charlie Bartlett

Ein ganz schönes Früchtchen ist der Knabe, der dem Film von Regisseur Jon Poll den Titel gab: Nachdem der smarte Charlie Bartlett (Anton Yelchin) dabei erwischt wurde, wie er an der Privatschule, die er besucht, Führerscheine an seine Mitschüler vertickt, wird der Junge rausgeschmissen.
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