Breathing Earth - Susumu Shingus Traum

Eine Filmkritik von Stephan Langer

Idealistischer Ingenieur-Künstler oder: Die Welt als Blasebalg

Der japanische Shintoismus kennt als einen seiner ältesten Gottheiten den Wind-Gott Fujin. Dieser Fujin existierte dem Mythos nach bereits vor der Erschaffung der Welt und ließ nach deren Schöpfung Winde aus seinem Sack entweichen, die den Platz zwischen Himmel und Erde ausfüllten. Mit ihrer Kraft verwehten sie den Morgennebel, so dass die Sonne erstrahlen konnte. Mit anderen Worten: eine Aufklärung fand am Himmel statt, die Wolken lichteten sich. An dieser Stelle kommt der japanische Künstler Shingu Susumu ins Spiel, den Dokumentarfilmer Thomas Riedelsheimer in seinem aktuellen Film Breathing Earth – Susumu Shingus Traum porträtiert. Riedelsheimers Film besitzt auch eine aufklärerische Botschaft, nur keine im klassischen Sinne, das heißt eine, die dem ursprünglichen Aufklärungsgedanken nach den Menschen von Naturgesetzen und Göttern emanzipieren sollte. Stattdessen versucht er die verlorene Verbindung zwischen Mensch und Natur wieder zu stärken mit einer visuellen Sensibilisierung zum Naturphänomen Wind.
Der Regisseur macht das, was er bereits in Touch the Sound und Rivers and Tides zum Teil bravourös geschafft hat, nämlich flüchtigen Phänomenen wie damals Klang oder in unserem Fall Wind auf den Grund zu gehen und vor allem: diese Phänomene in Bild und Ton festzuhalten. Sechs Jahre lang hat er Susumu Shingu immer wieder begleitet. Shingu arbeitet seit vielen Jahren mit Wind und Wasser. Der 75-jährige schafft Skulpturen, die den verborgenen Energien dieser Elemente Gestalt verleihen. Wind selbst ist ständig in fließender, unvorhersehbar sich verändernder Bewegung, bleibt dabei immer unsichtbar, bis er auf etwas Materielles trifft, das ihn sichtbar werden lässt. Wind bewegt, Wind umspielt, Wind zerstört. Shingus Skulpturen entstehen aus einer Naturbeobachtung, sie brauchen den Wind oder das Wasser, um als Kunstwerke zu funktionieren. Sie lassen sich von den Kräften tragen, nehmen sie auf, verändern sich auf immer andere Weise und lassen sie weiterziehen. Wenn keine elementare Kraft auf die Objekte wirkt, ruhen sie einfach still vor sich hin. Sehr ähnlich ist auch Shingus Charakter ausgeprägt: er ist charismatisch, doch sehr zurückhaltend, bisweilen kindlich naiv, dabei ausgesprochen humorvoll, insgesamt sehr sympathisch. Manchmal wünscht man sich beim Schauen, dass es mehr von solch berühmten Künstlerpersönlichkeiten gäbe, die so gar nicht pfauenhaft derart viel glaubhaftes Understatement an den Tag legen.

Dramaturgisch ist Breathing Earth – Susumu Shingus Traum so angelegt, dass Riedelsheimer Shingu auf seinen Reisen um die Welt begleitet. Dort wirbt er für sein Projekt „Breathing Earth“. Der Idee nach soll es ein Dorf werden, das aus den natürlichen Energiequellen von Wind und Sonne versorgt wird. Ein lebendiger Ort der Inspiration, getragen und aufrecht erhalten von einer Philosophie der Achtsamkeit. Zusammen mit seiner Frau reist er unermüdlich umher, stets mit Riedelsheimer und kleinem Team an den Fersen. Man wird Zeuge von Gesprächen mit möglichen Sponsoren und Partnern im süditalienischen Matera, wo er mit leicht irritiertem Unverständnis empfangen wird, auf den windigen Abraumhalden des Ruhrgebiets, wo die bodenständige Freundlichkeit der Männer aus dem Pott auch nicht weiter hilft, auf einer kleinen Insel vor Istanbul, wo er schließlich einen kleinen Teilerfolg erringen kann. Zwischendurch sehen wir ihn immer wieder in seinem Atelier im japanischen Sanda, wo er lebt und arbeitet.

