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Andrew Dominiks für Netflix produzierter Marilyn-Monroe-Film „Blond“ will kein klassisches Biopic sein. Doch auch als lyncheskes Albtraumkino geht er nicht auf.

Blond (2022)

Eine Filmkritik von Michael S. Bendix

Hollywood Kills

„Blond“ beginnt mit dem Reenactment eines der ikonischsten Bilder der amerikanischen Popkultur: Marilyn Monroe auf dem Rost eines New Yorker Lüftungsschachtes, ihr weißes Kleid, das vom Wind eines vorbeifahrenden Zuges in die Höhe gewirbelt wird. Wenn die Kamera an sie heranfährt, erstrahlt ihr Lächeln nahezu unwirklich im Blitzlichtgewitter der Fotografen – und wird so bereits in diesem ersten Bild als das entlarvt, als das es angesichts der tragischen Biografie von Marilyn Monroe alias Noma Jean Baker auch gesehen werden muss: als Imago, als inszeniertes Zerrbild.

Anders als damals – das berühmte Foto wurde 1954 im Zuge der Dreharbeiten zu Billy Wilders Das verflixte 7. Jahr geschossen – existieren heute mindestens zwei öffentliche Bilder der Schauspielerin, das des Sexsymbols Marilyn Monroe von den Postern und Postkarten und das der zerrütteten Person dahinter, die 1962 nach jahrelangen Depressionen, Medikamenten- und Alkoholabhängigkeit einen viel zu frühen Tod fand. Andrew Dominik interessiert sich in seinem wegen des selten vergebenen NC-17-Ratings schon im Vorfeld vielskandalisierten Film vor allem für das zweitere, sicher wissend, dass auch er nicht viel mehr als einen Zerrspiegel entwerfen kann: Gegen etwaige Faktenchecks sicherte sich der neuseeländische Regisseur und Drehbuchautor (Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford) mit dem Verweis darauf ab, dass es sich bei Blond – wie schon bei der gleichnamigen literarischen Vorlage von Joyce Carol Oates – um „pure Fiktion“ handele und nicht um einen biografischen Film im herkömmlichen Sinne.

Pure Fiktion ist Blond natürlich dennoch nicht – alle handelnden Figuren tragen ihre realen Namen, zumindest die biografischen Eckdaten sind überliefert; Monroes Filme sind ohnehin bekannt –, als klassisches Biopic will sich der Film aber nicht verstanden wissen, auch wenn er sich in seiner Dramaturgie weitgehend an die Chronologie von Monroes Leben hält. So besteht der erste Akt, eigentlich eher ein Prolog, aus einem Kammerspiel ausgewählter Szenen einer Kindheit, die das Trauma der Marilyn Monroe konstituieren, von Dominik auf das (Nicht-)Verhältnis zu ihrer psychisch kranken Mutter (Julianne Nicholson) und ihren seit Geburt abwesenden Vater verkürzt. Letzterer existiert für die junge Noma Jean (Lily Fisher) nur als von der Wand herablächelndes Foto, erstere gibt ihr immer wieder zu verstehen, dass sie eigentlich nicht gewollt ist.

Kurz darauf lodert ein nicht näher benanntes Feuer in den Hollywood Hills, die Flammen um das Hollywood Sign fungieren als antizipierendes Bild für die Erfahrungen, die Norma Jean in und mit der Traumfabrik bevorstehen (und tauchen später im Film wieder auf – fire walk with me). Wenige Szenen später wird ihre Mutter in eine Nervenheilanstalt eingewiesen und Norma Jean als sogenannte Sozialwaise in ein Heim gesteckt – alles, was zwischen diesem Erlebnis, ihren Anfängen als Fotomodell und schließlich ihrer Verwandlung in Marilyn Monroe passiert, bleibt Ellipse.

Von nun an erzählt Blond das Leben von Monroe (jetzt gespielt von Ana de Armas) entlang ihrer Männer und Filme und watet zunehmend im Spekulativen. Nachdem die kleine Norma Jean die Hoffnung äußert, ihr Vater möge sie abholen und von ihrem Leid erlösen, schneidet der Film zu Marilyn Monroe über, die Every Baby Needs a Da-Da-Daddy singt; auch ihre erste größere Rolle im Thriller Don’t Bother to Knock (1952) schließt Dominik prompt mit ihren Kindheitstraumata kurz und ist sich dabei für keinen vereindeutigenden Flashback zu schade.

