Bottled Life

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Wem gehört das Wasser?

Bilder von schneebedeckten Bergen eröffnen den Dokumentarfilm Bottled Life von Urs Schnell (Regie und Buch) und Res Gehringer (Recherche und Buch), ein Wasserfall ist zu sehen, ruhige Musik zu hören. Aber die volkstümliche Idylle wird durchbrochen von montierten Bild- und Tonausschnitten, in denen Peter Brabeck, Geschäftsführer von Nestlé, Geschäftszahlen vorstellt. Demnach hat der Markt für Nahrungsmittel und Getränke die 100 Milliarden Grenze überschritten und allein mit abgepacktem Wasser setzt Nestlé 10 Milliarden Schweizer Franken um. Passend dazu wird die Musik dramatischer und die Kamera nähert sich dem Hauptquartier von Nestlé am Genfer See. Der mächtigste Lebensmittelkonzern der Welt weiß, dass Wasser der Schlüssel zum Erfolg ist – allein wie er eingesetzt wird, ist nicht ganz deutlich. Auf der einen Seite stehen das gesellschaftliche Engagement des Konzerns und dessen soziale Verantwortung, die von Peter Brabeck mehrfach betont wird. Auf der anderen Seite ist der Handel mit Wasser ein Geschäft mit einem lebensnotwendigen Rohstoff. Dieser Dualität von sozialer Verantwortung und Profitstreben spüren Urs Schnell und Res Gehringer in ihrem spannenden Dokumentarfilm nach.
Die erste Station führt sie nach Äthiopien zu dem Flüchtlingslager Kebribeyah, das durch ein Projekt von Nestlé und dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) mit sauberem Wasser versorgt werden soll, allerdings hat sich Nestlé schon 2004 aus dem Projekt zurückgezogen. Dass dieses Projekt zur Entstehungszeit des Films weiterhin auf der Nestlé-Unternehmensseite aufgeführt wird, ist eine unschöne Sache, zu der sich der Konzern nicht äußert. Vielmehr wird den Filmemachern bei einem Treffen in einem Restaurant angeboten, sie könnten einen Film über Nestlé drehen. Zur Zusammenarbeit ist es dann nicht gekommen – und mittlerweile hat Nestlé auf der Unternehmensseite zu einigen Vorwürfen Stellung bezogen.

Soziale Verantwortung eines Unternehmens zeigt sich aber nicht nur in karitativen Projekten, sondern vor allem im alltäglichen Geschäft, auf das sich Schnell und Gehringer in ihrem Film dann auch konzentrieren. Nestlé macht Milliarden Franken Umsatz, in dem es Wasser in Flaschen verkauft. Dazu wird Wasser in Pumpwerken abgepumpt, zu einem Werk gebracht, in Flaschen abgefüllt und verkauft. Sehr deutlich wird in dem Film, dass Nestlé somit ein Bedürfnis befriedigt, das erst durch Marketing geschaffen wurde: In westlichen Industrieländern kommt aus den Wasserleitungen sauberes Trinkwasser. Es ist also nicht notwendig, in Flaschen abgefülltes Wasser zu kaufen. Dennoch machen wir es – aufgrund eines Marketings, das uns erzählt hat, dass wir immer Wasser dabei haben und es aus Plastikflaschen trinken müssen. Um die Nachfrage nun zu stillen und seine Marktanteile zu vergrößern, erwirbt der Konzern beständig Quellen- und Grundwasserrechte, beispielsweise im Bundesstaat Maine, USA. Doch dort formieren sich Proteste: gegen Probebohrungen in einem Naturschutzgebiet und gegen das Abpumpen aus einem See, das – so wird es Nestlé in Fryeburg, Maine vorgeworfen – das ökologische Gleichgewicht zerstört. Aber der Konzern hat das Recht auf seiner Seite: Einer Regelung in den USA und anderen Ländern zufolge, gehört das Wasser, das unter einem Grundstück fließt, dem Eigentümer des Grundstücks. Besitzt Nestlé nun ein großes Stück Land, kann das Unternehmen das Wasser dort ohne Rücksicht auf umliegende Grundstücke abpumpen. Einige Bewohner protestieren, andere betonen, dass der Konzern ein „guter Nachbar“ sei: Er schafft Arbeitsplätze, unterstützt örtliche Schulen und Vereine und zahlt Steuern. Doch das Wasser bekommt er nach Erwerb des Grundstücks kostenlos und die Folgen für das Ökosystem sind nicht abzuschätzen.

