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In „Blue Story“ befasst sich Rapman auf Basis seiner YouTube-Serie mit dem eigenen Aufwachsen in South London. Dabei mixt er klassische Elemente mit frischem Zorn.

Blue Story - Gangs of London (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eine urbane Tragödie

Dass der Stoff einer klassischen Tragödie wuchtig auf das moderne Leben übertragen und in einnehmende Kinobilder gefasst werden kann, haben nicht nur innovative Shakespeare-Adaptionen wie Baz Luhrmanns „Romeo + Julia“ (1996) und Michael Almereydas „Hamlet“ (2000) bewiesen, sondern auch Gang-Dramen wie John Singletons „Boyz n the Hood“ (1991), in denen Elemente der (Rache-)Tragödie überzeugend mit einer wirklichkeitsnahen Darstellung aktueller Lebenssituationen verknüpft wurden.

Auch Blue Story nutzt in vielerlei Hinsicht hergebrachte Mittel – und schafft es, diesen etwas Neues, Ungewöhnliches abzugewinnen. Der Plot weist Parallelen zum Shakespeare-Stück Julius Caesar auf und steht sowohl dramaturgisch als auch inszenatorisch in der Tradition von Singletons besagtem New-Black-Cinema-Werk sowie ähnlichen Filmen, hat aber doch seine ganz eigene Geschichte zu erzählen und findet dafür individuelle Ausdrucksformen beziehungsweise Abweichungen von bereits Bekanntem. So gibt es etwa einen ‚griechischen Chor‘ – allerdings in Gestalt des Drehbuchautors und Regisseurs Andrew Onwubolu alias Rapman. Dessen Rap-Einlagen fassen das Geschehen immer wieder zusammen und kommentieren es – was ein recht simpler Kniff ist, der sich indes als erstaunlich wirkungsvoll und stimmig erweist. Und wie in jeder ansprechenden Tragödie gibt es zudem nicht einfach ‚die Guten‘ und ‚die Bösen‘, die miteinander in Konflikt stehen, sondern eine komplexe Kollision zwischen verschiedenen Fronten.

Blue Story basiert auf Rapmans gleichnamiger YouTube-Serie aus dem Jahre 2014, in welcher der Macher eigene Erfahrungen aus seiner Jugend in South London verarbeitete. Der Erfolg seiner späteren YouTube-Kurzfilm-Reihe Shiro’s Story (2018) brachte Rapman nicht nur einen Vertrag beim Label des US-Superstars Jay-Z ein, sondern ermöglichte ihm auch den Schritt auf die große Leinwand. Im Zentrum von Blue Story stehen die besten Freunde Timmy (Stephen Odubola) und Marco (Micheal Ward), die gemeinsam die Highschool in Peckham besuchen, aber in unterschiedlichen Bezirken von South London wohnen. Nicht nur von Marcos älterem Bruder Switcher (Eric Kofi-Abrefa), einem Gang-Anführer, wird die Freundschaft der beiden Teenager skeptisch beäugt. Sondern bald geraten sie auch mitten hinein in die sogenannten Postcode Wars – die Kriege zwischen Gangs aus benachbarten Vierteln der Stadt. Aus den Freunden werden Feinde – und das hat rasch tödliche Folgen.

Der Film ließe sich als Moralstück bezeichnen – und gewiss ist die Botschaft einer nicht enden wollenden Gewaltspirale kein Novum. Rapmans erkennbares Gespür für das Denken und Fühlen der jungen Leute in den Straßen South Londons sowie das energische Spiel des Ensembles verleihen Blue Story aber absolute Dringlichkeit. Bei so viel Mut zur Wucht gerät mancher Moment auch mal um eine Spur zu pathetisch; das schmälert die Kraft dieses Films jedoch kaum. Insbesondere Stephen Odubola als Timmy vermag einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Als die Handlung an einer Stelle mit einem Zeitsprung überrascht, muss Odubola eine extreme Charakterwandlung beglaubigen, die an Moonlight (2016) denken lässt, dort hingegen mit einem Schauspielerwechsel gelöst wurde. Es gelingt dem Kino-Debütanten Rapman, Timmys Veränderung und Verhärtung nachvollziehbar zu vermitteln – und auch Odubolas Co-Stars, etwa Karla-Simone Spence als Timmys Freundin Leah und Kadeem Ramsay als Timmys Kumpel Hakeem, liefern beachtliche Leistungen. Blue Story ist ein Film, der nicht zuletzt dank etlicher Details funktioniert, die authentisch anmuten – sei es die Sprache der Jugendlichen oder deren Art, miteinander nicht nur verbal, sondern auch in Gesten, mal liebevoll, mal verletzend, zu kommunizieren.

Blue Story - Gangs of London (2019)

Spielfilmbearbeitung von Rapmans Webserie über zwei Freunde, die beim Krieg auf den Straßen zu Rivalen werden.

 

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