Die im Film zu sehenden Karrierehöhepunkte – auch hier geht Blond höchst selektiv vor – scheinen regelrecht nach ihrer Eignung ausgewählt, mit Monroes Psyche zu interagieren (wo ein ästhetischer Dialog doch deutlich interessanter wäre). Wenn sie am Ende eines Vorsprechens von den anwesenden Männern zugleich pathologisiert und sexualisiert wird, ist es schwer, nicht auch Andrew Dominik als einen von ihnen zu betrachten, der – wohl als #metoo-Kommentar gemeint – Monroes erstes Gespräch mit einem mächtigen Filmproduzenten in eine mutmaßlich erfundene Vergewaltigung münden lässt und ihr eine Dreierbeziehung mit Edward G. Robinson Jr. und Charles Chaplin Jr. andichtet, durch die der Film immerhin szenenweise eine hübsch sleazige Note erhält, die tonal noch am besten zur freudianisch aufgeladenen biopic fantasy passen mag. Pure Fiktion, wenn auch auf dem Rücken einer realen – und in dieser Realität ja auch tatsächlich mehrfach ausgebeuteten – Person, die sich gegen ihre Fiktionalisierung und Viktimisierung nicht mehr wehren kann.

An Ana de Armas liegt es nicht, dass Blond scheitert: Sie wird sowohl dem Glamour von Marilyn Monroe als auch der Zerbrechlichkeit von Norma Jean gerecht, mehr noch, sie verleiht ihrer Figur eine Vielstimmigkeit, die sich der Film in seinem plumpen Psychologisierungswahn kaum verdient. Blond deutet Monroes spekuliertes Inneres bis ins kleinste Detail aus, findet aber nicht viel mehr als Vaterkomplexe (jeden ihrer Männer nennt sie Daddy) sowie den Wunsch, als Mensch wahr- und als Schauspielerin ernst genommen zu werden. Immer wieder spricht Norma Jean in der dritten Person von sich als Marilyn Monroe und versucht, die Trennlinie zwischen realem Ich und konstruiertem Image aufrechtzuerhalten, ein Ansinnen, das scheitern muss, allein schon, damit Dominik den Film umso deutlicher in Richtung eines lynchesken (Alb-)Traumzustandes kippen lassen kann.

Was Blond von referenzierten Filmen wie Mulholland Drive oder Inland Empire unterscheidet, ist vor allem die Tatsache, dass Dominiks Drehbuch jedem Bild eine klare Funktion zuweist: Die grotesk verzerrten Münder der schreienden Paparazzi etwa verfehlen ihre Wirkung, wenn Dominik die öffentlichen Auftritte der Monroe zum dritten Mal als Belagerungszustand inszeniert; der Albtraum einer erzwungenen Abtreibung – inklusive Shot aus dem Inneren der Vagina – treibt nur ins inszenatorische Extrem, was Dominik schon zuvor als Horrorsequenz erzählt hat. Auf den (unfreiwilligen) Abtreibungen und einer Fehlgeburt liegt ein Hauptfokus des Films, und auch wenn sich Dominik gegen die Vorwürfe einer Anti-Choice-Agenda verwehrt, braucht es viel Wohlwollen, um sie hier nicht doch zu sehen (vor ihrer ersten Abtreibung dankt Marilyn ihrer Mutter dafür, sie geboren zu haben, später erhält ihr ungeborener Fötus eine Stimme und bittet sie, ihm „diesmal nichts anzutun“).

Nur in wenigen Momenten kommt Blond tatsächlich in die Nähe von Lynch, nämlich dann, wenn er sein offensichtliches Vorbild (wohl nicht von ungefähr klingt der Score von Nick Cave und Warren Ellis stark nach Lynchs Hauskomponist Angelo Badalamenti) als Melodramatiker emuliert und nicht als Surrealisten. Ansonsten verharrt der Film fast drei Stunden lang im Modus eines bloßen Anhäufens von Leid: Positive Bezugspersonen spart Dominik fast vollends aus – allein Arthur Miller, Schriftsteller und dritter Ehemann Monroes (gespielt von Adrien Brody) reiht sich nicht in die Serie gewalttätiger Männerfiguren ein –, die spärlichen Glücksmomente sind derart aseptisch und gleißend in Szene gesetzt, dass ihnen die Illusion bereits eingeschrieben ist. Auch der ständige Wechsel zwischen den Farben und Formaten fügt dem unergiebigen Miserabilismus des Films keine spielerische Dimension hinzu, vielmehr wirkt er planlos, im besten Fall wie artifizieller Selbstzweck. Wenn man bereits die Star-Persona Marilyn Monroe als Fiktion begreift, ist ihre filmische Fiktionalisierung als Näherungsversuch vielleicht sogar folgerichtig – man wünschte ihm eine gelungenere Entsprechung als Blond.

Blond (2022)

Der auf dem Erfolgsroman von Joyce Carol Oates basierende Film „Blond“ erfindet das Leben einer der größten Legenden Hollywoods neu: Marilyn Monroe. Angefangen mit ihrer schwierigen Kindheit als Norma Jeane über ihren Aufstieg zum Star und ihre romantischen Verstrickungen lässt „Blond“ bewusst die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion verschwimmen, um die immer größer werdende Kluft zwischen Privatmensch und öffentlicher Figur sichtbar zu machen. 

