Büchner.Lenz.Leben

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Annäherungsversuch an einen Klassiker

Am Anfang des Films Büchner.Lenz.Leben ist die Leinwand grau. Aus dem Off erklingen erst gesprochene Worte aus Jakob Michael Reinhold Lenz‘ Essay über Götz von Berlichingen, dann wechselt der Text zum Anfang von Georg Büchners Lenz. Passend, aber nicht korrespondierend zu den Worten „Den 20. ging Lenz durch’s Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täter hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen …“ verändert sich das Bild: Nach und nach drängen schwarze Schemen durch das Grau hindurch, das Bild wird immer klarer, Farben kommen hinzu, insbesondere die winterlich-kalten Blautöne dominieren zunehmend das Bild. Die Kamera schwenkt langsam durch eine Gebirgslandschaft, die fast abstrahierend auf den Text wirkt. Dann folgt ein Schnitt – und der Schauspieler Hans Kremer ist zu sehen. Er sitzt an einem Tisch, liest den Text, dann befindet er sich in einem Haus und geht umher. Ständig wird weiterhin der Text vorgelesen, mal aus dem Off, mal wendet sich Hans Kremer direkt in die Kamera, entsprechend werden manche Passagen mit Bewegungen unterstrichen, andere gespielt. Das ist das Strukturprinzip von Isabelle Körtsch‘ Film Büchner.Lenz.Leben, mit dem sie einen anderen Weg der Literaturverfilmungen ausprobieren möchte: Bildsprache und Text stehen in einem Zusammenhang, sie beziehen sich aufeinander, jedoch bebildern oder betexten sie nicht das jeweils andere. Vielmehr liefern die Bilder die für eine gute Adaption notwendige eigene Interpretation, dabei bleiben die Bilder dem Text stets untergeordnet.
Das Drehbuch und der Originaltext sind nahe beieinander, in den Bildern wird das Vorlesen gezeigt, mal durchwandert Hans Kremer die Originalschauplätze von Lenz‘ Aufenthalt in Waldersbach, bei dem der Dichter eine psychische Krise überwinden wollte, oder erkundet die Umgebung. Auf diese Weise streift der Film die drei Ebenen, die bereits im Titel angegeben sind: Büchners Text, den historischen Dichter Lenz und das Leben, das nach Aussage eines dem Pressematerial beigefügten Essays „die eigentümliche Kraft der Literatur“ betrifft, „die in dem Augenblick spürbar wird, in dem sich das lesbare Leben eines Textes und das lesende Leben eines Lesers miteinander verbinden und insgesamt das Lesen selbst als Tätigkeit und Lebensform sichtbar wird.“ Das ist ein hoher Anspruch, zumal es bereits ausgesprochen herausfordernd ist, ständig Lesen im Film zu zeigen. Deshalb setzt der Film auf eine „Inszenierung des lesenden Lebens“ und nutzt „die Mittel der szenischen Lesung“, jedoch stellt sich hier die Frage, warum der Film kaum über die Möglichkeiten des Theaters hinausgeht. Die Kameraperspektive ist stets auf Normalsicht, es gibt hauptsächlich lange Einstellungen, dadurch wird die Kamera zur Beobachterin, aber es wird dem Gezeigten keine Dynamik verliehen. Durch die Fokussierung auf Hans Kremer, seine Gestik und Mimik, den Verzicht auf musikalische Untermalung bis zum Abspann wird eine Konzentration auf den Text gelegt, die beabsichtigt ist – jedoch die Mittel des Films vernachlässigt. Außerdem liefert diese Dramaturgie der Reduktion letztlich kaum einen neuen Zugang zu dem Text oder zu dem Genre der Literaturverfilmung. Vielmehr hat bspw. Julian Pölslers Verfilmung von Die Wand einen ähnlichen Weg eingeschlagen, ihn aber weitaus cineastischer und auch zugänglicher umgesetzt.

Darüber hinaus setzt der Film großes Vorwissen bei dem Zuschauer voraus. Ohne Kenntnisse zu dem Wirken des historischen Lenz‘, den Umständen seines Lebens und Werks und zu Büchners Erzählung ist bereits der Einstieg in diesen Film sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Deshalb wendet sich Büchner.Lenz.Leben an ein vorgebildetes, informiertes Publikum, fügt für dieses dem Text und der Frage, wie ein solches literarisches Werk zu verfilmen ist, aber zu wenig Neues hinzu. Damit bleibt bei Büchner.Lenz.Leben vor allem das Bemühen offensichtlich, einen anderen Weg bei der Verfilmung von Literatur einzuschlagen, bei dem die Stärke des gewählten Mediums nicht genug berücksichtigt wird.

Büchner.Lenz.Leben

Am Anfang des Films „Büchner.Lenz.Leben“ ist die Leinwand grau. Aus dem Off erklingen erst gesprochene Worte aus Jakob Michael Reinhold Lenz‘ Essay über „Götz von Berlichingen“, dann wechselt der Text zum Anfang von Georg Büchners „Lenz“.
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