Carrie

Eine Filmkritik von Martin Beck

Jeder kennt ihren Namen

Sollten Remakes nicht eigentlich Filmen vorbehalten sein, die kein Mensch (mehr) kennt oder qualitative Luft nach oben haben? Nach dieser Logik dürfte es weder Carrie 2 – die Rache geben, ein als Sequel getarntes Remake von 1999, das man höchstens seinen ärgsten Feinden empfehlen kann, noch die aktuelle Verfilmung von Kimberly Peirce (Boys don’t cry). Carrie muss sich zunächst an der Romanvorlage von Stephen King messen lassen, einem seiner besten Bücher, und dann natürlich an der ersten Verfilmung von Brian De Palma. Denkt man an Carrie, denkt man an Sissy Spacek, Piper Laurie, die Schweineblut-Dusche und eine emporschießende Hand. Ein Klassiker. Einer der prägnantesten Horrorfilme der siebziger Jahre.
Wer Carrie/ 2013 einzig auf den Remake-Status kondensiert, stolpert auch schon über die Sinnfrage. Carrie/ 1976 ist eigentlich zu gut und zu bekannt für ein relativ getreues Remake, das sogar Dialoge übernimmt und der Abfolge der Ereignisse keine Überraschungen gönnt. Auch 2013 ist Carrie ein schüchternes, verklemmtes Mädchen, das in der Schule die Außenseiterrolle spielt und zu Hause unter ihrer dominanten, streng religiösen Mutter leidet. Die Leiden der jungen C. werden irgendwann so massiv, dass sie telekinetische Kräfte entwickelt, die dann beim Prom-Ball, wo sie vor der ganzen Schule gedemütigt wird, in ein haltloses Blutbad münden.

Highschool-Mobbing, religiöser Wahn, sexuelles Erwachen und eine satte Portion „teen angst“. Mal abgesehen von dem finanziellen Aspekt, waren wohl die zeitlosen Themen des Stoffes ein guter Grund für die Neuverfilmung von Carrie. Der hier geschilderte psychologische Druck hat sich seit 1976 kaum verändert, nur die Form wurde etwas angepasst. Die Sequenz beim Sportunterricht wird nun mit Handys gefilmt und sogleich ins Internet hochgeladen. Was Carrie passiert, wie sie reagiert, wie sie sich mit ihrer Mutter auseinandersetzt, all das ist ein gutes Stück subtiler als bei Brian De Palma – doch keineswegs weniger wirkungsvoll. Kimberly Peirce setzt verstärkt auf Empathie, ihre Hauptfigur soll auf plausibler Augenhöhe mit den gleichaltrigen Zuschauern sein.

Überraschenderweise wirkt diese Annäherung an Carrie nicht langweilig, sondern schafft tatsächlich eine Bindung zum Geschehen. Chloë Grace Moretz, die bisher eigentlich immer furchtbar war, nimmt sich hier erfreulich weit zurück und erfüllt ihre Figur mit einer Melancholie, die selbst durch die komische blonde Perücke und ihr viel zu gutes Aussehen nicht gebrochen wird. Besonders gelungen dabei sind die Szenen mit Julianne Moore, die der Piper-Laurie-Rolle ebenfalls die hysterische Luft ablässt und gegenüber ihrer Filmtochter eine unerwartete Bodenständigkeit ausstrahlt. Carrie und ihre Mutter, das ist vor allem eine wirklich komplizierte, extrem vorbelastete und äußerst schwierige Beziehung. Die Telekinese bildet dabei nicht mehr als den logischen Endpunkt einer zutiefst verwirrten und manipulierten Psyche.

Beide Schauspielerinnen meistern ihre Aufgaben so gut, dass man sie zumindest neben Sissy Spacek und Piper Laurie akzeptieren kann – ein „Erfolg“, der so keineswegs abzusehen war und dem Remake einiges an Meckerpotential abgräbt. Carrie/ 2013 ist keineswegs ein leichtes Opfer, das als schaler Remake-Aufguss endet, sondern behauptet eine eigenständige Note. Die aber natürlich immer noch durch die gnadenlose Vorhersehbarkeit der Ereignisse gebeugt wird. Und noch viel mehr durch den Showdown, der dann leider den Punkt markiert, an dem der Film doch noch die vorgefertigten Erwartungen bedient. Terror trifft auf CGI und entfacht dabei ein „Inferno“, das Brian De Palma vielleicht auf dem zwei Kilometer entfernten Bolzplatz inszeniert hätte. Aber ganz sicher nicht als emotionalen Höhepunkt im Prom-Saal.

Zusammen mit dem Ende, das anders als das Original keinen „jump scare“ mehr im Ärmel hat, und den verglichen mit Pino Donaggios furiosem Score ziemlich blass bleibenden Klängen von Marco Beltrami, entsteht letztendlich doch ein mulmiger Gesamteindruck. Carrie ist nach wie vor zeitgemäß, aber eben nur, wenn die eingeschlagene Linie entweder konsequent bis zum Ende durchgehalten wird oder im richtigen Moment ein vehementer Aufbruch der geschürten Melancholie passieren darf. Kimberly Peirce entscheidet sich für klebrige „money shots“ und nimmt so zumindest der Empfehlung für Fans des Originals die überzeugende Grundlage. Wer Carrie erst hier kennenlernt, bekommt einen tatsächlich überdurchschnittlichen Horrorfilm, und wer Carrie bereits einmal zum Prom begleitet hat, muss sich immerhin weniger ärgern als eigentlich erwartet. Ganz klar, das hätte auch wesentlich schlimmer kommen können.

Carrie

Sollten Remakes nicht eigentlich Filmen vorbehalten sein, die kein Mensch (mehr) kennt oder qualitative Luft nach oben haben? Nach dieser Logik dürfte es weder „Carrie 2 – die Rache“ geben, ein als Sequel getarntes Remake von 1999, das man höchstens seinen ärgsten Feinden empfehlen kann, noch die aktuelle Verfilmung von Kimberly Peirce („Boys don’t cry“).
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