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Meinungen

Jim · 15.10.2022

Ich kann die negativen Bewertungen absolut nicht nachvollziehen! Der Film ist keine Biografie, sondern eine Buchverfilmung eines fiktiven Romans über das Leben von Marilyn Monroe. Er gehört für mich zu den zehn besten Filmen aller Zeiten! Nachdem ich den Film mit meiner Frau gesehen habe, schauten wir uns noch zwei Dokumentationen über das Leben von Norma Jean/Marilyn Monroe an. Eine auf ARTE und die andere auf Netflix. Beide Dokumentationen haben die Schattenseiten ihres Lebens thematisiert und wir mussten feststellen, dass der Film tatsächlich nicht so weit von der Realität entfernt ist! Marilyn Monroe war eine von Norma Jean erschaffene Kunstfigur, die es ihr ermöglichte im von Männern dominierten Hollywood erfolgreich zu sein. Natürlich hat sie damit auch eine zeitlose Ikone erschaffen, aber ihr Leben nur auf ihre Kunstfigur zu reduzieren wird ihrem Erbe nicht gerecht. Ich bin mir sicher, dass sie gewollt hätte, dass im Zuge der ganzen Metoo-Debatte auch die Schattenseiten ihres Lebens verfilmt werden. Frauen verdienen endlich mehr Macht und mehr Respekt in unserer Gesellschaft. Dieser Film trägt seinen Teil dazu bei!

Malte · 26.01.2023

Mit Verlaub, "zu den 10 besten Filmen aller Zeiten"? Dann war dies wohl der 10. Film, den Sie je gesehen haben?

Jim · 30.01.2023

Das ist lediglich meine persönliche Meinung und natürlich habe ich weit mehr als 10 Filme gesehen! Allerdings gibt es wirklich unfassbar viele schlechte Filme Dazu gehören übrigens sämtliche Tarantino Filme, die nichts anderes tun als Gewalt zu verherrlichen und eine abartige Ästhetik zu vermitteln. Es gibt Filme, wie z.B. Don‘t Look Up, Amsterdam oder Blonde, die hier bei Kino-Zeit negativ bewertet wurden, weil sich niemand die Zeit nimmt diese Filme richtig zu analysieren. Schade ist dabei, dass dies so gut wie alle „sogenannten“ Filmkritik-Plattformen machen! Der Mainstream ist nun wohl leider auch in der Cineasten-Szene angekommen!

Jim · 30.01.2023

Hier eine Auswahl meiner besten Filme. Es sind mehr als zehn Filme : )

Schindlers Liste, Adaption, The Maschinist, The Road, Dogville, Dancer in the dark, Interstellar, Der mit dem Wolf tanzt, Gran Torino, Into the wild, Der ewige Gärtner, Don‘ t Look Up, Blonde, WallE, Joker, Die Farbe Lila, usw….

Katja Maren · 13.10.2022

Meines Erachtens darf eine Fiktion oder auch eine vermeintliche Wahrheit, die wir im Übrigen nicht kennen, nur mit Zustimmung der Person verfilmt und veröffentlicht werden. Dies kann man hier sicher ausschließen und damit ist es eine erneute verachtende "Miß"handlung und Grenzüberschreitung.
Auch nach Ihrem Tod wird sie nicht geachtet......unfassbar unmenschlich und traurig!

Lena · 09.10.2022

Danke, sehr schade um die Person und ihre filmische Darstellung-- sehr schlechte Recherche auch von dem Autor- er hätte besser einfach einen Roman mit fiktiven Personen schreiben sollen, wenn er eine Message hat die er loswerden will… aber in Zeiten der kompletten Überschreibung von Tatsache ohne Belege ist das scheinbar nicht mehr relevant… was ist mit dem Tod Monroe’s- war da nicht ein ungeklärter Fall der die Kennedys miteinschliesst….? Und diese übergrifflichheit und Arroganz was sich jemand anmaßt um Menschen, die er nie in seinem Leben auch nur in echt gesehen hat, an Wörtern in den Mund legen lässt…
Respekt vor dem Talent Monroe’s fehlt jede Spur und eigene Kreativität so wenig vorhanden,
Schade und peinlich

Marie · 08.10.2022

Ich fand den Film sehr sehr gut. Krass realistisch, man wird immer wieder geschockt, was diese arme Person alles durchleiden muss. Der Film ist heftig, alles andere als eine rosa Hollywood Welt. Der Formatwechsel ist keineswegs willkürlich, es spiegelt die Vergangenheit, Gegenwart und die Gedankenwelt von Marilyn wieder. Dieser Film ist Kunst, nichts für schwache Nerven!

Julia · 05.10.2022

Alle empören sich und regen sich auf, dabei ist hinreichend bekannt, dass genau so mit Frauen umgegangen wurde, gerade im alten Hollywood! Und es auch heute noch genug Frauen so ergeht. Willkommen in der Realität!