Before Midnight (2013)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wie die Zeit vergeht

Fast 20 Jahre ist es nun her, dass in Richard Linklaters Before Sunrise (1995) der US-Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) und die Französin Céline (Julie Delpy) sich auf einer Zugfahrt kennenlernten und spontan einen Tag in Wien miteinander verbrachten, bevor sie das Leben wieder auseinandertrieb. Und seien wir mal ehrlich: Dieser eine Tag in Wien, diese Begegnung und die gemeinsam verbrachte Zeit war in den Neunzigern eine der romantischsten Liebesgeschichten im Kino – gerade weil sie nicht zu einem Happy End führte, sondern Platz ließ für Gedankenspielereien, ob die beiden sich jemals wieder begegnen würden.

2004 folgte dann mit Before Sunset die Fortsetzung und nun mit Before Midnight schon der dritte Teil, der die Geschichte weiterspinnt. Und selbst wenn man nicht umhin kann, Sequels ansonsten im Regelfall für die größte Pest des Kinos zu halten, so ist Linklaters Before-Reihe dazu angetan, viel zu deren Ehrenrettung beizutragen.

Man hatte es geahnt bzw. sich erhofft. Aus Jesse und Céline ist nun ein Paar geworden. Before Midnight beginnt damit, dass Jesse seinen Sohn Hank aus erster Ehe in Griechenland an den Flughafen bringt, nachdem dieser mit seinem Vater und dessen Familie den Sommerurlaub verbrachte. Der Abschied schmerzt, weil Jesse, der mit Céline in Paris lebt, seinen Sohn viel zu selten sieht. Und so ist er bedrückt und nachdenklich, als er ins Auto steigt, um mit Céline und den beiden gemeinsamen Töchtern zurück zu ihrem Anwesen zu fahren. Auf der Fahrt bekommen wir schon eine erste Kostprobe davon, was von der romantischen Liebe von einst übriggeblieben ist – die beiden sind ohne jeden Zweifel immer noch ein bemerkenswertes und sehr charmantes Paar, doch der Alltag und die ganz normalen Probleme einer Beziehung haben Einzug gehalten. Während Jesse darüber nachdenkt, wie es wohl wäre, zurück in die USA zu gehen und mehr Zeit mit seinem Sohn zu verbringen, will Céline zurück in den Job. Ein Grundkonflikt, der bewirkt, dass im Laufe der Zeit – es sind wie gesagt die letzten Tage des Sommerurlaubs – vieles auf den Tisch und damit auf den Prüfstand kommt. Darüber schwebt nicht nur unsichtbar die Frage, ob man denn trotz aller Schwierigkeiten des Alltags noch zusammenbleiben will. Oder wie Céline es in einer Szene ausdrückt: „Wenn du mir heute im Zug gegenübersitzen würdest, würdest du mich noch einmal ansprechen?“

Richard Linklater und seine beiden Hauptdarsteller Julie Delpy und Ethan Hawke haben nicht nur das Drehbuch für diesen Film gemeinsam entwickelt, sie haben in der Vergangenheit auch ähnliche Erfahrungen gemacht: Sie haben in ihren Karrieren neue Dinge ausprobiert: Ethan Hawke beispielsweise ist wie sein Alter Ego Jesse Schriftsteller geworden, Julie Delpy führt mittlerweile selbst Regie und auch Richard Linklater hat mit Filmen wie Waking Life, aber auch mit Me & Orson Welles Neuland betreten. Zudem haben allesamt Kinder bekommen, haben Trennungen und Neuanfänge erlebt – und all diese Erfahrungen sind offensichtlich mit in diesen Film eingeflossen, der trotz der Leichtigkeit des südlichen Sommers und amüsanten Wortgefechten eine große Ernsthaftigkeit und Lebensklugheit besitzt. Das Beruhigende daran: Obwohl in der Beziehung zwischen Jesse und Céline mittlerweile die Fetzen fliegen, merken sie (und mit ihnen die Zuschauer) genau, dass diese Verbindung immer noch funktioniert – trotz aller Brüche und unterschiedlichen Vorstellungen, trotz mancher Verletzungen und Enttäuschungen. Es ist eine Art bittere Süße, die den Film nun prägt, die Romantik von einst, die Magie einer zufälligen Begegnung wurde abgelöst von dem alltäglichen Kampf um die eigene Position: Aus dem „Wir“ ist ein „Du und/oder Ich“ geworden, doch es besteht die Chance, dass das „Wir“ wieder zum Vorschein kommt. Und irgendwie können wir nicht umhin, den beiden die Daumen zu drücken. Wer weiß, vielleicht erleben wir ja in einigen Jahren im Kino, ob es noch geklappt hat.
 

Before Midnight (2013)

Fast 20 Jahre ist es nun her, dass in Richard Linklaters „Before Sunrise“ (1995) der US-Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) und die Französin Céline (Julie Delpy) sich auf einer Zugfahrt kennenlernten und spontan einen Tag in Wien miteinander verbrachten, bevor sie das Leben wieder auseinandertrieb. Und seien wir mal ehrlich: Dieser eine Tag in Wien, diese Begegnung und die gemeinsam verbrachte Zeit war in den Neunzigern eine der romantischsten Liebesgeschichten im Kino – gerade weil sie nicht zu einem Happy End führte, sondern Platz ließ für Gedankenspielereien, ob die beiden sich jemals wieder begegnen würden.

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Meinungen

Gabriele · 21.06.2013

Danke Mike für diese Einschätzung.
Ich habe leider die Vorgänger nicht gesehen und überlege jetzt ob es Sinn macht, sich diesen Film anzusehen.

Gruß Gabriele

@Gabriele · 20.06.2013

Ich denke schon, dass man gut mitkommt. Aber der Film ist sicher reizvoller, wenn man Before Midnight und Before Sunset schon gesehen hat. Grüsse, Mike

Gabriele · 20.06.2013

Kann man dem Thema gut folgen, auch wenn man die Vorgänger nicht gesehen hat?

wignanek-hp · 13.02.2013

Danke für diese einfühlende Besprechung, die den Film sehr treffend beschreibt. Ein Muss für alle "Before...."-Fans.