Boulevard

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Robin Williams' letzter Film

Mit letzten Filmen ist es so eine Sache: Sie sind die letzte Möglichkeit, einer bislang unbekannten Arbeit eines Schauspielers, eines Regisseurs oder Kameramanns zu begegnen, danach werden nur noch Wieder-sehen erfolgen. Außerdem werden sie oft erst nach dem Ableben veröffentlicht; sie runden ein Œuvre ab und erhalten damit eine Stellung, die sie niemals angestrebt haben. Deshalb ist es schön, wenn der letzte Film ein guter Film ist – wie beispielsweise The Drop für James Gandolfini. Robin Williams wäre hingegen ein besserer letzter Film als Boulevard zu wünschen gewesen.
In dem Film von Dito Montiel nach einem Drehbuch von Douglas Soesbe spielt Robin Williams Nolan Mack, einen freundlichen Mann, der regelmäßig seinen Vater im Pflegeheim besucht, seiner Frau morgens einen Tee ans Bett bringt und seit über 20 Jahren verlässlich seine Arbeit in einer Bank erledigt. Stets um das Wohl seiner Mitmenschen besorgt, ist es seine größte Angst, jemanden zu verletzen. Und dass sich diese Angst nicht nur auf körperliche Schäden bezieht, ahnt man schon sehr früh in Boulevard: Allzu bemüht versucht Nolan, die Prostituierten am Straßenrand zu ignorieren – nicht die weiblichen, sondern die männlichen. Als er eines Abends beinahe den Stricher Leo (Robert Aguire) anfährt, lässt er sich von ihm ansprechen. Gemeinsam fahren sie in ein Hotelzimmer, doch Nolan will nur reden und Leo ansehen.

Es folgt, was aus zahllosen Filmen bekannt ist: Nolan verliebt sich in Leo und versucht, ihn zu bekehren. Erst gibt er ihm Geld, dann hilft er ihm gegenüber seinem brutalen Zuhälter und schließlich versucht er, ihm einen „anständigen“ Job zu verschaffen. Szene für Szene werden Station für Station dieser bekannten Geschichte abgehandelt, das einzig Bemerkenswerte ist vielleicht, dass sich hier ein älterer Mann in einen zu jungen Mann und nicht wie gewöhnlich eine zu junge Frau verliebt. Thematisiert wird der Altersunterschied indes nicht; auch scheint sich Nolan zu keinem Zeitpunkt zu wundern, dass Leo an ihm Gefallen findet. Bedenklich erscheint zudem, dass der Film Nolans fast schon pathologisches Besitzdenken als Ausdruck seiner Zuneigung versteht – dabei hätte sich hieraus sogar ein Psychothriller entwickeln können.

Nicht nur in der Erzählstruktur, sondern auch in den Motiven ist der Film wenig originell. Schon die getrennten Betten von Nolan und seiner Frau Joy (Kathy Baker) deuten an, dass in ihrer Ehe etwas nicht „richtig“ ist. Dass beim abendlichen Essen mit Freunden vor allem über Literatur gesprochen wird, soll wohl auch die Distanz zwischen den Eheleuten andeuten. Nach der ersten Begegnung mit Leo wird Nolan dann nachlässiger und seine Veränderung zeigt sich, indem er erstmals zu spät zur Arbeit kommt, seine Frau anlügt und seine Krawatte lockerer gebunden ist. Auch auf den unvermeidlichen, aber ziemlich dilettantischen Erpressungsversuch von Leos Zuhälter verzichtet das Drehbuch nicht – und da ist es fast überflüssig zu erwähnen, dass Leo natürlich eine verzweifelte Hure mit Herz ist.

Visuell bleibt Boulevard ebenfalls vorhersehbar. Die Handlung vollzieht sich in langweiligen und oberflächlichen Einstellungen, oft mit elektronischer Musik unterlegt, die allzu sehr auf den Punkt akzentuieren will. Den interessanten Fragen weicht der Film hingegen konsequent aus. Zwar wird angedeutet, dass Joy längst ahnt, was mit ihrem Mann los ist; warum sie dennoch an der Ehe festhält, bleibt indes offen. Hier ist es allein der guten Kathy Baker zu verdanken, dass diese Figur nuancierter ist als im Drehbuch angelegt. Da es in die Charaktere keine Einsichten gibt, wird auch Nolans unsichere Sexualität nicht erforscht — weshalb selbst die gute schauspielerische Leistung von Robin Williams im Endeffekt nichts ausrichten kann.

Somit bleibt vor allem das Außerfilmische an Boulevard bemerkenswert: Robin Williams spielt hier – gerechnet vom Zeitpunkt der Dreharbeiten – ein Jahr vor seinem Suizid einen Mann, der niemanden verletzen möchte, dessen innere Traurigkeit aber so sehr zu spüren ist. Und das tut weh.

Boulevard

Mit letzten Filmen ist es so eine Sache: Sie sind die letzte Möglichkeit, einer bislang unbekannten Arbeit eines Schauspielers, eines Regisseurs oder Kameramanns zu begegnen, danach werden nur noch Wieder-sehen erfolgen. Außerdem werden sie oft erst nach dem Ableben veröffentlicht; sie runden ein Œuvre ab und erhalten damit eine Stellung, die sie niemals angestrebt haben.
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