Während Nestlé in den USA und Europa vor allem Quellwasser verkauft, wird in Schwellen- und Entwicklungsländern ein gereinigtes, mit Mineralien angereichertes Wasser namens „Pure Life“ angeboten. Testmarkt dieses Produkts, das mittlerweile das meistverkaufte Flaschenwasser der Welt ist, war Pakistan. Damit erweitert sich die Problemlage des Geschäfts mit dem Wasser: Die öffentliche Trinkwasserversorgung wird in Pakistan von über 30 Jahre alten Leitungen beeinträchtigt, Ablagerungen mindern und gefährden die Wasserqualität, die Menschen misstrauen dem Wasser aus der Leitung. Nestlé verspricht hingegen sauberes und sicheres Wasser, das der Marketingstrategie zufolge modern und gesundheitsbewusst ist. Preislich im oberen Segment angesiedelt, steht es der gehobenen Mittelschicht zur Verfügung. Unterdessen behaupten die Dorfbewohner, die in der Nähe der Fabrik wohnen, in der Pure Life abgefüllt wird, ihr Grundwasserspiegel sei gesunken. Deshalb fordern sie, dass Nestlé ihnen einen Zugang zu dem Wasser bereitstellt, das unter ihrem Dorf abgepumpt wird. Aber hier zeigt sich Nestlé weniger großzügig als in den USA und lehnte ab. Die Rechtslage ist indes zu vergleichen: Auch in Pakistan ist unklar, wem das Wasser eigentlich gehört.

Wie brisant die Lage werden kann, zeigt Bottled Life anhand der vierten Station des Films: In Lagos, Nigeria ist Trinkwasser das wertvollste Gut. Die Leitungen sind veraltet, das Wasser verdreckt und die Menschen sind auf abgepacktes Wasser angewiesen. In den Slums wenden die Familien mehr als die Hälfte ihres Einkommens dafür auf, Wasser zu kaufen – von Pure Life können sie nur träumen: Ein Liter Pure Life kostet mehr als ein Liter Benzin.

Überall auf der Welt macht Nestlé Profit mit einem überlebensnotwendigen Rohstoff, indem der Konzern die bestehende Rechtslage nutzt. Daraus entsteht ein moralisches – und soziales – Problem, das Schnell und Gehringer in Bottled Life differenziert darlegen: Wasser sollte ein Grundrecht sein, dem stimmt schließlich auch Peter Brabeck zu. Doch wer sorgt dafür, dass es erfüllt wird: Unternehmen oder Regierungen? Für Peter Brabeck ist die Antwort klar: Es sind die Regierungen, die die Leitungen nicht instandhalten, nicht für die nötige Infrastruktur sorgen und dadurch 60 Prozent des Wasseraufkommens verschwenden. Doch ist es wirklich so einfach? 900 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser; es sterben mehr Kinder an verschmutztem Wasser als an HIV, Aids, Krieg, Verkehrsunfällen und Malaria-Erkrankungen zusammen. Hat dann nicht auch ein Konzern wie Nestlé, der dezidiert von sozialer Verantwortung spricht, eine moralische Verantwortung? Einfache Antworten liefert Bottled Life nicht. Vielmehr entwirft der aufschlussreiche und informative Film ein vielschichtiges Bild eines hochspannenden Themas.

Bottled Life

Bilder von schneebedeckten Bergen eröffnen den Dokumentarfilm „Bottled Life“ von Urs Schnell (Regie und Buch) und Res Gehringer (Recherche und Buch), ein Wasserfall ist zu sehen, ruhige Musik zu hören. Aber die volkstümliche Idylle wird durchbrochen von montierten Bild- und Tonausschnitten, in denen Peter Brabeck, Geschäftsführer von Nestlé, Geschäftszahlen vorstellt.
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