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Das Langfilm-Debüt der australischen Regisseurin und Autorin Del Kathryn Barton besticht zwar nicht durch Subtilität, fegt aber emotional furios über die Köpfe des Publikums hinweg – und reißt garantiert viele mit.

Blaze (2022)

Eine Filmkritik von Markus Fiedler

Die Suche nach dem inneren Drachen

Zum Filmemachen gehört offensichtlich auch eine gehörige Portion Mut. In diesem Sinne hat Del Kathryn Barton sich für „Blaze“ gleich einen ganzen Strauß an komplexen Themen ausgesucht. Darum geht es: Die 12-jährige Titelheldin beobachtet zufällig die Vergewaltigung und Ermordung einer Frau und versucht verzweifelt, sich von dieser Erfahrung nicht zerstören zu lassen. Während ihr Vater hilflos danebensteht, während Blaze den Halt verliert, versucht sich das Mädchen aus eigener Kraft aus der Hölle zu befreien, in die sie die Anwesenheit bei diesem Verbrechen gestürzt hat – mit eigenwilligen Mitteln.

Doch es wäre verkürzt, würde man Blaze nur so beschreiben. Denn die 50-jährige Barton, die ihre Karriere als Malerin begann und erst vor einigen Jahren auch das Filmemachen für sich entdeckte, gibt sich mit ihrem Hauptthema, der Verarbeitung eines ernsthaften Traumas, nicht zufrieden. Auch die Frage nach dem Schuldempfinden der Überlebenden verhandelt Barton in Blaze, ebenso wie das sexuelle Erwachen der 12-jährigen. Und ein wenig überhebt sich Barton auch an diesen vielen Geschichten, die sie erzählen möchte. Dass ihr dennoch ein sehr sehenswerter Film gelungen ist, liegt nicht an seiner Vielfalt.

Die Künstlerin arbeitet interessante visuelle Motiv ein – zum Teil aus eigenen Werken. Schon zu Beginn kann sich die junge Blaze an Gemälden von Göttinnen kaum sattsehen, und auch im weiteren Verlauf des Films erzählen die Bilder die Geschichte stärker weiter als die wenigen Dialoge, die das Drehbuch enthält. Bei der Inszenierung dieser grafischen Momente verließ sich Barton auch nicht auf subtile Zeichen, die noch interpretiert werden müssen. Blaze schleudert dem Publikum seine Botschaft deutlich ins Gesicht – und das ist genau richtig so. Denn letztlich gewährt Barton den Zuschauer:innen einen Blick in den Kopf einer 12-jährigen, die mit Grautönen nicht viel am Hut hat. Wenn Blaze in einer Traumsequenz einen Plastikpenis zertritt oder bei ihrer ersten Periode eine Blutfontäne wie aus einem Nightmare-Film aus ihrem Schoß an die Decke spritzt, sind das wahrlich keine undeutlichen Aussagen. Aber sie sind so hochemotional wie die Protagonistin des Films – und deshalb einfach passend.

Wie auch eines der Kernstücke des Films, Blazes Drachen, der mit ihr in ihrem Kinderzimmer lebt und sie bislang immer beschützt hat. Denn zu Beginn des Films sehen wir die 12-jährige zwar als Eigenbrötlerin, aber als durchaus selbstsichere und glückliche Tochter eines alleinerziehenden Vaters, die gern allein ist und nicht darunter leidet. Doch die Begegnung mit sexueller Gewalt und dem Tod ändert das fundamental: Ihr Drache kann sie vor dem, was nun mit ihr passiert, nicht mehr schützen, immer wieder wirkt das knallbunte Wesen mit den großen schwarzen Augen so hilflos wie Blaze selbst. Es ist das völlige Zerschmettern einer vorher heilen Welt, das sich in den traurigen Augen dieses Drachens wiederfindet und Blazes Zustand deutlich werden lässt. 

Die Art und Weise, wie die mittlerweile 16-jährige Hauptdarstellerin Julia Savage das Publikum an diesem komplizierten Heilungsprozess und dem Finden eines neuen Weltbildes teilhaben lässt, ist denn auch einer der wichtigsten Zutaten bei einem Film, der im Gedächtnis bleibt. Wie Savage sowohl das sexuelle Erwachen spielt als auch die komplexen Schuldgefühle gegenüber dem Opfer und ihrer Familie, ist packend – und tröstet über die eine oder andere Szene hinweg, bei der dem Drehbuch die Gäule durchgehen und Barton es mit den Klein-Mädchen-Träumen übertreibt. Wenn Savage wie ein angeschlagener Boxer nach Niederschlägen immer wieder aufsteht und der Ungerechtigkeit der Welt die noch naive Stirn bietet, dann rührt das auch Zuschauer:innen, deren eigene Pubertät schon eine Weile zurückliegt. 

Dass Blaze hier und da ein wenig überfrachtet wirkt, kann auch die Präsenz der Hauptdarstellerin nicht ganz wettmachen. Dennoch ist das Spielfilm-Debüt von Del Kathryn Barton dank der hausragenden Savage, vielen interessanten Inszenierungsideen und der völligen Furchtlosigkeit, mit der Blaze seine Themen angeht, ein absoluter überzeugender Erstling.

Blaze (2022)

In ihrem Spielfilmdebüt verbindet die australische Künstlerin Del Kathryn Barton Realfilm mit Puppenspiel und Animation und taucht mit faszinierender Fantasie in die Gefühlswelt eines Mädchens ein. Die zwölfjährige Blaze wird von ihrem Vater Luke fürsorglich aufgezogen und lebt in ihrem eigenen imaginären Kokon. Als sie auf der Straße Zeugin eines brutalen Verbrechens wird, kehrt sie erschüttert nach Hause zurück, wo sie versucht, das Gesehene im Zusammenspiel mit ihrer kindlichen Naivität zu verstehen. Zwischen Luke, der tut, was er für das Beste für seine Tochter hält, Polizeistationen, Interpretationen von Ärzt·innen, Therapeut·innen und Anwält·innen rettet sich Blaze in ihre eigene lebhafte Fantasie. (Quelle: Filmfest Hamburg)

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