Log Line

Toni ist 15 Jahre älter als Bruno, sie jobben auf Ibiza und haben viel Spaß. Toni ist Brunos Mutter, beide sind voneinander abhängig, doch Bruno ahnt, dass sich etwas ändern muss… „Bulldog“ von André Szardennings ist ein Beziehungsdrama der anderen Art – und dennoch oder deswegen emotional packend.

Bulldog (2022)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Abnabelung

Lana Cooper im Hotel: Love Steaks war 2013 ein Film, der einen umgehauen hat: roh wie die titelgebenden Fleischstücke und gleichzeitig emotional und filigran und ungeschliffen und witzig. In Andre Szardenings’ „Bulldog“ arbeitet Cooper nun in der Rolle der Toni in einer Ferienanlage auf Ibiza, und roh und emotional, filigran und ungeschliffen ist der Film ebenfalls – zwar weniger improvisiert als Jakob Lass’ German Mumblecore-Paukenschlag, aber unmittelbar und authentisch nichtsdestotrotz. An ihrer Seite erleben wir Karin Hanczewski, eine weitere Darstellerin, die hart ihr Inneres ausstellen kann, ohne je zu überziehen, die frei aufspielt, wenn es um unfrei-geschundene Seelen geht, wenn es darum geht, nicht alles auszuerzählen, aber darum ganz viel spürbar zu machen. Hier gibt Hanczewski als Hanna die wichtigste Nebenrolle, die viel ins Rollen bringt.

Zwischen Toni und Hanna steht in Bulldog Bruno, gespielt von Julius Nitschkoff: ein zerrissener Junge, frisch 21 Jahre alt, aber stark verbunden mit Toni. Am Anfang steht er in einem Wasserpark oben auf der Plattform einer von vielen Wasserrutschen – das Freibad ist leer, er sucht Toni, sie spielen Verstecken, er findet sie, stürzt sich auf sie, Lachen, Umarmen, Necken – nein. Es ist kein Liebespaar. Toni ist Brunos Mutter, 15 Jahre älter als er, biologisch, tatsächlich aber noch unreifer, noch spielfreudiger, was das Leben angeht. Die beiden jobben im Ferienresort als Reinigungskräfte. Urlauber sind keine zu sehen, es ist Nebensaison, und zudem: als Urlauber kommen einem die Leute vom Facility Management ja auch möglichst nicht vors Gesicht.

„Jobben“, das heißt für Toni nicht unbedingt „arbeiten“, eher: Man wohnt für lau und kann Spaß haben. Wenn der Chef nicht da ist, nimmt man halt unangekündigt frei. Und Bettenmachen macht nur mit Kissenschlacht so richtig Laune. Bruno macht mit, auch er hat Spaß, aber im Gegensatz zu Toni denkt er auch weiter. Blickt auch aus der eigenen Blase der Zweisamkeit hinaus: Weil er ahnt, dass dieses Wischiwaschi-Larifari-Tralala-Leben nicht alles sein kann, zumindest nicht die Zukunft. Zum Geburtstag wünscht ihm die Mama, er solle glücklich sein – und dass alles bleibt, wie es ist. Wünsche, die einander ausschließen. Und die nicht in Erfüllung gehen.

Irgendwann lacht Toni sich Hanna an. Hanna, mit der sich Toni vermehrt beschäftigt, Hanna, die mit ihr im Bett schläft – das war bisher Brunos Platz! „Bist du jetzt lesbisch?“, will er wissen, und warum auch nicht – was Spaß macht, ist erlaubt. Dass auch Verbotenes Spaß macht, das war schon öfter das Problem dieser beiden. Weil Toni sich und ihr unmittelbares Gefühl über alles stellt, flippig und flirrig durchs Leben springt, Bruno in enger Verbundenheit. Eifersucht keimt auf, es ist eine verdrehte Ödipus-Situation – für eine Weile. Bald kommen Bruno und Hanna ganz gut zurecht, weil sich die Beziehungsdynamiken permanent ändern: Toni und Bruno, abhängig voneinander, sind in einem unausgesprochenen Lösungsprozess, den Hanna ungewollt beschleunigt.

André Szardennings gelingt ein intensives Porträt einer Zweierbeziehung: Seit vielen Jahren leben Toni und Bruno so, wie sie eben leben, freiwillige Nomaden mit unfreiwilliger Ungebundenheit, die aufeinander angewiesen sind und immer weniger miteinander auskommen können. Das sieht aus wie inzestuös, ist es aber nicht; vielmehr macht der Film im virtuosen Spiel der beiden Darsteller stets deutlich, wie sie wurden, was sie sind: Seit Langem beieinander, ohne Gedanken an eine Alternative, vor allem, wenn die Alternative weniger Fun bedeuten würde. Bruno ist so aufgewachsen, mit einer Mutter, die nie Verantwortung zeigte und ihn doch stets durchbrachte, ohne Halt, aber mit viel Liebe, ohne Erdung, aber dafür frei. Wie die beiden durchs Leben springen, rennen, schreien, das ist so schonungslos dargestellt, wie es mit Sinn für Pointen, für untergründigen Witz, aber auch für sorgsam ausgearbeitete und subtil eingespielte emotionale Wendungen inszeniert ist. Sodass Bulldog mit dieser unwahrscheinlichen, bedingungslosen Mutter-Sohn-Liebe sich echt anfühlt und echt mitnimmt.

Bulldog (2022)

Seitdem der 21-jährige Bruno denken kann, gibt es nur ihn und seine gerade einmal 15 Jahre ältere Mutter Toni. Nichts und niemand anderes hat Platz im chaotischen Leben der beiden, sie arbeiten sogar zusammen in einer Ferienanlage in Spanien.

Als Hannah, die neue Partnerin von Toni, in den gemeinsamen Bungalow zieht, muss Bruno zum ersten Mal die Aufmerksamkeit seiner Mutter mit einer anderen Person teilen. Aus dem gemeinsamen Bett verdrängt, erkennt er, dass sein bisheriges Verantwortungsgefühl für Toni eine größere Last ist als gedacht – und dass die erdrückende Liebe seiner Mutter ihn an seinem eigenen Leben hindert.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen