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Jahrelang hat die Journalistin Linda Lipnack Kuehl Interviews mit Billie Holidays Weggefährten geführt, sie starb aber vor Vollendung ihres Buches. Nun sind ihre Aufnahmen in „Billie – Legende des Jazz“ zu hören. Aber brauchen wir einen weiteren Film über Billie Holiday?

Billie – Legende des Jazz (2019)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Don’t explain 

In den 1960er Jahren versuchte die Journalistin Linda Lipnack Kuehl eine Biographie über Billie Holiday zu schreiben. Jahrelang führte sie Interviews, sprach unter anderem mit Charles Mingus und Count Basie; mit John Hammond und Kindheitsfreund*innen. Bevor sie das Buch vollenden konnte, starb sie. Seither wurden Auszüge der Tonbandaufnahmen in Julia Blackburns Biographie With Billie verwendet, aber nun sind sie in dem Film „Billie – Legende des Jazz“ erstmals zu hören. 

Gefunden wurden die Bänder von dem Produzenten Barry Clark-Ewers, der sie einem Sammler in New Jersey abgekauft hat: 125 Tonbänder, 200 Stunden Interviews und Linda Lipnack Kuehls unveröffentlichtes Manuskript waren das Ausgangsmaterial dieses Films von Regisseur James Erskine, der sich der „Legende“ nun abermals annähert. 

Tatsächlich sind die Bänder hochspannend zu hören. Durch den Verzicht auf einen einordnenden Off-Kommentar und die nachträglich colorierten Filmaufnahmen sowie Fotos entsteht ein sehr lebendiges Bild insbesondere der 1930er bis 1950er Jahre. Leider zerfasert der Dokumentarfilm aber zusehends durch den Versuch, die Lebensgeschichte von Billie Holiday und Linda Lipnack Kuehl zu verbinden, ja, gegeneinanderzustellen. Überdeutlich wird das in der enttäuschenden letzten halben Stunde des Films. Zunächst geht es um Tod von Linda Lipnack Kuehl, die nach Polizeiangaben aus dem Fenster eines Hotels in Washington gesprungen ist. Ihre Schwester – eine der Interviewpartnerinnen in diesem Film – glaubt nicht daran. Allerdings untersucht James Erskine diesen Tod nicht weiter. Er erzählt von den Zweifeln an der Todesursache und den Gerüchten – womöglich habe sie eine Affäre mit Count Basie gehabt, die einigen nicht gefallen hat. Womöglich habe einigen Menschen in der Musikindustrie nicht gefallen, was sie über Billie Holiday und ihre Weggefährt*innen schreiben wollte. Aber Erskine geht diesen Mutmaßungen nicht nach. Alleine die Geschichte dieser Tonbandaufnahmen und des Todes könnten einen eigenen Film füllen. Stattdessen aber deutet sie dieser Film hier nur sensationslüstern an. Dazu passt dann die überdramatische Musik, die die Zusammenfassung von Billie Holidays Sterben untermalt. Dies ist ein Film über Billie Holiday – und der hat definitiv eine bessere Musik verdient. Und abgesehen davon: Auch hier wäre allein die Erzählung ihres Todes dramatisch genug. 

Dennoch gibt es einiges zu entdecken und erfahren in diesem Film: Beispielsweise ein verstörendes Interview mit einem Zuhälter aus Baltimore, der lachend sagt, die Frauen seien stolz auf ihre blauen Flecke gewesen, die er ihnen zugefügt hat. Stimmen von Kindheitsfreund*innen, die sowohl die Prostitution als auch die sexualisierte Gewalt, die Billie Holiday als Kind erfahren hat, mit beschönigenden Begriffen als selbstverständlich markieren – das ist schockierend, aber auch ein Zeitdokument. So wie Tony Bennetts aus heutiger Sicht naiv anmutende Frage, weshalb all die Sängerinnen früher oder später zugrunde gehen. Da fragt man sich schon, ob er nicht sehen wollte, was nicht nur bei Billie Holiday im Umfeld geschehen ist – oder es nicht sehen konnte.

Kritisch ist auch das Bild der Musikindustrie, das dieser Film zeichnet, indem er ganz klar deren Rassismus markiert: Billie Holiday wurde entdeckt von dem weißen Produzenten John Hammond, der sie mit Count Basie zusammenbrachte. Als sie auf Tour gingen, musste sich Billie Holiday das Gesicht schwärzen, weil sie „zu weiß“ für diese Band war. Die Zusammenarbeit endete, weil sie sich nicht in die Stereotype pressen lassen wollte, die Hammond für sie vorsah: sie sollte Blues singen, in Filmen die dienstbare Schwarze Frau spielen. In dem Interview mit dem Drummer Jo Jones oder auch dem Sänger Billy Eckstine ist der Zorn über die Behandlung von Billie Holiday und anderer Schwarzer Musiker*innen dieser Zeit zu hören. Er kontrastiert die Gleichgültigkeit, mit der der Gitarrist Al Avola hingenommen hat, dass Billie Holiday auf einer Tour im Süden im Bus schlafen musste, weil sie als Schwarze kein Hotelzimmer bekommen hat. Oder mit der Artie Shaw hinnahm, dass sie seine Band verließ, weil sie im Lincoln Hotel in New York City nicht auftreten durfte. Zudem macht der Film in einer kurzen Montage sehr deutlich, wie weiße Musiker*innen von der Arbeit Schwarzer Musiker*innen profitiert haben (und noch immer profitieren). Er thematisiert auch, dass sich Linda Lipnack Kuehl sehr bewusst war, dass sie eine weiße Frau ist, die über eine Schwarze Musikerin schreibt – interessanterweise aber nicht den Blick des Regisseurs dieses Films.  

Billie Holiday hat einmal gesagt, das Lied, das sie am besten charakterisiert, sei Don’t explain. Billie – Legende des Jazz stellt nun sehr zaghaft das Narrativ von Billie Holidays Leben infrage, nachdem sie stets von inneren Dämonen getrieben wurde und letztlich an ihnen zugrunde ging. Es waren wohl doch eher die vielen „äußeren“ Dämonen, die zu ihrem frühen Tod beigetragen haben, vorneweg die vielen Männer, die nur daran interessiert waren, das meiste aus ihr herauszuschlagen. Von diesem Film aber bleibt vielmehr das Material in Erinnerung, die Tonbänder, die colorierten Ausschnitte und Fotos. Sie untermalen im Nachhinein auch noch einmal, wie nah Andra Day ihr in The United States vs. Billie Holiday kam. Und eines wird nach diesem Film auch wieder deutlich: Billie Holiday und ihrer Musik kann man sich nicht entziehen. 

Billie – Legende des Jazz (2019)

Mit Hilfe von mehr als 200 Stunden bisher unveröffentlichter Interviews zeichnet der film die faszinierende Geschichte der Jazzsängerin Billie Holiday nach, die vor allem durch all jene erzählt wird, die sie am besten kannten und die ihr nahestanden.

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