Apropos: seine Frau und er erscheinen stets Seite an Seite. Es ist faszinierend mit anzusehen, wie frisch das Miteinander der beiden immer noch ist, wie offen und neugierig die beiden gegenüber ihrer Umwelt und den ihnen begegnenden Menschen sind, ohne dabei einfach alles debil anzustarren. Mehr noch: das Paar scheint wirklich das zu leben, wovon sie auch ständig reden. Sie haben scheinbar über die Jahre viel vom Wind gelernt. Trotzdem scheitern die Breathing Earth-Verhandlungen in den Ländern, in denen es Interesse gab, auf verschiedenste Weise: mal sind es bürokratische Hürden, mal werden Prozesse verschleppt, dann wieder ist es schlichtes Unverständnis gegenüber solch kühnen Visionen. Trotz alledem lässt sich Shingu nicht entmutigen. „Der Wind kennt keinen Widerstand“, sagt er und meint wohl auch ein bisschen sich selbst und sein eigenes Handeln damit. Falls sich die Verhandlungen verkomplizieren und stocken, lässt Shingu die betreffenden Partner zurück, ganz wie eine Windbö, die einen berührt und dann vorbeihuscht. Shingu widersetzt sich mit seiner Öko-Utopie gelassen dem Zeitgeist einer post-postmodernen Welt, in der doch eigentlich alle Utopien verpönt auf dem Müllhaufen der zu Ende gegangenen Geschichte ihr tristes Dasein fristen. Dennoch hält er an seiner Idee fest, aufgrund seiner Erfahrungen mit der Natur und seinem tiefen Respekt ihr gegenüber. Er setzt bei „Breathing Earth“ auf die fächerübergreifende Zusammenarbeit von Künsten und Wissenschaften, darunter Experten aus der Landwirtschaft, dem Maschinenbau, der Meereskunde und der Astronomie.

Gewohnt souverän hält Riedelsheimer das Flüchtige des Windes in Bildern fest. Er hat bei Breathing Earth – Susumu Shingus Traum neben Regie und Kamera auch noch den Schnitt gemacht. Riedelsheimers Bilder von Shingus Kunst entfalten leider nicht so sehr den Effekt des schieren Unglaubens, den die Werke von Andy Goldsworthy in Rivers and Tides auslösten. Trotzdem fängt Riedelsheimer viele windige Naturphänomene grandios mit der Kamera ein: zum Beispiel die überwältigenden Schwärme von Monarchen-Schmetterlingen in Mexiko oder ganz Alltägliches, wie die leichte Bö, die das Wassers eines Teiches kräuselt und dabei in flüssiges Silber taucht. Oder ein Blatt, das sich wie an einem Silberfaden im Wind dreht. Der Film ist eher eine Reflexion über den Wind und das Verhältnis der Menschen zum Wind bzw. zur Natur. Nur hätte sich Riedelsheimer entscheiden sollen, ob er ein Künstlerporträt oder einen dokumentarischen Essay drehen möchte. Breathing Earth – Susumu Shingus Traum schafft es aufgrund jener Unentschiedenheit auch nicht, dass der erhabene Funke ganz auf die Zuschauer überspringt.

Shingus Konzept von „Breathing Earth“ fehlt eine gewisse praktische Reife. Am deutlichsten wird das im Film bei einem Gespräch mit Windfachleuten in Schottland. Diese erläutern dem Künstler-Ingenieur, dass seine Idee weit weniger Energie umsetzt, als dieser es sich ausgemalt hat. Er müsse mit seinen Skulpturen eine alltagstaugliche Ökotechnologie schaffen, die die Potentiale der Natur effizienter nutze. Aber: vielleicht geht es ja gar nicht um das reale „Breathing Earth“. Vielleicht soll der Film auch dazu dienen, das eigene Bewusstsein zu überprüfen. Damit wäre das Thema der Beitrag, den Kunst zur Entwicklung eines gesünderen Umgangs mit unserer Umwelt leisten kann. Es geht um geistige Impulse, darum, etwas anzustoßen, etwas in Gang zu setzen. Wenn Shingu das mit einer noch weiterentwickelten Idee von „Breathing Earth“ schafft, können sich alle Besucher auf etwas gefasst machen: es wird ein Ort sein, an dem man sich früher oder später als Teil des Kosmos fühlen kann.

Breathing Earth - Susumu Shingus Traum

Der japanische Shintoismus kennt als einen seiner ältesten Gottheiten den Wind-Gott Fujin. Dieser Fujin existierte dem Mythos nach bereits vor der Erschaffung der Welt und ließ nach deren Schöpfung Winde aus seinem Sack entweichen, die den Platz zwischen Himmel und Erde ausfüllten. Mit ihrer Kraft verwehten sie den Morgennebel, so dass die Sonne erstrahlen konnte. Mit anderen Worten: eine Aufklärung fand am Himmel statt, die Wolken lichteten sich.
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